Das Übliche?

  • Aus der Familie habe ich eine Geige bekommen. Sie ist sehr fein gearbeitet, hat tolles Boden- und Zargenholz, aber einige Kleinigkeiten passen für mich nicht recht ins Bild: Die asymmetrisch geteilte Unterzarge, die Schnecke, deren Kehlung nicht bis zum bitteren Ende geht. Andererseits wurde die Schnecke fast unsichtbar angeschäftet, und auch die meisten Rissreparaturen sind sehr gut gemacht. Den Backenriss in der Decke links unten leime ich gerade neu. Die Bodenfuge im unteren Bereich des Bodens wurde wiederum eher lieblos neu verleimt, weshalb ich dort von außen Späne eingesetzt habe, die ich noch retuschieren werde.

    Die Ecken passen hundertprozentig in die Zargenecken (zumindest in Richtung Decke), aber die Zargenecken sehen aus wie BOB und die Reifchen sind nicht versenkt. Der Innenraum ist wirklich so dunkel wie auf den Bildern (Gebeizt oder doch nicht wegen der hellen Stelle, an der die Stimme stand?). Das Deckenholz hat eine sehr unregelmäßige Maserung, aber starke Spielspuren und sogar leichte Eindellungen rechts neben dem Griffbrett. Der Einlegespan ist auffallend schmal und sehr sauber eingepasst, der Lack hat Glanz und Tiefe.


    Ich tippe hier auf eine hochwertigere Geige aus dem sächsischen/böhmischen Raum. Was ist Eure Meinung, auch zum möglichen Alter?


       


          


       


          

  • Ja, Manufakturgeige aus Sachsen/Böhmen um 1900 kommt hin. Die Asymmetrie in der Unterzarge ist nicht "gewollt", sondern einfach "schlampig" gearbeitet. In Anführungsstrichen deshalb, weil es ja sonst ein "sauber" gebautes Instrument ist. Aber in Meister hatte das nie so gemacht- hier wurde eben die Zarge so angebaut, dass sie passte. Egal ob der Endknopf mittig ist oder nicht. Auch das Astloch im Bodenholz- man nahm eben, was man hatte, und wollte kein ansonsten schönes Holz verschwenden. Manchmal gibts da sogar Astlöcher auf der Decke... Also, für mich passt das alles ganz gut zusammen.


    Anschäfter: Auch ein weniger wertvolles Instrument kann gelegentlich in den Genuss einer teuren Reparatur kommen- beispielsweise, weil der Besitzer ein enges emotionales Verhältnis zum Instrument hatte (Geige vom Vater...), es einfach keine Neuinstrumente zu kaufen gab (Kriegszeiten, DDR-Zeit) oder weil die Geige sehr gut klingt (dabei stört so eine schief geteilte Unterzarge ja nicht!).

  • Danke für Deine Einschätzung. D.h. Du schließt aus, dass die Geige so alt sein könnte, dass sie mal einen kürzeren, durchgesetzten (?) Hals hatte, der dann modernisiert wurde? Gut, Ober- und Unterklotz sind gleich dunkel wie der Rest des Innenlebens. Der Oberklotz müsste in dem Fall neuer aussehen. Aber ich frage mich, warum sie dann einen Anschäfter hat.


    Die Naht der Unterzarge ist genau mittig zum Pin im Unterklotz. Dieser wiederum ist aber nicht in der Mitte der Decke, also in der Fuge, sondern daneben. Ich glaube, der Geigenbauer hatte hier einen Denkfehler, dachte, der Pin wäre mittig und hat die Zarge danach ausgerichtet. Der Pin ist auch ungefähr in der Mitte des Unterklotzes, also ist dieser auch schon nicht symmetrisch eingebaut.


    Es könnte vielleicht die Arbeit eines Gesellen sein, den sein Meister einfach mal hat machen lassen. Und dann durfte er gleich auch noch einen Anschäfter machen ^^


    Kann man diese halbrunde Form des Ober- und Unterklotzes einer bestimmten Schule zuordnen? Ich hatte hier noch keine Geige mit dieser Form der Klötze.

  • Bzw. ich habe von einer weiteren Methode, eine Geige zu bauen, gelesen, die in Ungarn gelehrt werden soll. Man macht zuerst den Boden. Auf ihn leimt man die vorbereiteten Eckklötze und setzt dort die Zargen an wie beim Bau um eine Innenform. Ich nehme an, dass die Ecken damit so aussehen, als wäre die Geige um eine Innenform gebaut, weiß das aber nicht genau. Die Reifchen sollen bei dieser Methode nicht in die Klötze eingelassen sein.


    Das könnte für mich die Tatsache erklären, dass es so viele Geigen gibt, die scheinbar aus Sachsen/Böhmen stammen, aber sehr gut passende Eckklötze haben. Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht daran, dass sich jemand die Mühe macht, in eine (in sich stabile) BOB-Konstruktion nachträglich richtig passende Klötze einzubauen. Blender oder Klötze, die nur oben, aber nicht unten am Boden passen, ja. Aber keine "richtigen" Eckklötze.


    Habt Ihr schon von dieser Methode gehört? Ich versuche mal, die Quelle zu finden, bei der ich das gelesen habe.

  • ……., aber einige Kleinigkeiten passen für mich nicht recht ins Bild: Die asymmetrisch geteilte Unterzarge, die Schnecke, deren Kehlung nicht bis zum bitteren Ende geht. Andererseits wurde die Schnecke fast unsichtbar angeschäftet, und auch die meisten Rissreparaturen sind sehr gut gemacht. Den Backenriss in der Decke links unten leime ich gerade neu. Die Bodenfuge im unteren Bereich des Bodens wurde wiederum eher lieblos neu verleimt, weshalb ich dort von außen Späne eingesetzt habe, die ich noch retuschieren werde.

    geigerlein, das sind interessante Fragen und Beobachtungen. Leider schaue ich nicht so oft ins Forum, deshalb erst jetzt:



    Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass bei Manufaktur Geigen, auch höherer Qualität, oft mehrere Geigenbauer gearbeitet haben. (Anders war das in Italien).Es war einfach effizienter und schneller, wenn einer sich auf zum Beispiel gute Einlagen und gute Geigendecken spezialisiert hat, diese Aufgabe also in guter Qualität und einem wirtschaftlichen Zeiteinsatz erledigt hat.


    Ich könnte mir gut vorstellen, dass sogar eine hochwertige Sebastian Klotz Geige mehr eine Modellbezeichnung war an der mehrere Geigenbauer mitgearbeitet haben. Genau so ist es mit der Reparatur. Oft findet man sehr hochwertige Reparaturen und gleichzeitig sehr schwache Instandsetzungen an ein und der selben Geige.


    Die Herstellung eines Zargenkranzes ist grundsätzlich relativ einfach, aber das Hobeln des stark geflammten Zargenholzes ist gelegentlich sehr schwierig. (Oft reißt das Holz oder wie sieht es beim Biegen unrunde Kanten). Zusammengehöriges Zargenholz ist sehr wertvoll. Es muss eine optimale Dicke haben um beim Heißbiegen nicht zu brechen. Manch ein Geigenbauer neigt deshalb dazu, ein etwas zu stark gekürztes Zargen Holz trotzdem zu verwenden. Deshalb sind viele Manufakturgeigen an der Unterseite etwas unsymmetrisch, wenn auch nicht so stark wie bei deiner Geige. Bei einfachen Geigen kam der Zeitdruck natürlich noch dazu.


    Wer sich einmal auf das „Gepopel“ mit dem Versenken des Reifchens in den Eckklötzen eingelassen hat, wundert sich zum Beispiel auch, warum die Bauweise von Cesare Candi (und Carl Schuster) mit dem durchgehenden Reifchen sich nicht mehr durchgesetzt hat, da sie schneller ist und statisch besser Ergebnisse liefert.



    Und grundsätzlich kann man natürlich Außenformen mit Innenformen im Herstellungsprozess kombinieren.

    Die Außen Form eignet sich auch sehr gut zur Herstellung definierter Zargen im Aufschachtelprozess.

    Des weiteren wird einem erst beim auf Aufsägen des Ahorn-Boden-Holzes bewusst, wie schwierig es oft ist, genügend Zargen-Holz (zusammengehörig) zu erhalten.


    Deshalb meine ich, dass man oft aus dem Innenleben einer Geige viel mehr Informationen herausholen kann wie aus der äußerlichen Betrachtung.


    Ich kann hier die Problematik nur anreiẞen und nicht erschöpfend diskutieren. Dafür müsste man Workshops machen…….

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    ………Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht daran, dass sich jemand die Mühe macht, in eine (in sich stabile) BOB-Konstruktion nachträglich richtig passende Klötze einzubauen. Blender oder Klötze, die nur oben, aber nicht unten am Boden passen, ja. Aber keine "richtigen" Eckklötze.


    Habt Ihr schon von dieser Methode gehört? Ich versuche mal, die Quelle zu finden, bei der ich das gelesen habe.

    Völlig richtig, geigerlein. Einen Eckklotz gegen Boden, Decke und Zargenkranz, also gegen alle Seiten bündig einzubauen geht schlicht und ergreifend nicht, auch mit Kreidetechnik. Blender hingegen lassen sich täuschend echt Mit 2-3 Handgriffen einbauen. Oft mit Hand gespaltenem Holz was wie gesagt sehr echt wirkt.


    Bilder: Sehr schnell gebaute Manufaktur Geige, böhmisch sächsisch, mit sehr sauber angepassten Blendern. Stehen gelassener Bassbalken, Durchgesetzter Hals.

  • Chiocciola, vielen Dank für Deine Einschätzung. Was denkst Du von Geigen, die echte, passende Eckklötze, aber keine versenkten Reifchen haben? Nach welcher Methode könnten sie gebaut worden sein? Mit einer Außenform oder nach der "ungarischen Methode"? Mir sind schon einige untergekommen, die allesamt sehr ordentlich gebaut wurden und gut klangen.


    Diese Geige hier klingt eher hell und ist sehr durchsetzungsfähig. Für wie alt hältst Du sie? Da die Schnecke aus ungeflammtem Holz ist (vielleicht Buche oder Birne), könnte sie älter sein als der Rest der Geige und nicht original dazu gehörend?