Beiträge von MrAranton

    Okay, wenn die Geige für 25€ inklusive Versand über die Bucht gegangen ist, hat der Vorbesitzer sie wohl doch unter Wert losgeschlagen - vorausgesetzt, der "kleine Riss an der Seite" - ist leicht zu reparieren. Aber wie gesagt: Auf den Bildern, die ja keine Seitenansicht bieten, habe ich ihn nicht gesehen und kann das daher nicht beurteilen.


    Dass sich einem Liebhaber bei dem Ansinnen, eine Geige zu einem Theremin umzufunktionieren, die Zehennähgel kann ich nachvollziehen. Und hätte Geigenlos vor dem Kauf einer ebay-Geige gefragt, was geeignet sein könnte, hätte ich auch auf eines dieser violin-shaped-objects verwiesen, die inklusive Bogen und Etui für fünfzig Euro oder weniger vertickt werden.
    Aber ich denke auch, man sollte sich fragen, wie man die Geige einstufen würde, wenn man nicht wüsste, was mit ihr geschehen soll. Angenommen, die Frage wäre nicht gewesen: "Ist diese Geige wertlos genug um ein Theremin daraus zu machen?" sondern "lohnt es sich die Geige zu restaurieren?" Meine Antwort auf diese Frage wäre - vorbehaltlich des angesprochenen Risses - gewesen: "Zum Selberspielen vermutlich schon, zum Verkaufen eher fraglich."


    Normalerweise bekommt man hier nicht mit, was aus Geigen wird, die so eingestuft werden. Natürlich möchte man sich denken, dass diese Geigen, wenn sie verkauft werden, bei Leuten landen, die sie liebevoll wieder herstellen (oder herstellen lassen) und ihnen neues Leben einhauchen, aber ich denke, das ist eine Illusion. Wer eine Geige zum Spielen sucht, geht nicht auf ebay, sucht sich dort eine Ruine aus, deren Zustand schlecht und der Klang überhaupt nicht anhand der Bilder beurteilen kann, um dann zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen, um sie von einem Profi wieder herrichten zu lassen und mit etwas Pech am Ende eine Geige zu haben, die klanglich überhaupt nicht gefällt. Und Leute, die professionell Geigenruinen auf ebay kaufen, um sie aufzubereiten und weiter zu verkaufen, suchen gezielt nach Geigen, von denen sie sich die besten Margen versprechen. Ein Preis von 25€ inklusive Versand verspricht eigentlich eine gute Marge; trotzdem wurde Geigenlos nicht überboten.

    Dass die Geige aus Frankreich stammt, lässt sich der Inschrift so nicht entnehmen. "Padoue" ist die französische Bezeichnung für die Stadt Padua, die bekanntermaßen nicht in Frankreich sondern in Italien liegt - so wie "Warschau" die deutsche Bezeichnung für jene polnische Stadt ist, die von ihren Bewohnern Warszawa genannt wird. Es gibt allerdings auch im französischsprachigen Teil Kanadas eine Ortschaft, die "Padoue" heißt, aber so klein ist, dass die Bezeichnung "ville" unangemessen scheint, und ich dort auch nicht unbedingt eine Geigenbauwerkstatt vermuten würde. Dazu kommt: Den Namen "Duchéne" - bzw. etwas, das so gesprochen wird - gibt es zwar in Frankreich, aber üblicherweise wird der Name eher Duchêne, Duchesne oder Duchaine geschrieben. Im 18. Jahrhundert war in Frankreich ein Bogenbauer namens Nicolas Duchaine (wobei der wohl auch die Schreibweise "Duchesne" verwendet hat) aktiv; bis in 19. Jahrhundert hinein sein gleichnamiger Sohn, aber dass diese Geige mit einem der Beiden in Verbindung steht, scheint mir nicht plausibel; dafür sieht sie dann doch nicht alt genug aus.
    Von daher würde ich sagen: Die Angaben im Korpus sind eine etwas cleverere Variante des gefälschten Stradivari-Zettels; ein Versuch, ein vergleichsweise einfaches Manufakturinstrument mit wohlklingenden Namen aufzuwerten, ohne direkt etwas Unwahres zu behaupten. Dass die Inschrift kein Verb enthält, das bedeuten würde, dass die Geige und Padua oder von Nicolas Duchéne hergestellt wurde, sodass der Text spitzfindig gelesen nichts weiter als eine Widmung auf Stadt und Person darstellt, ist ein weiterer Hinweis darauf. Von daher bedeutet die Inschrift in dieser Form nur, dass diese Geige irgendwo auf der Welt für den französischen Markt produziert wurde.


    Angesichts dessen würde ich nicht von einem superhochwertigen Instrument ausgehen. Den Wert kann ich anhand der Bilder nicht einschätzen - schon weil ich den "kleinen Riss an der Seite" nicht entdeckt habe. Sowas kann eine leicht zu reparierende Bagatelle sein, es kann - zumindest bei Manufakturinstrumenten - aber auch ein Totalschaden sein, den reparieren zu lassen mehr kosten würde als das wieder hergestellte Instrument wert wäre.


    Fazit:
    Die Wahrscheinlichkeit, dass Du da auf ein wertvolles Schätzchen gestoßen bist, das ein ahnungsloser Banause für viel zu wenig Geld losgeschlagen hat, halte ich für gering. Der Umstand, dass die Geige in diesem Zustand in der Bucht gelandet ist, sagt bereits etwas. Nämlich dass der Vorbesitzer es nicht für sinnvoll hielt, sie vor dem Verkauf wieder spielfit zu machen.
    Du hast diese Geige gekauft, Du kannst damit machen, was Du willst. An Deiner Stelle würde ich Deine Tochter fragen, ob sie ihr altes Hobby wieder aufnehmen möchte und falls die Antwort "ja" lautet, zu einem Geigenbauer gehen und fragen, was der für eine Restaurierung haben will und dann entscheiden, ob die Geige wieder fit gemacht wird. Falls die Antwort "nein" lautet, steht einem Umbau zum Theremin meiner Ansicht nach nichts im Weg.

    Ich stimme Braaatsch zu, aller Wahrscheinlichkeit nach kein Original. Das "run" halte ich für einen unbeabsichtigten Hinweis darauf, wo die Fälschung gemacht wurde: In alten, heute oft pauschal als "Sütterlin" bezeichneten, gebrochenen, deutschen Schreibschriften sieht das kleine e aus wie den heutigen Antiqua-Schriften ein kleines n. Das deutet auf den deutschen Sprachraum hin, und da ist Sachsen die Region, aus der mit Abstand die meisten Kopien stammen.

    Die Verhältnisse auf der Schwäbischen Alb stehen nicht exemplarisch für die gesamte Landbevölkerung. Da gab es, je nachdem, wie fruchtbar die Region war, erhebliche Wohlstandsgefälle. Und die Schwäbische Alb war, weil das Klima ungünstig und die Böden nicht besonders fruchtbar sind, lange Zeit eine der ärmsten Regionen Deutschlands, vermutlich sogar Europas. Wer Land bewohnt, auf dem sich mit Ach und Krach gerade so viel produzieren muss, dass man nicht verhungert, hat kein Geld für eine Geige übrig, aber wo die Verhältnisse günstiger waren, und in den Städten eher gehobene Produkte wie Wein, Gemüse oder Obst produziert wurden, konnte die Landbevölkerung durchaus zu einem gewissen Maß an Wohlstand kommen.
    Außerdem war das Ladengeschäft lange Zeit nicht der primäre Vertriebsweg für Güter aller Art; viel wichtiger waren mehr oder weniger regelmäßig stattfindende Märkte, zwischen denen fahrende Händler mit ihrem Sortiment hin und her gereist sind und auf Anfrage auch gezielt Sachen besorgt haben. Dazu kommt, dass längst nicht alle Transaktionen mit Geld abgewickelt wurden. Es heißt ja nicht umsonst "Kuhhandel". Und "Stradivaris" aus Böhmen gegen Naturalien zu tauschen, ist durchaus lukrativ; vor allem, wenn man Böhmen verschweigt und der Tauschpartner das nicht blickt.

    abalon:
    So ein entweder-oder ist das nicht. Auch lange nachdem die Geige in ihrer jetzigen (oder besser gesagt barocken) Form erfunden wurde, wurden lokal davon abweichende Streichinstrumente gebaut. Und zwar durchaus gezielt, damit sie den der lokalen Musiktradition entsprechenden Klangidealen genügen; und die konnten zum Teil dramatisch von denen der musikalischen Hochkultur abweichen. Vor allem, wenn diese Traditionen andere Stimmungen verwenden, die nicht auf reinen Quinten aufbauen, ist die Geige wie wir sie kennen, eher suboptimal, weil das Resonanzverhalten des Geigenkorpus nicht die bei diesen Stimmung erwünschten Obertonstrukturen liefert.


    Braatsch hat ja schon angesprochen, dass das einfache Volk sich selten mehr als zwanzig Kilometer vom Heimatort entfernt hat. Das heißt: Deren Musik- und Instrumentenbautraditionen waren auch sehr lokal und kleinräumig. Für diese Leute war das was sie kannten, eine richtige Geige. Und das war das, was der Sohn unter Anleitung des Vater gebaut hat, um beim Maibaumfest zusammem mit seinen Freunden und Cousins zum Tanz aufspielen zu können und nicht das, was irgendwelche großkopferten Bürger jenseits der Berge in Cremona gebaut haben.
    Diese sehr lokalen Musik- und Instrumentenbau-Traditionen wurden verdrängt, als Geigen aus quasi-industrieller Massenproduktion so billig wurden, dass - ähnlich wie beim Brot - das Selber-Herstellen unterm Strich teurer wurde als der Kauf eines böhmisch-sächsischen Manufakturinstrumentes.
    Traditionelle Fideln haben eigentlich nur dort überlebt, wo die traditionelle Musik auf Features basiert, die 'normale' Geigen nicht bieten können - z.B. Bordunsaiten wie bei der Hardangerfidel. Aber selbst die sind heute nicht mehr die historisch gewachsene eigenständige Bauform, sondern umgebaute Standardgeigen.

    Zitat

    In die Richtung „Dorfmusik“ würde auch meine Vermutung gehen. Da wurde das Instrument beim örtlichen Schreiner oder Kunstschnitzer in Auftrag gegeben. Der hat sich dann unter Umständen das Altarbild im Nachbardorf angesehen wo eine Geige draufwar, oder eben nach Gutdünken versucht, eine Geige herzustellen.


    Möglich. Aber man sollte nicht vergessen, dass die heutige (und auch die barocke) Form der Geige nicht über Nacht vom Himmel gefallen sind und alles was vorher da war schlagartig verdrängt haben. Bauern haben sich Fiedeln gebaut, lange bevor das, was wir heute unter einer Geige verstehen, entstanden ist. Die heutigen Streichinstrumente sind eine von vielen Entwicklungslinien, die aus mittelalterlichen Streichinstrumenten hervorgegangen sind. Es gab - gerade in der Bauernmusik - sehr lange eine enorme Vielfalt an Streichinstrumenten und lokal tradierten Bauformen, die lange Zeit parallel zu dem existiert haben, was wir heute unter einer Geige (oder einer Bratsche oder einem Cello oder einem Kontrabass) verstehen. Die prominenteste dieser "Alternativen zur Geige" ist die große Familie der Gamben. Und auch wenn die Geigenform diese Vielfalt an anderen Streichinstrumenten nahezu vollständig verdrängt hat, täte man den nicht in Geigenfamilie passenden Streichinstrumenten unrecht, wenn man sie als "mehr oder weniger gescheiterte Versuche, 'richtige Geigen' zu bauen" betrachten würde.

    Also mich macht der Saitenhalter ein wenig stutzig. Die grundsätzliche Bauform (Brett mit sechs Löchern) ist richtig alt (so Barock- und Rennaissanceära alt) und meines Wissens schon sehr viel länger als hundert Jahre nicht mehr üblich. Ich sehe natürlich, dass er auch dafür falsch befestigt ist; aber das muss nicht die Person gewesen sein, die die Geige gebaut hat. Wer auch immer es für eine gute Idee hielt, die alten Saiten mit Knoten zu "reparieren", könnte auch den Saitenhalter so montiert haben, wie er jetzt ist.
    Ich sehe neben dem Saitenhalter noch andere Details, die unstimmig sind, wenn man davon ausgeht, dass ein Laie oder Hobbybastler vor hundert oder von mir aus auch hundertfünfzig Jahren, sich die Geigen seiner Zeit angeschaut und beschlossen hat, so etwas in vereinfacht selbst nachzubauen. Da wäre das vergleichsweise kurze, schmale, nah an der Decke verlaufende und nur schwach gewölbte Griffbrett zu nennen. Außerdem der Umstand, dass allem Anschein nach nie ein Kinnhalter an der Geige montiert war. Mich würde sehr interessieren, wie der Übergang vom Hals in den Korpus aussieht, aber auch so sehe ich ein Häufung von 'barocken', nicht in die Zeit vor hundert Jahren passenden, Merkmalen, die sich meiner Ansicht nach nicht dadurch erklären lässt, dass vor hundert Jahren ein Laie aus Ahnungslosigkeit von den Standards seiner Zeit abgewichen und zufällig bei diesen Formen gelandet ist.
    Neben der höfisch/klerikalen Musiktradition gab es ja auch eine, nennen wir es mal "bäuerliche", Musiktradition des einfachen Volkes. Die konnten sich unmöglich Instrumente von Meistern wie Stainer, Amati oder Stradivari leisten und haben sich (zumindest solange es das 'Verlagswesen', Manufakturen und andere Quellen für erschwingliche, standardisiert und professionell hergestellte Geigen noch nicht gab) ihre Instrumente deshalb selber gebaut. Ich denke, bei dieser Geige könnte es sich um so ein historisches Bauerninstrument handeln, das - auch wenn es, da hat Fiddler vermutlich Recht - klanglich eher Banane sein dürfte - durchaus einen gewissen historischen Wert haben könnte. Alter adelt, und wenn die Geige ihre barock anmutenden Merkmale hat, weil die als sie gebaut wurde, so Standard waren, wären die Kriterien des normale Geigenhandels in diesem Fall kein Maßstab und sie wäre kein 15-20€ Deko-Objekt sondern was für ein Museum. Es kommt halt darauf an, wann die Geige tatsächlich gebaut wurde, aber das muss jemand beurteilen, der sich mit historischen Streichinstrumenten wirklich auskennt.

    Wenn Du nicht ohnehin ein neues Kolophonium brauchst (oder ein ganz billiges No-Nameprodukt verwendest), würde ich an Deiner Stelle nichs ändern. Das hat zwei Vorteile: Erstens vergleichst dann wirklich nur die neuen Saiten mit Deinen alten und nicht eine neue Saiten/Kolophonium-Kombination. Und zweitens können unvorhergesehene Dinge passieren, wenn sich zwei verschiedene Kolophonien im Bogen mischen. Das kann man zwar beheben (bzw. der Sache vorbeugen), indem die Bespannung auswäscht, aber wozu sich ohne Not Stress einhandeln?


    Ich persönlich stehe "passend zur Saiten" entwickelten Kolophonien skeptisch gegenüber. Nicht in dem Sinne, dass ich diese Kolophonien für schlecht halte, aber die Eigenschaften von Kolophonium hängen auch von den Umweltbedingungen (vor allem der Temperatur) ab, und dass ein Kolophonium beim Hersteller die super zu einer bestimmten Saite passt (wobei das auch ein subjektiver Eindruck ist!) bedeutet deshalb noch lange nicht, dass das auch bei mir im Wohnzimmer so ist. Deshalb denke ich, dass die Idee, das Kolophonium zur Saite auf den Markt zu werfen, eher den Gehirnen von Werbefritzen entsprungen ist als denen von Kolophoniumkochern oder Saitenspezialisten.

    Feinstimmer dieser Art gibt es unter den Bezeichnungen "Feinstimmer, englisches Modell", "Feinstimmer Piccolo" oder "Feinstimmer für Saiten mit Schlinge" von recht vielen Herstellern. Einigermaßen gut sortierte Musikalien sollten ein paar davon im Bestand haben. Ansonsten ist mir noch kein Online-Händler begegnet, der die nicht liefern kann. Aber ich muss einräumen, dass ich nur bei zwei Online-Händler tatsächlich bestelle.