Bratschenrätsel No. 1

  • So, ich glaube, es ist Zeit, hier mal aufzulösen. Ich wollte niemanden von den geschätzten Forenmitgliedern testen oder so, sondern es ging nur darum, einmal ehrliche, spontane Eindrücke aufzufangen, ohne dass gleich bekannt wäre, dass dieses Instrument von einem Mit-Foristen gebaut wurde. Was tatsächlich der Fall ist, es handelt sich um das Werk unseres allseits geschätzten Chiocciola, der vielleicht selbst noch etwas dazu sagen wird (oder auch nicht).

    Hier meine Einschätzung: Es handelt sich in der Tat um eine kleine Bratsche, und ich würde sie vor allem dann empfehlen, wenn der Umstieg auf ein größeres Modell aus physiologischen Gründen schwierig oder gar unmöglich ist. Denn logischerweise kann ein kleiner Klangkörper besonders in den tiefen Lagen nicht genau den gleichen Wumms entwickeln wie ein großer, das ist einfach Physik.

    Gemessen daran und verglichen mit anderen "kleinen Bratschen", die ich bisher in den Händen hatte, ist jedoch hier der Klang für meine Ohren erstaunlich violatypisch, und ich mag ganz generell das Timbre, auch auf den tiefen Saiten. Positiv fällt mir auch auf, wie einige hier angemerkt haben, dass die A-Saiten nicht "plärrt", so wie es leicht bei insgesamt lauteren Bratschen schon mal vorkommen kann.

    Auch die Ansprache ist nach meiner Ansicht ausgezeichnet, und ich konnte keinen typischen Wolfston auf irgendeinem Ton der üblichen Chromatik entdecken.

    Sehr gut reagiert das Instrument auf Vibrato, man kann damit "zaubern".

    All das mag damit zusammenhängen, dass es sich hier in der Tat um eine Arbeit eines Amateurgeigenbauers (bzw.-Bratschenbauers) handelt, und zwar in einem positiven Sinn, den ich gerade beginne, schätzen zu lernen: Es handelt sich um Liebhaberobjekte, bei denen es um das Erreichen eines Ziels ankommt und nicht um einen hohe Effektivität beim Bauen. Das bedeutet: Wenn sich jemand wie Chiocciala in den Kopf gesetzt hat, eine bestimmte Qualität zu erreichen, dann nimmt er das Instrument eben auch fünf- oder sechsmal wieder auseinander, um es zu optimieren. Solch ein Aufwand ist bei einer üblichen Serienfertigung ausgeschlossen und erst wieder bei super-hochpreisigen Meisterinstrumenten üblich.

    Insofern denke ich, dass solche Instrumente eine interessante Marktnische füllen könnten: Einzelstücke, die mit viel Sorgfalt ausgearbeitet und abgestimmt wurden, wobei die Erbauer dabei nicht auf die Stoppuhr geschaut haben.

  • Ich würde da nicht von „Markt“ und dessen Nischen/Lücken sprechen. Denn wie Du schon sagst, der Aufwand, der dahintersteckt, ist mit dem realistischen Kauferlös nicht finanzierbar. Daher werden solche Instrumente Einzelstücke „unter Freunden“ bleiben, und das meiner Meinung nach jenseits jeglicher „Märkte“ und finanzieller Interessen.


    Vielleicht hat mich das Instrument an amerikanische Instrumente erinnert, weil es dort viele „Selbermacher“ gibt, und solche Instrumente tatsächlich auf dem Markt auftauchen (allerdings eben nicht zu einem Preis, der den Aufwand widerspiegelt).


    Nein, mit einem kleinen Klangkörper ist nicht so viel „Wumms“ im Bass herauszuholen, und eine Bratsche ist kein Cello ;) Aber es gibt auch kleine Bratschen mit relativ(!) viel Bass, und grössere, die relativ(!) gesehen weniger haben. Wie ich schon schrieb, war bei diesem Instrument bei den Arpeggien mehr Kraft im Bass als beim Anstreichen der Saite allein (also ist es kein Korpusproblem). Daher glaube ich, dass dort noch mehr Potenzial ist und sich durch das Einspielen noch mehr entwickelt.

  • Braaatsch Nennen wir es meinetwegen nicht Markt, sondern Nachfrage oder Bedarf oder Möglichkeit, und ein entsprechendes Angebot. Für mich, der alle seine Hobbies zu Berufen gemacht hat und so immerhin 25 Jahre als kleiner Selbständiger überlebt hat, ist das Wort "Markt" nicht anrüchig.

    "Jenseits finanzieller Interessen" ... das würde bedeuten, dass solche Instrumente verschenkt werden, und das erwarte ich zum Beispiel von so einem Instrument nicht. Ich erwarte hingegen, dass mindestens das Material bezahlt wird und darüber hinaus der "theoretische" Zeitaufwand zu einem "Hobbypreis". Mit "theoretisch" meine ich die Zeit, die derselbe Erbauer bei seinem sagen wir fünften oder zehnten Instrument brauchen würde ... und die Zeit, die er darüber hinaus hineinsteckt, verbucht er für sich als sein "Lehrgeld". So mache ich es jedenfalls (nicht beim Geigenbau, aber auf anderen Gebieten).

    Hätte ich geahnt, dass Ihr alle so auf BASS steht, hätte ich die unteren beiden Saiten dieser Bratsche noch etwas mehr gebürstet. ;)

  • Mit „keine finanziellen Interessen“ meine ich nicht, dass keine Aufwandsentschädigung fliesst, sondern dass jemand so ein Instrument baut, um damit Geld zu verdienen (=das also (auch) aus finanziellem Interesse macht und nicht (nur) als Spass an der Freud‘).


    …solche „Einzelstücke“ hat es immer gegeben und wird es immer geben. Das fing ja schon früher beim Dorfschreiner an, der dem Dorfschulmeister, dem Wirtshausmusikanten oder für‘s Töchterlein eine Geige zimmerte. Es gab ja auch die ganze Tradition der Volksmusikinstrumente, bis hin zu Sparten „professionellen“ Geigenbaus, die stark in der Volksmusik verhaftet war (alemannische Schule).


    Ohne interessierte, denkoffene Amateure und „Experimentalisten“ wäre unsere Instrumentenwelt viel ärmer, man denke nur an die Leute, die alle möglichen Sonderformen, Bassbalkenmodifikationen etc. entwickelt/gebaut haben. Sie alle haben sich Gedanken gemacht, und da kamen viele nicht ursprünglich aus dem professionellen Geigenbau. Ohne solche Enthusiasten hätte es auch das Revival der (Quint)Fideln etc. nicht gegeben, und vieleicht gerade weil die Leute sich viel selber beigebracht haben, waren sie offen für neue Lösungen.


    Da gab es meiner Meinung nach schon immer einen gewissen „Schattenmarkt“ der Hobbybauer, und der wird sicher bleiben.