Das Übliche?

  • Grundsätzlich können Geigen mit echten Eckklötzen nach verschiedenen Methoden gebaut sein. und man kann sehr viele Techniken miteinander kombinieren. Anbei noch einige Geigen mit echten Eckklötzen zum Vergleich. Das Alter ist recht unterschiedlich.


    Kann man den Anschäfter auch sehen, wenn man in den Wirbelkasten rein schaut beziehungsweise oben darauf?


    Sehe ich das richtig, die Jahresringabstände auf der Decke links und rechts sind ziemlich verschieden. Handelt es sich um eine ganze Decke oder um zwei verschiedene (Unsymmetrische) Hölzer? Wenn ja, ist die Decke exakt mittig geteilt?

    Entschuldigung, aber ich kann das von der Auflösung her nicht richtig sehen.



    Ich müsste die Geige in der Hand halten.

    Was sagt denn die Familie, wer hat die Violine gespielt, und wann? Wenn es eine ganze Decke wäre ist sie schon 200 Jahre alt. (Aufgrund der Jahresringe Muster) . Schau noch mal was du vom Vorbesitzer oder aus dem Geigenkasten für Infos ziehen kannst.

  • Die Decke ist aus zwei unterschiedlich gemaserten Teilen zusammengesetzt, ähnlich wie die Decke der 3/4-Geige meiner Oma. Das und die unterschiedlichen Zargenhölzer spricht stark dafür, dass für den Bau der Geige das genommen wurde, was grad da war, wie Du schon sagtests Chiocciola. Vielleicht erklärt das auch die abweichende Schnecke, die einfach da war und wiederverwendet wurde.


    Die Geige wurde vermutlich in den 1950er oder 60er Jahren gekauft und meines Wissens dann nicht professionell gespielt. Das hieße, die Spielspuren waren schon da, als die Geige gekauft wurde. Ich hab noch mal um mehr Infos gebeten, weiß aber nicht wie viel da noch kommt.


    Den Steg hat R. Weichold aus Dresden gemacht. Von einem Richard Weichold findet man online einige Bögen und ein Cello. Meine Geige ist aber nicht gestempelt, also gehe ich weiterhin von einer Markneukirchener Manufakturarbeit aus.

  • Ich verstehe nicht, warum die Schnecke älter sein soll…? Die sieht weder älter aus, noch fällt mur ein Grund ein, warum deutlich ältere Schnecken in der Manufaktur jahrzehntelang herumliegen sollten, bevir man sie verbaut.


    Man kann sich natürlich alles „wertvoll und antik“ reden…. 😉

  • Naja, Braaatsch , Ich kann schon verstehen, dass man, nachdem man stundenlang, tagelang an einer Geige rum gebastelt hat sich so seine Gedanken macht,

    gerade wenn erstklassige Reparaturen mit drittklassigen kombiniert sind. Hey und genauso die baulichen Besonderheiten die man sich während der Reparatur ständig anschauen muss. Das ist etwas anderes, wie wenn man, wie Du, schnell mal drüber schaut!

    Andererseits ist es schon richtig wenn man jemand hat der einen auf dem Boden der Tatsachen zurück holt🤗😉.


    Deshalb meine Frage noch mal: sieht man den Anschäfter von oben in den Wirbelkasten hinein gar nicht? ist er vielleicht sehr geschickt gemalt?

    Und wirkt das Holz mit dem häufigen Wechsel von fetten und mageren Wintern nicht schon sehr alt? Und es ist schon richtig, sehr alte böhmische Geigen haben oft recht schmale längliche Eckklötze und kleine gerundete Oberklötze und Unterklötze. Violinen, die nur 100-150 Jahre alt sind haben oft größere Eckklötze.

    Ich stelle noch als Beispiel eine genagelte Geige ein von circa 1740, böhmisch sächsisch, ohne Randeinlage, mit Original Hals und Original Bassbalken.


    Wenn man sie sanieren wollte, ist man einerseits geneigt, den kleinen unter Klotz und den genagelten Hals zu halten, wie auch den Bassbalken, andererseits wäre diese Violine wohl nie stabil? Deshalb ist der Hals ja gebrochen und deshalb wurde die moderne Geige erfunden? Was würdet ihr machen mit dem guten Teil? Sollte man versuchen den verbreizten Schwarzanteil am Decken Lack abzunehmen? Eigentlich ist das gute Stück komplett zusammen gehörig. Vielleicht sollte man es einfach als museales Beispiel behalten und gar nix machen?


    Sehe gerade, Bilder von der Schnecke fehlen, reiche ich gerne nach.

  • Ich verstehe nicht, warum die Schnecke älter sein soll…? Die sieht weder älter aus, noch fällt mur ein Grund ein, warum deutlich ältere Schnecken in der Manufaktur jahrzehntelang herumliegen sollten, bevir man sie verbaut.


    Man kann sich natürlich alles „wertvoll und antik“ reden…. 😉

    Natürlich liegt in einer Manufaktur nichts lange herum, weil man halt das Geld brauchte und die Sachen verwendete. Aber es wurden schon immer noch brauchbare Sachen "recycelt", weil man halt nichts weggeworfen hat, was man noch verwenden konnte. Du kennst das ;)


    Und ich will mir nichts wertvoll reden, aber für älter als 120 Jahre halte ich die Geige schon. Wir wissen beide, dass bei Geigen, die keinem Meister zugeordnet werden können, der Wert in Zustand und Klang liegt.

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    Deshalb meine Frage noch mal: sieht man den Anschäfter von oben in den Wirbelkasten hinein gar nicht? ist er vielleicht sehr geschickt gemalt?

    Und wirkt das Holz mit dem häufigen Wechsel von fetten und mageren Wintern nicht schon sehr alt? Und es ist schon richtig, sehr alte böhmische Geigen haben oft recht schmale längliche Eckklötze und kleine gerundete Oberklötze und Unterklötze. Violinen, die nur 100-150 Jahre alt sind haben oft größere Eckklötze.

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    Doch, den Anschäfter sieht man auch an den Wirbelkastenwänden, wenn auch nur undeutlich. Aber allein am unterschiedlichen Holz kann man erkennen, dass Schnecke und Wirbelkasten angeschäftet wurden. Der Hals ist aus geflammtem Ahorn, Schnecke und Wirbelkasten aus Buche oder Birne, jedenfalls komplett ungeflammt. Hier noch ein paar Bilder:


       


    Das Deckenholz erinnert mich, wie gesagt, sehr an das der 3/4-Geige meiner Oma. Sie hat auch einen Anschäfter und ist sehr alt. Diese Geige hier ist innen auch wirklich dunkel, und das sieht nicht wie nachträglich gebeizt aus. Vielleicht wurde aber das Holz mit irgendwelchen Chemikalien behandelt, weshalb es jetzt so dunkel ist. Sollte ich mal in Markneukirchen sein, werde ich die Geige mitnehmen und im dortigen Museum vorstellen.

    Die Geige hat Charakter, und es würde sich m.E. lohnen, sie spielfertig zu machen. Vermutlich müsste dafür das Plateau, auf dem der Oberklotz sitzt, vergrößert werden, weil ich Deine Einschätzung teile, dass der kleine Oberklotz mit dem Schaden am Boden an dieser Stelle nicht stabil genug sein wird, um dem Saitenzug standzuhalten. Ich hab das bei meiner uralten englischen Geige gemacht, und es ist deutlich aufwendiger als ein Stimmfutter, wenn man das neue Stück Plateau anstückelt, weil man die vordere Wölbung und Neigung des Plateaus genau treffen muss. Es ging letztendlich nur mit einem Abdruck aus Plaste, der mir überhaupt erst mal die grobe Form gezeigt hat, die ich herstellen muss.


    Allerdings war bei meiner Geige der Boden an dieser Stelle nicht gebrochen. Diese Schwachstelle muss eigentlich immer mit heilem Holz verstärkt werden. Deshalb würde ich bei Deiner Geige nach dem Leimen des Bodenrisses das Plateau im Inneren des Bodens komplett entfernen und den ganzen Bereich aufdoppeln. Das bringt wieder Stabilität in den Bereich. Dann würde ich trotzdem ein größeres Plateau mit einem größeren Oberklotz (meinetwegen auch genagelt) herstellen und die Geige mit dem bestehenden Bassbalken barock einrichten. Oder vielleicht kannst Du sogar den Oberklotz weiter verwenden, wenn das Bodenholz im Bereich des Risses dicker bleibt, als vorher war. Weiß aber nicht, wie sich das klanglich auswirkt.


    So eine unverbastelte, alte Geige kommt jedenfalls nicht oft vor und ist vielleicht für Musiker der historischen Aufführungspraxis interessant. Ich würde sie deshalb nicht auf modern trimmen. Und sie hat nicht mal einen Stimmriss, das ist doch top! Den Deckenlack würde ich, ehrlich gesagt, so lassen. Gründlich reinigen, und alles, was dann an schwarzen Stellen noch da ist, sind die Reste eines ehemals roten Decklacks, der im Laufe der Zeit stark nachgedunkelt ist, so wie man es an der Schnecke sieht.

  • Ja, natürlich hat man einen anderen Blick auf ein Instrument, wenn man daran arbeitet- schon allein, weil man es in der Hand hat und natürlich mehr Details sieht als man von den Fotos erraten kann. Klar, und es ist natürlich schön und wunderbar, ein altes Instrument zu haben, und drüber zu spekulieren, was es schon alles erlebt hat, wer es gebaut haben könnte etc. Das mache ich ja auch, und dann gefällt es mir auch nicht, wenn mir einer so unsanft die Romantik zerstört. Und vielleicht ist die „romantische“ Geschichte ja auch wahr, ganz sicher kann sich da niemand sein, erst recht nicht vom Foto.


    Sorry, wenn ich da manchmal zu pragmatisch bin, und da eher zur „wahrscheinlicheren“ Theorie neige.


    Wenn Du meine Meinung trotzdem wissen möchtest -und klar, ich kann total falsch liegen!- die Schnecke ist keine Birne (die gibt es übrigens auch geriegelt!), sondern wahrscheinlich Ahorn (ungeriegelt) oder Buche (wobei ich mehr an Ahorn glaube, aber ich hab die Schnecke nicht in der Hand). Beim Alter bleibe ich bei „um 1900“, vielleicht auch 1880, aber viel älter glaube ich nicht. Es gab zu allen Zeiten -auch zu Zeiten der „Billigmanufakturen“ gute Instrumente, und kleinere Werkstätten, die auch mal „anders“ gearbeitet, improvisiert, verbessert, getestet etc. haben.


    Wenn Hals (Schnecke) und Korpus nicht (gut) zusammenpassen, dann spricht das entweder für ein Manufakturinstrument („Schachtelmacher“ haben nur den Korpus gebaut/geliefert, der Hals kam aus einer anderen Werkbank bzw. Werkstatt), oder für eine spätere Reparatur/Austausch aus welchen Gründen auch immer. Wie/wer/wann das gemacht hat/wurde, ist schwer abzuschätzen. Normalerweise haben Manufakturen zumindest ein bisschen darauf geachtet, dass Halsholz/Schneckenholz und Korpus zusammenpassen, aber das ging sicher nicht immer auf, und bei Buchenhälsen war es eh egal.

  • Der Steg der Geige ist mit "R. Weichold Dresden" gestempelt, der Stempel entspricht dem auf dem Boden des schon erwähnten Cellos. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass der Steg auf der Geige ist, seit sie in Familienbesitz gelangt ist.



    Online findet man ein paar Informationen zu August Richard Weichold, der von ca. 1850 bis 1882 Geigenbauer in Dresden gewesen ist. Er lernte bei Carl G. Pfretzschner in Markneukirchen das Geigenbau-Handwerk, kehrte nach Wanderjahren, u.a. in Paris, und einer Zeit in Hamburg nach Dresden zurück und stieg vermutlich in das Geschäft seines Vaters August Friedrich Weichold ein. Wie sein Vater war auch er "Instrumentenmacher der königlich musikalischen Kapelle von Sachsen", und nach seinem Rückzug 1882 und späteren Tod wurde das Geschäft von verschiedenen Geigenbauern bis 1945 weitergeführt. Ab ca. 1892 wurden in dieser Werkstatt auch die Dr. Stelzner Geigen gebaut abalon. (Alle Informationen aus dem Forum des Musikinstrumentenmuseums in Markneukirchen.)


    Die Firma verkaufte wohl Bögen verschiedener Markneukirchener Bogenbauer unter eigenem Stempel, und es ist anzunehmen, dass Gleiches auch für die Streichinstrumente gilt. Da Weichold in Markneukirchen gelernt hat, sollten seine selbstgebauten Instrumente auch die Merkmale Markneukirchener Instrumente aufweisen, was sie vermutlich schwer von den zugekauften unterscheidbar macht. abalon, kannst Du vielleicht schauen, was der Lütgendorf zu Richard Weichold sagt? Hat er seine selbstgebauten Instrumente gestempelt oder mit einem Zettel versehen? Weißt Du, ob die von ihm angefertigten Stege auch nach der Geschäftsübergabe an Liebhold Meyer und später August Paulus noch mit "R. Weichold Dresden" gestempelt wurden? Auch wenn das Stegholz ziemlich dunkel ist (viel dunkler als auf dem Bild oben), kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Steg 130 Jahre auf einer Geige übersteht, wenn er noch unter Weichold persönlich angefertigt worden sein sollte...


    Amati.com berichtet, dass Weichold Versuche unternahm, das Tonholz künstlich zu altern, was wohl nicht sehr erfolgreich war. Das könnte erklären, warum das Holz meiner Geige im Inneren so dunkel ist. Die Schnecke kann durchaus ungeflammter Ahorn sein. Der Lack von Schnecke und Wirbelkasten scheint identisch mit dem Lack des Korpus zu sein. Vielleicht wurde hier auch bewusst ein Anschäfter gemacht, um ein höheres Alter vorzutäuschen. Das würde auch zur künstlichen Holzalterung passen. Ich hab mal gelesen, dass schon Ende des 18 Jh. oder spätestens im 19. Jh. Geigen antikisiert wurden, um sich in gewissen Kundenkreisen besser zu verkaufen.


    Irgendwann werde ich mir beide Bände des Zoebisch zulegen, und vielleicht starte ich eine Anfrage im Forum des Museums zu Richard Weichold.