„Geigenrätsel“

  • Also ich sehe in der Stegregion einige Risse und eingesetztes Holz.
    Die Risse liegen vielleicht nicht direkt über dem Stimmstock, aber so nah dran und vor allem unter den Stegfüssen, dass ich die dennoch als Stimmrisse und Bassbalkenrisse einordnen würde.


    Zertifikat brauchst Du, wenn Du sie gut verkaufen willst. Beim Wert tue ich mich seeeehr schwer. Das Instrument hat schwere Schäden in der Stegregion, da müsste man sehr genau prüfen was da los ist/war. Viele alte Instrumente, die für Darmsaiten ausgelegt waren, zeigen solche Schäden weil sie die erhöhte Saitenspannzng/Druck moderner Saiten nicht ausgehalten haben. Auch wenn die Schäden sehr gut repariert wurden, gibt es viele Leute die aus Prinzip keine Instrumente mit Rissen „im akustischen Herz“ kaufen.


    Wenn die original ist und wenn die „gesund“ wäääääre, ginge da sicher was zwischen 10.000 und 12.000, je nach Klang. So sehe ich selbst bei verbürgter Echtheit Schwierigkeiten, aber das ist MEINE Meinung. Ein Händler mit entsprechender Kundschaft im Hintergrund sieht das aber vielleicht anders.


    Du hast sie doch gekauft: Da weisst Du doch, was Du bezahlt hast. Viel mehr ist sie nicht wert, vielleicht eher weniger, sonst hätte sich doch ein anderer Käufer gefunden.

  • Die neuste Taxe gibt einen Wert von 8T bis 18T € an. Eine Bratsche ist sicherlich im höheren segment zu Bewerten. Aber wie Braaatsch schon sagt Risse im Bereich Steg sind Wertmindernd. Gehen wir von 8T aus und ziehen 50% ab bleiben noch 4T €. Und jetzt muß noch der Käufer gesucht werden der Privat so ein Instrument Kaufen würde ohne Garantie und Servis nochmal minus 50%. Bleiben mit Glück 2T € übrig. Da sehe ich auch den Kaufpreis.

  • Naja, Bratschen sind nicht zwangsläufig teurer als Geigen. Die werden ja nicht nach Quadratmeter Holz verkauft.... ;) Kontrabässe sind z.B. tendenziell eher billiger als Celli- weil es viel weniger Kundschaft gibt.


    Auch bei Bratschen gibt es weniger Spieler. Daher ist es vor allem auf dem Gebrauchtmarkt schwierig, und ganz besonders für so kleine Instrumente. Vielleicht findet man einen Geiger, der gelegentlich mal bratschen will/muss, das gibt es ja öfters...in vielen Amateurorchestern sind Bratschen Mangelware, da „opfert“ sich ab und zu ein Geiger... ;)


    Leider ist es bei Bratschern so eine Art Volkssport, Instrumente erst ab 40cm ernstzunehmen, selbst wenn sie sich fast die Finger brechen... Tendenziell haben natürlich kleinere Bratschen eher Probleme mit dem Volumen der tiefen Saiten, aber ich bin glücklicher Besitzer einer 38,5cm Bratsche, die ausreichend „Wumms“ hat. Wenn die Instrumente gut gebaut und gut eingestellt sind, können auch kleinere Bratschen ausreichend „Tiefe“ fürs Amateur-Orchester haben.


    Aber.


    Wie auch Geigen haben die wenigsten Bratschen „Solistenqualität“, und tendenziell sind es dann eben doch die grösseren Instrumente, die da punkten können.


    Insofern sehe ich in diesem Fall die Tatsache, dass es eine Bratsche ist, aufgrund der grenzwertig kleinen Korpuslänge eher als Nachteil an. Man muss jemanden finden, der so ein kleines Instrument sucht- und da sehe ich auch aufgrund der Vorschäden nicht den professionellen oder semiprofessionellen Käufer, sondern den Amateur/Liebhaber, naheliegend einen Geiger der die als Zweitinstrument nutzt. Entsprechend
    sehe ich die Preiseinschätzung eher wie Abalon, 2-3000 Euro und viel Geduld (oder Glück ) beim Verkauf.


    Bei ausnehmend gutem, lyrischen und vollen Klang siehts vielleicht besser aus. Ich traue dem Instrument da durchaus was zu. Am Besten gibt man sie bei jemandem in Kommission, der sich auf alte Instrumente/Barockinstrumente etc. spezialisiert hat. Da ist dann vielleicht mehr drin.

  • vielen Dank für die vielen Bewertungen. Frage: gibt es einen Abstand zu Bassbalken/Stimme, der einen Bassbalkenriss/Stimmriss exakt definiert und gegen einen "Deckenriss" klar abgrenzt? Die Risse scheinen altreastauriert und die Bratsche klingt sehr gleichmäßig über alle 4 Saiten und verstimmt sich in den letzten 4 Wochen nicht.

  • Wenn die Risse gut repariert sind kann die natürlich gut klingen. Stimmstabilität hat eher was mit den Wirbeln und dem Saitenalter zutun.


    Ich kenne keine exakte Definition bezüglich des Rissabstands zur Stimme/Bassbalken. Aber jegliche Risse unter dem Steg sind problematisch. Strenggenommen ist nur ein Riss über der Stimme ein Stimmriss, aber da dieStimme ja auch versetzt werden kann ist für mich alles, was im Stimmbereich gerissen ist, ein „Stimmriss“.


    Letztendlich ist es wichtig zu beurteilen, woher ein Riss stammt. Dannkann man entscheiden, inwieweit die Statik und die Schwingungseigenschaften der Decke berinflusst sind. Risse entstehen meist durch problematische Spannungsverhältnisse im Instrument. Bei der Rissreparatur muss man dem Rechnung tragen, und versuchen, die problematischen Spannungen zu reduzieren/möglichst zu beseitigen. Sonst reisst es ein paar mm weiter eben wieder.

  • Naja es ist wie im richtigen leben, nur weil man mal schlechte laune hat muß man kein schlechter mensch sein.
    Beim Stimmriss, egal ob ob ein paar millimeter link oder rechts ist es ein Wert Minderung. Es kommt auch nicht mehr darauf an ob eine Geige an Klang verloren hat oder nicht. Das Entscheidet der Käufer ob er trotzdem Bereit ist den Preis zu Bezahlen. Und die sind in dem Fall nicht oft zu finden. Zumal wie Braaaatsch auch schreibt nicht verhersehbar ist wo die Spannung herkommt und ob es ein Ende hat.

  • "Risse entstehen meist durch problematische Spannungsverhältnisse im Instrument."


    Da würde ich gerne mal kurz einhaken, hoffentlich ohne zu weit vom Thema abzulenken, weil es mich interessiert und ich z.T. widersprüchliche Aussagen gehört habe.


    Aussage 1: Stimmrisse entstehen quasi immer durch einen Unfall, bei dem sich die Kraft des Stoßen dann eben in dieser Region fokussiert wird (man stelle sich vor ein Instrument fällt auf den Instrumentenboden, dann geht die komplette Kraft die am Boden noch einigermaßen verteilt ist genau auf die Stimmregion der Decke).


    Aussage 2: Stimmrisse entstehen auch einfach durch "Altersschwäche" und sind bei Instrumenten vor ca. 1850 schon im Preis inbegriffen.


    Ich hab' zur Zeit ein rissfreies Instrument von 1820 hier zum Testen, daher interessiert mich das mit der potentiellen Altersschwäche besonders :D

  • Aussage2: also eines ist sicher richtig: irgendwann stirbt auch jede Geige/Bratsche an Altersschwäche.


    Vielleicht sind es erst deine Urenkel oder deren Kinder, aber irgendwann hält jemand den toten, spröden Geigenkorpus in Händen und kann seinen Zerfall nicht aufhalten, schon gar nicht, wenn er regelmäßiger Bespielung unter wechselnden Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnissen und UV-Bediingungen ausgesetzt ist.
    So ist es ja auch mit Papier - nicht nur deshalb zeigt das Musee d`Orsay bestimmte Arbeiten ( Kreidezechnungen von Degas etc.) nur unter Ausschluss von UV Licht und hinter Glas im Keller, und das auch nur temporär. Auch bestimmte Fresken in Padua werden nur wenigen Menschen gezeigt mit dem Hinweis, sie möchten möglichst wenig ausatmen :thumbup:
    Auch die Tracheiden des Holzes verlieren pro Tag vielleicht 0,1 ppm an Elastizität. Und dann zerfallen sie einfach.



    Aber trotzdem: Stelle uns das Testinstrument, vielleicht als Geigenrätsel,einfach vor?



    Vielleicht ist die Lagerung eines Instrumentes von ca. 1750, also 100Jahre älter, gerade in den ersten 100 Jahren in der Regel viel schwankender, zumindest was Feuchtigkeits- und Temperaturschutz angeht?
    Vielleicht können Instrumente nur bei optimaler Beizung und Lackierung funktionsfähig ein hohes Alter ereichen? Vielleicht bewirkt die fleckige Beizung der (vermeintlichen) Leidolff-Bratsche eine gewisse Stabilität?


    Würde mich ja schon interessieren, wer und warum er gerde an dieser Stelle ein Stück in der Decke ausgebessert hat, und warum die Maserung so schlecht angepasst ist? Der Mann vom Reparaturzettel müsste es eigentlich besser gekonnt haben?


    Aussage 1: Ist sicher immer ein möglicher Aspekt. Ganz zu schweigen von schlecht abgelagertem oder unregelmäßigem Holz. (ersetztes Stück in Decke?)


    Für mich hat die kleine Bratsche schon deshalb einen gewissen Wert weil ich sie als Anfänger so einfach spielen kann. Sie verzeiht mir meine Unzulänglichkeit und ich muss nicht mal stimmen :saint: .
    Habe auch eine Bratsche, die Ladislau Cristian Andris bis vor kurzem als Hauptinstrument gespielt hat. Voller Klang, aber ich kann sie kaum spielen, :S so what.
    Buona notte