Russische Geige

  • Instrumente waren im Ostblock kaum zu bekommen, und wurden in egal welchem Zustand hoch geschätzt. Man konnte nicht einfach in einen Laden gehen oder zu einem Geigenbauer, und eine Geige kaufen. Bis 1989 hat man in der DDR nicht mal eine Blockflöte im Laden bekommen!


    Was man nun genau im Laden kaufte, weiß ich nicht. Aber man konnte nicht nur Blockflöten kaufen, sondern
    auch eine der unzähligen Geigen, die in der DDR hergestellt wurden. Bevor hier ein falsches bild aufkommt:
    Die Musikszene in der DDR hing der westlichen nicht hinterher. Es gab auch E-Gitarren, Synthesiser, Saxophone
    und hunderte Bands jeglicher Musikrichtung, die auch kommerziellen Erfolg hatten.
    Und auch da muss ich widersprechen: Man spielte auch in der DDR auf guten Geigen und auch dort war eine
    schlechte oder kaputte Geige halt einfach Schrott und wurde nicht geschätzt.

  • Fiddler, hast Du wirklich in der DDR gelebt?


    Für Privatleute ohne Parteibuch war es wirklich nicht oder nur über Vitamin B und gegen harte Devisen möglich, Instrumente zu erwerben. Natürlich wurden gute Instrumente gebaut, diese aber „unter dem Ladentisch“ verkauft.


    Als begabte Jungpioniere in der Musikschule, mit richtigem Parteibuch der Eltern und entsprechenden schulischen Leistungen bekam man Instrumente zur Verfügung gestellt, oder konnte auch mal eines erwerben- mit Eltern im Kirchenvorstand sah das allerdings anders aus.


    Meine Musiklehrerin hatte damaLS
    „Kontingentinstrumente“, die sie an ihre Schüler verkaufen konnte. Dabei ging es nur um Blockflöten. Einfache Blockflöten, die für uns eben NICHT einfach so erhältlich waren...

  • Auch wenn es offtopic ist... aber ich habe wie Fiddler die Erfahrung gemacht, dass es in der DDR durchaus ansehnliche Instrumente gab, die nicht unter dem Ladentisch verkauft wurden. Vielleicht gab es regional Probleme? Ich komme aus der Berliner Gegend und wir hatten eigentlich sehr viel von dem, was es angeblich nicht gab. Ohne Kirchenzugehörigkeit oder Parteibuch. Das soll keine Schönfärberei sein, aber ich glaube, man muss die DDR sehr viel differenzierter betrachten, als das gemeinhin getan wird. Und das trifft auch auf die Musikinstrumente zu. "Mein" Geigenbauer kommt auch aus der DDR, hat dort seine Ausbildung und den Meister gemacht, arbeitet auch heute noch in den neuen Bundesländern und hat einige Preise gewonnen. Das Wissen hätte er nicht erwerben können, wenn es nichts gegeben hätte. Lange Rede, kurzer Sinn: Musik und DDR passen sehr wohl zusammen und es gibt keine allgemeingültige Aussage darüber, was es gab oder nicht. Ich persönlich hatte alles (auch meine deutliche ältere Schwester, die verpflichtenden Instrumentalunterricht auf dem Gymnasium hatte).

  • Fiddler, hast Du wirklich in der DDR gelebt?


    Nein, ich habe da zwar schon gelebt, aber in Bayern. Aber man bekommt, wenn man interessiert zuhört,
    im Laufe des Lebens viele Geschichten mit. Was man alles „unter dem Ladentisch“ ergattern konnte, ist schier unglaublich:
    Motoren für Unterwasserfahrzeuge, Seide für Ballone, Glasfaser und Harz für Surfboards (es gab sehr gute Surfbretter aus
    privater Hand in der DDR) und dann eben Hunderttausende guter Instrumente der Musikszene (Jazz, HipHop, Funk, Pop)
    die staatlich nichts bekommen haben, sondern im Gegenteil alles privat stemmen mussten.


    Dass es (privat) Blockflötenmangel gab, wusste ich nicht. Ist aber wieder ein interessantes neues Puzzle. Wobei ich das jetzt
    nicht für die gesamte DDR abspeichern will. Oder doch?

  • In der Gegend um Berlin gab es „alles“. Da wollte man den „internationalen Tourismus“ beeindrucken, und natürlich auch die Westberliner, den „Klassenfeind“.


    Ein „Gymnasium“ gab es nicht. Kinder wurden in die POS eingeschult, und hatten bei entsprechenden Leistungen und tadellosen Eltern die Chance, später auf die EOS (erweiterte Oberschule) zu gehen, sprich 10-12. Klasse/Abiturstufe.


    Ich hätte sofort sowohl eine Trompete als auch Trompetenunterrricht bekommen, wenn ich mich verpflichtet hätte, bei den Pionieren zum Appell zu blasen.


    Natürlich gab es Musikschulen, und viel lief über Begabtenförderung und eben über die Schule.


    Für Privatleute gab es aber nicht so ohne Weiteres Instrumente zu kaufen.


    Für Devisen, Habdwerksleistungen, Baumaterial, Trabbiteile, Fahrräder etc. gab es immer einen regen Tauschhandel, und dann bekam man auch Musikinstrumente.


    Ein authentisches Bild liefert das Buch „Wir sind doch nicht die Meckerecke der Nation“.

  • Kurz: Natürlich gab es Instrumente. Natürlich gab es Musik und eine Musikszene. Aber (fast) alles war eben staatlich gelenkt, sei es über Schule, Musikschule, Brigade/Betrieb oder „Kulturbeauftragte“.


    Als Privatmensch ausserhalb des Systems an Musikinstrumente zu kommen ging eben (fast) nur „unter der Hand“. Und wie Fiddler sagte: Unter der Hand gab es wirklich alles.


    Es gab eine riesige Produktion von Musikinstrumenten in Markneukirchen, aber nur wenige private Geigenbauer, die nicht genossenschaftlich organisiert waren. Die Ausbildung in Markneukirchen war und ist exzellent. Das gab es auch zu DDR-Zeiten. Aber wie die Weihnachtspyramiden, so ging auch der Grossteil der Musikinstrumente in den Export. Ja, ab und zu gab es mal „einen Schwung“ zu kaufen, aber weder „durchgehend“ noch „regelmässig“.


    Die Musikinstrumente waren auch sehr gut, zumindest dann, wenn das Rohmaterial gut war. Die Qualität der Lehierungen schwankte, was sich in unterschiedlicher Qualität der Blechblasinstrumente durchaus bemerkbar macht. Vom handwerklichen Standpunkt aus waren die Instrumente ok, und es gibt regelrechte „Kultserien“ gerade bei semiakustischen und Elektrogitarren, die Standards setzten. Für den Normalbürger waren diese jedoch kaum zu bekommen.


    Beispielsweise wurden auch die Korpusdimensionen der „Resonata“-Gitarren im Strömungskanal der Uni Leipzig optimiert, und die Schwingungsphysik vermessen. Das warcwiderrum ein Vorteil des staatlichen Systems- da wurde die Uni gezeungen, sich um die markneukirchener Gitarrenstabdards zu kümmern ;)

  • Danke, Braaatsch, für Deine Gedanken dazu! Klar - POS statt Gymnasium (ich war noch in der Grundschule). Für mich war das einerlei ;) Aber wie gesagt, so ganz kann ich - aus meiner Erfahrung - die Sache mit den tadellosen Eltern und der Parteiverbundenheit in Sachen Musikinstrumente nicht unterschreiben. Bei uns war es einfach anders - lag aber, wie Du schon sagtest, auch an der Gegend. Bei unserer Verwandtschaft sah es da schon anders aus, aber man wusste sich eben zu helfen. Wer einen Geigenbauer kannte, hatte eben auch eine Geige. Das Buch werde ich lesen - scheint spannend zu sein. Auch wenn ich noch heute teilweise im Osten lebe und ich daher eigentlich genug Zeitzeugen um mich herum habe (und Weihnachtspyramiden - das ist im Erzgebirge aber auch keine Besonderheit). Aber: Erinnerungen sind immer unterschiedlich und gerade beim Thema DDR streiten sich derart die Geister, dass man glaubt, die Sache liegt über 100 Jahre zurück und keiner kann sich mehr genau daran erinnern. Wir hatten einfach das Glück, sehr gut mit Musik versorgt gewesen zu sein. Und ob man nun den Hokuspokus mitmachte, um z.B. eine Trompete spielen zu können, lag an jedem selbst. Wie viele das wohl getan haben, ohne sich für die Politik zu interessieren? ;)