Geigenfund, Alter/Wert?

  • Hallo!
    Habe eine Geige in einem Karton gefunden und es würde mich sehr interessieren, was das für eine Geige ist, bzw wie alt die ist und ob die evt was Wert ist. Leider ist der Kopf weggebrochen und ich würde gern wissen ob es sich lohnt, die Geige zu restaurieren. Ich selbst habe nicht sonderlich viel Ahnung von Geigen, mir fällt nur auf, dass die Form sehr ungewöhnlich ist (kantenlos) und auf mich wirkt sie relativ alt. Kann leider keine Innenschrift oder Ähnliches finden.. Würde mich sehr freuen, wenn mir jemand etwas dazu sagen kann!


    Lg!

  • Die Geige ist alt, könnte 100 Jahre oder älter sein. Sie wurde nicht von einem richtigen Geigenbauer gebaut, sondern
    ist eine Laien- bzw. Hobbyarbeit. Das Holz der Decke ist ganz falsch verarbeitet, wohl auch keine Fichte,
    die Randeinlage fehlt, die Löcher sind groß geschnitzt. Der Klang dürfte kläglich sein, sie wurde deshalb auch ewig
    nicht gespielt, es sind noch uralte Saiten drauf, aber nur zur Deko, selbst der Saitenhalter ist falsch befestigt.
    Die Form ist nicht ungewöhnlich, in Italien gab es z.B. einen Geigenbauer „Guseto“, der viel in dieser Form gebaut hat.
    Der Wert liegt etwa bei 15-20 EUR, je nachdem ob jemand eine Geige als Deko braucht. Zum Spielen ist sie nicht
    geeignet. Eine Restauration würde nichts bringen, weder vom Klang, noch würde der Wert dadurch steigen.


    „Traeumtager“ gefällt mir übrigens, ich mag Sportwiele :D

  • Okay, hab mir sowas gedacht, aber innerlich gehofft, dass es vielleicht was Besonderes ist :D Du meinst zum Spielen sicher gar nicht geeignet, wenn man die als Grundlage nimmt und in Schuss setzt?


    Danke für die schnelle Antwort!

  • Man kann sicher drauf spielen und es werden auch Töne herauskommen, aber ob sie gut klingt ist fraglich. Eine dafür notwendige Reparatur übersteigt den Wert allerdings. Trotzdem: Wenn man Spass dran hat oder selber reparieren will ist das kein „hoffnungsloser Fall“. Und meistens liegt das „schlechte Klingen“ eh am Spieler ... ;-)“.

  • Ich weiß auch nicht so recht, ob man da überhaupt vernünftige Töne rausbekommt. Irgendwie scheint die Geige gar nicht zum Spielen gebaut zu sein. Es gibt keinen Untersattel (oder bin ich blind?) und der Saitenhalter würde wahrscheinlich auf dem Korpus aufliegen, wenn man nicht einen überhohen Steg einsetzt. Kann aber auch täuschen. Ein Bild von der Saite wäre schön.
    Wäre es meine, würde ich allerdings einen Steg dafür anfertigen, vorhandene Saiten aufziehen und mal hören, was rauskommt. Ist ein Stimmstock im Korpus?

  • Also mich macht der Saitenhalter ein wenig stutzig. Die grundsätzliche Bauform (Brett mit sechs Löchern) ist richtig alt (so Barock- und Rennaissanceära alt) und meines Wissens schon sehr viel länger als hundert Jahre nicht mehr üblich. Ich sehe natürlich, dass er auch dafür falsch befestigt ist; aber das muss nicht die Person gewesen sein, die die Geige gebaut hat. Wer auch immer es für eine gute Idee hielt, die alten Saiten mit Knoten zu "reparieren", könnte auch den Saitenhalter so montiert haben, wie er jetzt ist.
    Ich sehe neben dem Saitenhalter noch andere Details, die unstimmig sind, wenn man davon ausgeht, dass ein Laie oder Hobbybastler vor hundert oder von mir aus auch hundertfünfzig Jahren, sich die Geigen seiner Zeit angeschaut und beschlossen hat, so etwas in vereinfacht selbst nachzubauen. Da wäre das vergleichsweise kurze, schmale, nah an der Decke verlaufende und nur schwach gewölbte Griffbrett zu nennen. Außerdem der Umstand, dass allem Anschein nach nie ein Kinnhalter an der Geige montiert war. Mich würde sehr interessieren, wie der Übergang vom Hals in den Korpus aussieht, aber auch so sehe ich ein Häufung von 'barocken', nicht in die Zeit vor hundert Jahren passenden, Merkmalen, die sich meiner Ansicht nach nicht dadurch erklären lässt, dass vor hundert Jahren ein Laie aus Ahnungslosigkeit von den Standards seiner Zeit abgewichen und zufällig bei diesen Formen gelandet ist.
    Neben der höfisch/klerikalen Musiktradition gab es ja auch eine, nennen wir es mal "bäuerliche", Musiktradition des einfachen Volkes. Die konnten sich unmöglich Instrumente von Meistern wie Stainer, Amati oder Stradivari leisten und haben sich (zumindest solange es das 'Verlagswesen', Manufakturen und andere Quellen für erschwingliche, standardisiert und professionell hergestellte Geigen noch nicht gab) ihre Instrumente deshalb selber gebaut. Ich denke, bei dieser Geige könnte es sich um so ein historisches Bauerninstrument handeln, das - auch wenn es, da hat Fiddler vermutlich Recht - klanglich eher Banane sein dürfte - durchaus einen gewissen historischen Wert haben könnte. Alter adelt, und wenn die Geige ihre barock anmutenden Merkmale hat, weil die als sie gebaut wurde, so Standard waren, wären die Kriterien des normale Geigenhandels in diesem Fall kein Maßstab und sie wäre kein 15-20€ Deko-Objekt sondern was für ein Museum. Es kommt halt darauf an, wann die Geige tatsächlich gebaut wurde, aber das muss jemand beurteilen, der sich mit historischen Streichinstrumenten wirklich auskennt.

  • In die Richtung „Dorfmusik“ würde auch meine Vermutung gehen. Da wurde das Instrument beim örtlichen Schreiner oder Kunstschnitzer in Auftrag gegeben. Der hat sich dann unter Umständen das Altarbild im Nachbardorf angesehen wo eine Geige draufwar, oder eben nach Gutdünken versucht, eine Geige herzustellen.


    Und auch wenn es klanglich sicher keine Stradivari ist, so wird sie im Wirtshaus oder in der sonntäglichen Messe schon ihren Dienst getan haben.


    Wir sind heute eben qualitativ sehr verwöhnt...wir können uns billige und auch gute Geigen in China bestellen, haben Heizung, Strom und fluessendes Wasser- und können uns die entbehrungsreiche, von Hunger und wenig freien Entscheidungen geprägte Zeit nicht vorstellen. Die meisten Leute damals sind nie mehr als 20km vonm Heimatdorf weggekommen...


    Und zum Klang: Das Holz wurde so verarbeitet, wie es für die Stabilität am Besten ist. Auch der Boden muss schwingen, und sa wird oft aus der Schwarte geschnitten. Auch Sperrholzbässe klingen. Auch Sperrholzgitarren klingen. Und auch diese Geige wird klingen. Sicher nicht wie eine Stradivari, aber so, dass man damit Musik machen jann schon.

  • Zitat

    In die Richtung „Dorfmusik“ würde auch meine Vermutung gehen. Da wurde das Instrument beim örtlichen Schreiner oder Kunstschnitzer in Auftrag gegeben. Der hat sich dann unter Umständen das Altarbild im Nachbardorf angesehen wo eine Geige draufwar, oder eben nach Gutdünken versucht, eine Geige herzustellen.


    Möglich. Aber man sollte nicht vergessen, dass die heutige (und auch die barocke) Form der Geige nicht über Nacht vom Himmel gefallen sind und alles was vorher da war schlagartig verdrängt haben. Bauern haben sich Fiedeln gebaut, lange bevor das, was wir heute unter einer Geige verstehen, entstanden ist. Die heutigen Streichinstrumente sind eine von vielen Entwicklungslinien, die aus mittelalterlichen Streichinstrumenten hervorgegangen sind. Es gab - gerade in der Bauernmusik - sehr lange eine enorme Vielfalt an Streichinstrumenten und lokal tradierten Bauformen, die lange Zeit parallel zu dem existiert haben, was wir heute unter einer Geige (oder einer Bratsche oder einem Cello oder einem Kontrabass) verstehen. Die prominenteste dieser "Alternativen zur Geige" ist die große Familie der Gamben. Und auch wenn die Geigenform diese Vielfalt an anderen Streichinstrumenten nahezu vollständig verdrängt hat, täte man den nicht in Geigenfamilie passenden Streichinstrumenten unrecht, wenn man sie als "mehr oder weniger gescheiterte Versuche, 'richtige Geigen' zu bauen" betrachten würde.

  • Dann müßte man ja bei dieser Geige davon ausgehen das Sie eventuel weit vor 1700 gebaut wurde und es sich eher um eine Fidel handelt oder aber ein einfacherbau war um überhaupt ein Instrument zu haben. Das Passiert auch heute noch. Fängt doch an intressant zu werden.