was ist meine Geige wert??

  • Guten Tag allerseits,
    ich möchte hier gerne auch die Frage nach dem Wert meiner Geige stellen.
    Es ist eine 4/4 Geige und ich bekam sie ca 1975 von meiner Großtante geschenkt.
    Sie lag bei ihr auf dem Speicher und wurde früher wohl von ihrem Mann gespielt als er ein Junge war, das muss ungefähr 1910 oder später gewesen sein.
    Wem sie davor gehörte oder wie sie zu meinem Großonkel kam weiss ich nicht und kann es auch nicht mehr erfahren, da niemand mehr vo diesem Familienzweig lebt.
    In der Geige klebt ein Schildchen auf dem steht folgendes: "DULCIS ET FORTIS", "ORCHESTRE", "J.THIBOUVILLE - L y".
    Ich finde sie gegenüber der Geige meines Bruders (die vermutlich 1960 - 70 gebaut wurde) als relativ groß vom Corpus her und die Decke scheint im Vergleich auch gewölbter (kommt auf dem Foto nicht so heraus), die Geige meines Bruders wirkt irgendwie zierlicher. Möglicherweise macht das aber die dunklere Lackierung aus, die andere Geige ist deutlich heller und glänzender durch den neueren Lack.
    Meine Geige hat einen wie ich finde, eher dunkleren, warmen und recht kräftigen Klang.
    Am Boden hat sie einen ca 7cm langen Riss.
    Ich habe seit ca 38 Jahren nicht mehr gespielt und beginne gerade erst wieder damit und überlege, ob ich sie eigentlich versichern sollte, deshalb auch die Frage nach ihrem Wert.
    Mir ist klar dass das hier nur ein Schätzwert sein kann, aber ich wüsste es gerne wenigsten ungefähr.
    Ich bin sehr gespannt auf die Antworten und sage jetzt schon mal "danke schön" :)
    Diema

  • Hallo, ich bin jetzt keine von den Experten hier im Forum, aber sie gefällt mir gut.
    Was ich unbedingt loswerden muss: bitte unbedingt mal den Feinstimmer herausdrehen und mit dem Wirbrl nachstimmen, der Feinstimmer droht sonst die Holzdecke zu zerkratzen oder sogar einzudrücken!

  • hallo Violaine,
    danke dir für deinen Hinweis.
    Ich habe früher immer mit Feinstimmer gespielt und habe mir nie darüber Gedanken gemacht, zumal das ein Tipp meiner Lehrerin war.
    Ich habe mir die Geige gerade nochmal genau angesehen und du hast recht. Ich werde ihn rausmachen, dann kann ich auch gleich die Wirbel einseifen, sie laufen fast nicht mehr...

  • Ich meinte damit nicht, ihn ganz rauszumachen, für die e-Saite ist ein Feinstimmer absolut sinnvoll. Nur ein Stück herausdrehen, damit er genug Abstand zur Decke bekommt.
    Wenn man immer nur mit Feinstimmer stimmt, dreht man ihn unweigerlich im lauf der Zeit immer weiter rein, und da muss man ihn ab und zu mal wieder rausdrehen und einmal den Wirbel drehen, dann wieder mit dem Feinstimmer nachstimmen.

  • yupp......durch die verstärkte Nachstimmerei nach der langen Liegezeit hat sich der Feinstimmer natürlich reingedreht, ich hatte mich schon gewundert dass mir das früher nie aufgefallen ist.
    Zumal ich letztens noch kontrolliert habe ob der Steg noch gerade steht, der sich ja - vor allem wenn man mehrere Saiten neu aufzieht und dauernd nachstimmen muss - gerne auch mal neigt.
    Also - Problem gelöst :) !!

  • Das ist eine sehr schöne Geige, welche vermutlich in Mirecourt (Thibouville Lamy) entstanden ist. Mirecourt war ein französisches Geigenbauzentrum, die ähnlich wie Markneukirchen Geigen in grosser Stückzahl (aber nicht so viele wie in Sachsen!!) herstellten. Die Qualität reichte vom einfachen Schülerinstrument bis hin zu recht guten Instrumenten, Ihres wurde ich schon als ein besseres Instrument einordnen.


    Wert: Das kommt bei diesem Instrument sehr auf den Klang an. Der übersättigte Markt hat in den letzten 20 Jahren die Preise für Schülerinstrumente und auch gute Amateurinstrumente sehr einbrechen lassen. Da der Versicherungswert immer höher als der Verkaufswert liegt, würde ich hier etwa 1500-2000 als Versicherungswert ansetzen. Sollte das Instrument entsprechend klingen, evtl. auch mehr.


    Für den Abschluss einer Versicherung und dem Wertnachweis im Schadensfall ist ein vom Geigenbauer angefertigtes Gutachten, welches möglichst Fotos des Instrumentes enthält, sinnvoll.


    Es ist natürlich zu überlegen, ob eine Versicherung hier notwendig ist- vergleichbare Geigen gibt es z.B. bei Ebay für um die 500 Euro. Allerdings hat dieses Instrument sicher auch einen ideellen Wert- der ist unbezahlbar und rechtfertigt natürlich eine Versicherung. Ich würde daher einen Geigenbauer aufsuchen, und die Sache mit ihm bereden.

  • Dem Zettel nach handelt es sich bei diesem Instrument um eine Frankreich hergestellte Manufakturgeige (weshalb den Zettel nicht anzweifele, denn warum sollte jemand so einen Zettel fälschen?). Da waren ziemlich blumige Produktbezeichungen üblich, die einen viel höheren Wert suggerieren sollten, als das Instrument tatsächlich hat. Und weil es Anfang des 20. Jahrhunderts noch kein Markenrecht gab, wurden Namen munter geklaut. Jérôme Thibouville-Lamy war ein recht ronnomierter Geigenbauer, dessen Name - weil in der Normandy ein Dorf namen Thibouville gibt, gleich von mehreren Firmen verwendet wurde. (Ich bin auf einen alten Prospekt gestoßen, in dem darauf hingewiesen wird, und gesagt wird, woran man die Originalinstrumente erkennt. Dass der Name nicht ausgeschrieben sondern abgekürzt wird, lässt mich skeptisch werden. Auch die Tatsache, dass in dem Prospekt weder die Bezeichung 'orchestre' nocht 'dulcis et fortis' verwendet werden, deutet meiner Ansicht auf eine dieser 'Nachahmerfirmen hin.). Die Bezeichnung "orchestre" deutet auf ein im Preisrahmen der herstellenden Manufaktur nieder- bis mittelpreisiges Instrument hin - obwohl es da einen gewissen Unsicherheitsfaktor gibt. Wie gesagt: Die Bezeichnungen waren sehr phantasievoll und alles andere als einheitlich. Vom Finanziellen her dürfte eine Versicherung - auch wegen des Risses - nicht allzu viel Sinn ergeben. Und den ideellen Wert, den diese Geige durch ihre Familiengeschichte hat, erfassen Versicherungen sowieso nicht. Allerdings solltest Du berücksichtigen: Anhand von Photos sind solche Einschätzungen sehr schwierig; gesicherte Aussagen kann nur jemand machen, der das Instrument in natura begutachten kann. Leider können Wertgutachten ziemlich ins Geld gehen - mehrere hundert Euro sind keine Seltenheit - aber vielleicht gibt es in der Nähe ja einen Geigenbauer, der zu einer unverbindlichen, "über den Daumen gepeilten" Schätzung bereit ist, anhand derer man entscheiden kann, ob sich es lohnt, wegen Versicherung ein richtiges Gutachten in Auftrag zu geben.


    Zum Feinstimmer möchte ich noch etwas ergänzen: Bei Geigen mit stark ausgeprägter Deckenwölbung können sich herkömmlich Feinstimmer recht schnell ins Holz drücken. Da könnte es eine Überlegung wert sein, ob man nicht stattdessen einen 'englischen Feinstimmer' montiert. Die sind zwar etwas schwergängiger, aber dafür besteht aufgrund ihrer Bauweise absolut keinerlei Gefahr, dass sie sich ins Holz drücken.

  • Jüngst wurde mir mal eine angebliche Thibouville Lamy angeboten, die ähnlich aussah. Ich muss allerdings sagen, die Flammung war auf einfachen Ahorn aufgemalen, das aber so gut, dass erst ein genauer Blick notwendig war, um das zu erkennen.
    Ich hoffe, das ist bei Ihrer nicht der Fall -so die Bilder lassen es nicht erwarten.

  • Schon mal vielen Dank für die hilfreichen Antworten :) .
    Meine Eltern haben mir nach einigem Nachdenken zwischenzeitlich folgendes erzählt: als die Geige von meiner Großtante "geliefert" wurde, war sie in einem ziemlich desolaten Zustand, der Klangstock klapperte lose im Korpus rum, viele kleine Lackschäden waren vorhanden und sonst war nichts mehr dran (Steg, Wirbel, Saitenhalter.......)
    Beim Herrichten lassen meinte der Geigenbauer wohl, dass das eine "Meistergeige" sei (dass dafür auch der ganze Boden spräche) und sie sei ca 1000 - 2000 DM Wert. Das Ganze war in der Mitte der 70er Jahre).
    Ich werde demnächst die Geige meines Bruders mal hier einstellen, da wir überlegen ob es sich lohnt sie zu verkaufen oder ggf zu verschenken. Ein Geigenbauer hier bei uns verschifft Geigen nach Brasilien an eine Schule, das wäre dann eine Möglichkeit sie noch nutzbringend einzusetzen...
    Also nochmals "Danke" :thumbup: