Eine neue Patientin - wirklich alt?

  • Ich habe bei der Geige ein bißchen das Gefühl, als hätte sie plötzlich schnell fertig werden müssen. Der Boden ist auch innen sorgfältig ausgearbeitet, die Decke hingegen nur außen. Vielleicht gab es auch zufällig ein langes Stück Ahorn, das als Hals ohne Oberklotz eingebaut werden konnte. Ich glaube, die Leute waren damals pragmatisch und haben auch unkonventionelle Wege eingeschlagen. Oder einfach irgendwas ausprobiert. Der Hals ist am Zäpfchen ja auch auffallend schmal. Ich hoffe, das wird dauerhaft halten.


    Oder jemand hat die Geige eines geigenbauenden Verwandten fertig gebaut und war mit der Decke einfach nicht so sorgfältig. Hauptsache, sie sieht von außen gut aus.


    Da kann man sich wilde Geschichten überlegen, das ist auch das Schöne an solchen alten Instrumenten. Ich hab eine kleine Bratsche, bei der jemand im Nachhinein die Decke neu gemacht und alles dunkelbraun überlackiert hat. Ich hab den Lack entfernt und die Decke passend zum Rest lackiert. Sie ist zwar nicht so hübsch gekehlt wie der Boden, aber aus Haselfichte. Und die Bratsche klingt wunderbar...

  • Es ist völlig üblich, dass auch bei Instrumenten mit grob ausgearbeiteten Decken der Boden gut gearbeitet wurde. Da braucht man keine wilden Geschichten, nur etwas Logik: Die Bearbeitung des Bodens ist durch die F-Löcher hindurch sichtbar. Sprich, jedem wäre sofort die „Schlamperei“ aufgefallen.


    Bei der Decke hingegen müsste man mit einem Spiegel hineinschauen, oder die Decke abnehmen. Beides macht die Kundschaft im Allgemeinen beim Kauf nicht.


    Daher ist bei (fast) allen Geigen mit grob ausgearbeiteten Decken der Boden trotzdem einigermassen sauber gearbeitet.

  • Beim Stöbern im Forum des Musikinstrumenten-Museums Markneukirchen fand ich eine Aussage des Geigenbaumeisters Kretzschmann, in der er von einem sog. "durchgesetzten Hals" schrieb. Ich habe ihn kontaktiert und ihn gefragt, ob meine Geige so einen durchgesetzten Hals haben könnte. Er bestätigte das und meinte, das sei nicht nur im deutschen Raum, sondern in ganz Europa früher gängige Praxis gewesen.


    Allerdings sei der Halsfuß im Inneren der Geige sehr klein, was zur Folge haben könne, dass er dem Saitenzug nicht standhält und sich vom Boden löst. Also habe ich dort einen Klotz angesetzt. Die Decke sei laut Herrn Kretzschmann wirklich sehr schlampig ausgearbeitet, weshalb ich auch sie stärker als ursprünglich geplant nachgearbeitet habe. Bilder füge ich morgen an. Nun ist die Geige fertig für's Zuleimen :)

  • Beim Nacharbeiten ändert sich Vieles- Eigenton/Klang, Schwingungsverhalten, Lautstärke, Ansprache... bei guten Geigen ist die Decke nach Geometrie und Holzeigenschaften ausgearbeitet und klangoptimiert.


    Bei schnell angefertigten Geigen werden die Feinheiten sicher auf der Strecke geblieben sein, dennoch kann man davon ausgehen, dass der Erbauer aufgrund der schieren Menge an Geigen, die er in kurzer Zeit fertigstellen musste, oft auch eine Menge Erfahrung hatte und wusste, wie er mit einem Minimum an Arbeitszeit etwas halbwegs Funktionierendes bauen konnte.


    Halbwegs funktionierend deshalb, weil richtig schlechte Geigen hätte er nicht verkaufen können (die Konkurrenz war gross, da hätte sich der Händler einen anderen Zulieferer gesucht, also gab es „Mindeststandards“). Die Zeit, aus der „funktionierenden“ Geige eine sehr gute Geige zu machen, hatte der Erbauer eben nicht...


    Ich glaube trotzdem, dass viele der Geigenbauer, die im Verlegersystem unter Armut „verheizt“ wurden, eigentlich brillante Handwerker waren. Es wäre ihnen sonst nicht gelungen, unter ärmlichsten Bedingungen mit einfachen Werkzeugen in diesen Stückzahlen so schnell brauchbare Geigen zu bauen. Das war natürlich viel „Routine“, aber sicher auch eine Menge Fleiss, Erfahrung, Begabung und „Gefühl fürs Holz“. Unter anderen Umständen wäre sicher der eine oder andere (nicht alle, klar!) ein guter und bekannter Meister geworden.

  • Ich bin auch immer wieder begeistert, wie schön viele Geigen gearbeitet sind. Ich versuche mich ja erst vergleichsweise kurz an der Restauration von Geigen, hab aber schon deutlich gemerkt, wie viel Arbeit in diesem Handwerk steckt, wie genau man arbeiten muss, und wie lange es eigentlich dauert, bis man fertig ist. Sicherlich haben die Geigenbauer früher von morgens bis abends in ihrer Werkstatt gesessen... Aber ich arbeite lieber mit den Händen als mit Maschinen, auch wenn das länger dauert. Und als ein Hobby muss das alles zum Glück auch nicht schnell gehen :D


    Ich hab die groben Riefen auf der Geigendecke quasi eingeebnet. Etwas huckelig ist sie aber noch. Beim Anklopfen klingt die Decke klar und nachhallend, vor allem an den Backen. Dort hat sie einen tieferen Ton als in der Mitte. Ich bin gespannt, wie die Geige klingen wird.
    Damit wären wir beim Thema: Ich hab mal die Decke neben die einer neueren Geige gelegt. Da kann man sehen, dass der Bassbalken doch kürzer ist als ein moderner und auf alle Fälle nicht so hoch. Saiten mit wenig Spannung sind also ein Muss.


    Um den Klotz oder "Schuh" an den Halsfuß anpassen zu können, musste ich am Halsfuß Holzstreifen ergänzen, damit er eine regelmäßige Form bekommt. Die Aussparung im Oberklotz hab ich dann mittels Feilen (Mir fehlt ein gutes Ausstecheisen.) hergestellt. Den Klotz habe ich nicht bis zu den Zargen geführt, weil die Form dort wegen der Reifchen so unregelmäßig ist, dass ich das niemals hingekriegt hätte. Da das Plateau für den Halsfuß am Boden zu klein war, musste ich dort noch unterfüttern.


    Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich den neuen Oberklotz aus Gewichtsgründen noch etwas kleiner mache, da er in seiner jetzigen Form nicht komplett an der Decke anliegt, sondern übersteht. Also das Plateau für den Klotz an der Decke ist kleiner als der Klotz. Was meint Ihr? Füttern möchte ich die Decke an der Stelle eigentlich nicht.

  • @Fiddler, aber andere Geigen haben doch auch Oberklötze, und ich habe den für diese Geige extra nicht größer als einen normalen Oberklotz gemacht. Oder meinst Du das, weil der Klotz so weit in die Geige hinein ragt?


    Ich möchte gern vermeiden, dass sich der wirklich schmale Halsfuß durch den Saitenzug vom Boden löst. Dann müsste ich die Geige zum Leimen vielleicht sogar wieder öffnen. Wohl werde ich aber die Teile vom Klotz, die über das Plateau in der Decke (also die Fläche der Decke, an die der Oberklotz angeleimt wird) hinausragen, noch wegnehmen. Statisch haben sie keinen Effekt, klanglich vielleicht schon...

  • Mit was vergleichst du?
    Ich habe hier eine offene Geige, gebaut nach Stradivari, hervorragende Arbeit. Womöglich keine
    Meisterarbeit, aber alles sehr genau und fein. Da stimmt alles bis ins letzte Detail.


    Ich messe 12 mm Dicke des Klotzes, ab der Zarge gemessen. Das dürfte etwa das sein, was deine
    Geige vor deiner Verstärkung hatte. Und das reicht auch.