Sieben Irrtümer über die Geige

  • Wer oder was ich bin, tut für mich da nix zur Sache. Das ist bei mir etwas komplizierter, hat wirklich nichts mit Erziehung zutun, aber das will und muss ich hier nicht erklären. Nicht, weil ich ein Problem damit hätte oder es irgendwie wehtut, ich für mich verpasste Chancen sehe oder was auch immer da so an Ideen und Ferndiagnosen kommt (das kann ich alles für mich verneinen), sondern weil das einfach nicht in ein Musikerforum gehört. Und weil ich auch nicht den Eindruck habe, dass ich Dir bisher nahebringen konnte, dass es eben nicht ganz so einfach ist mit der Lateralität. Ich versuche es noch ein letztes Mal:


    Du hast Recht, man ist links- oder rechtshändig (und es gibt sehr wenige Menschen, die beidhändig sind oder es zumindest erscheinen). Wie sehr diese Lateralität ausgeprägt ist, ist unterschiedlich. Sprich, der eine Rechtshänder kann Vieles auch mit links, ohne „gestört“ zu sein, ein anderer Rechtshänder kann es nicht. Bei Linkshändern ist es ganz genauso. Tests wie Klatschen, Arme übereinanderschlagen etc. sind keine spezifischen Feinmotoriktest, und können außer auf die Händigkeit auch einfach auf eine starke Körperseitendominanz -die nicht immer mit der Händigkeit übereinstimmen muss!- hinweisen bzw. von dieser für diese spezifische Tätigkeit „überschrieben“ werden. Nicht jeder Rechtshänder hat einen dominanten rechten Fuß (und bei Sportarten wie Eishockey, wo die Beinarbeit und die Ganzkörper-Schnelligkeit und Wendigkeit eine Rolle spielen, kann das auch mal über die Händigkeit dominieren). Weiterhin kann es individuelle anatomische oder perzeptive Gründe geben, warum eine Seite für bestimmte Tätigkeit benutzt wird (oder ein Sport auf eine bestimmte Weise ausgeübt wird). Daher ist es ganz unterschiedlich, wie sich die Lateralität im Alltag zeigt und dort ausgeprägt ist, und ob jemand Störungen entwickelt, sich gebremst fühlt etc. Bei beidhändigen oder beidhändig erscheinenden Menschen ist diese Lateralität im Alltag eben fast nicht sichtbar, auch wenn sie im Gehirn Links-oder Rechtshänder sind. Aus diesen Gründen ist es meiner Meinung nach nicht valide, Menschen, die bei manchen „Tests“ nicht absolut typisch rechtshändig reagieren, als Linkshänder einzuordnen („das ist Erziehung“). Dann müsste man entsprechend reagierende Linkshänder ja als Rechtshänder einordnen, das ist natürlich genauso wenig richtig. Dass es viele umerzogene Linkshänder gibt, dass es Probleme geben kann und oft gibt, ist absolut richtig.


    Dass diese Kategorien im Hirn festgelegt sind, ist auch richtig. Dass der Eine aber weniger und der Andere mehr -oder auch gar nicht beeinträchtigt ist bzw. sich nicht beeinträchtigt fühlt ist aber auch Fakt. Eben weil die Fähigkeiten der nicht-dominante Hand bzw. im Ergebnis der praktisch resultierende Unterschied der beiden Hände (und das meine ich mit der Lateralität bzw. deren praktischer Ausprägung) individuell unterschiedlich sind, und damit ein Spektrum entsteht. Daher entwickeln manche Menschen sichtbare Störungen und sind beeinträchtigt (die übrigens nicht nur durch die Händigkeit ausgelöst sein müssen, sondern lediglich korreliert sind oder durch diese verstärkt werden können und damit erst sichtbar werden) und andere nicht, und letztere fühlen sich dann vielleicht auch nicht beeinträchtigt. In diesen Fällen muss man dann auch keine Probleme sehen, wo keine sind (oder sie gelöst wurden). Das ist dann auch nicht „Verdrängung“, „ihr wisst es nur nicht“, „was ihr für Chancen verpasst habt, wenn ihr nur linkshändig...“ und ähnlichen Sachen, und man braucht dann auch keine „Heilung“ bringen, wo gar keine Krankheit besteht. Diese Fälle gibt es natürlich auch zuhauf, und es ist gut, wenn vor allem Lehrer da sensibel sind.

  • (...)

    Nein, keine extrem ausgeprägte Händigkeit, sondern jede ganz normale Händigkeit führt zu Problemen, wenn man sie ignoriert oder unterdrückt.


    Jede Anpassungsleistung an nicht händigkeitsgemäßes "falsches" Agieren verursacht Stress und zieht unnötige Energien ab, die bei händigkeitsgemäßem Agieren für mühelosere und bessere Ergebnisse zur Verfügung stünden. (...)


    Ich denke, in diesen Aussagen sind wir uns alle einig.


    Uneinigkeit besteht nur darin, ob wirklich jeder etwas unterdrückt, wenn er die Geige „anders“ spielt.

    Wenn Paganini als Linkshänder wirklich Stress und Energieverlust erlitten hätte, wäre er dann trotzdem

    so ein fantastischer, zu seiner Zeit beinah übermenschlicher Geiger geworden? Wie hätte er dann seinen Bogen

    dermaßen virtuos über die Saiten fliegen lassen können?


    Daher würde ich sogar sagen (wie weiter oben schon einmal erwähnt), dass es manchem sogar leichter fällt,

    die Geige „verkehrt“ zu halten. Manch Rechtshänder wäre bei einer Linkshändergeige besser aufgehoben,

    wer weiß? Das versuchen ja noch weniger als andersherum. (Bei Gitarristen gibt es viele prominente Beispiele,

    die als Rechtshänder „Linksgitarren“ nutzen).

  • Es gibt eine ganze Reihe genialer Künstler*innen und Musiker*innen, die sich bei näherem Hinschauen als Linkshänder entpuppten. Ob ihr Lebensweg anders verlaufen wäre, wenn sie händigkeitsgemäß hätten agieren können, darüber kann man nur spekulieren.


    Paganini war hochbegabt, ein genialer Geist, früh von körperlichen Einschränkungen gezeichnet, eckte bei so einigen an. (Von dieser Neigung zu Reibung und Widerspruch bei umerzogenen Linkshändern gibt es auch bei Frau Sattler einiges zu lesen ;) , ebenso wie über diverse körperliche Spätfolgen)

    Vielleicht wäre die geniale Musik von Paganini nie entstanden, wenn er sich nicht ständig hätte reiben müssen, wer weiß das schon.

    Paganinis Musik ist enorm linkshandbetont, unglaubliche Akrobatik auf dem Griffbrett, und er hat ja offenbar seine Geigen so eingerichtet und gehalten, dass seine linke Hand sich bestmöglich austoben konnte.


    Aber wie viele Paganinis gibt es unter uns? Gibt es nicht vielleicht viel mehr, die einfach schöne Musik machen wollen, Freude am Musizieren haben wollen, ohne sich so dermaßen aufreiben zu müssen, selbst um den Preis, dass es dann etwas weniger genial wird?


    Fragen über Fragen ;)

  • Tja, so kann man alles drehen und argumentieren, wie man das möchte. Alle Linkshänder haben also Probleme, weil eine „falsche Händigkeit“ ja immer zu Problemen führt. Und die, die keine haben, wissen es nur nicht. Und wenn sie es wissen, dann sind sie eben so genial, dass sie gerade wegen ihrer Probleme so gut sind.


    Ich würde mal sagen, dass ist ein geschlossenes Weltbild, gegen das man nicht argumentieren kann. Denn egal was sichtbar ist und wie sich derjenige fühlt, es ist je nach Situation Genialität, Schmerz, Leiden oder Dummheit/Ignoranz in diversen Kombinationen.


    Kann man nicht einfach die Lebensentscheidungen, die Berufswahl und die Entscheidung, ob ein Linkshänderinstrument infrage kommt dem Betreffenden selber überlassen...? Und zwar ohne ihm Leiden, Probleme und/oder schlechtere Leistung zu unterstellen, die er sich angeblich nicht eingestehen will, und ohne „vielleicht hättest du, wenn“ oder „es wäre für Dich doch viel besser, wenn...“ anzudichten? Wenn der Betreffende nicht leidet oder sich nicht eingeschränkt fühlt, so mag ihm das bevormundend und pathologisierend vorkommen, ihn seiner Meinung und dem Urteil über den eigenen Körper und den eigenen Zielen nicht ernstzunehmen und seine Leistung und seine „Nicht-Behinderung“ zu hinterfragen. Das mag im pädagogischen Kontext ok sein im Rahmen von gewünschter Diagnostik und Therapie, fremden Erwachsenen gegenüber ist das “Du hast Probleme du weißt es nur nicht” schon etwas übergriffig. Und wenn derjenige tatsächlich Schwierigkeiten hat, mit denen er kämpft, so will er vielleicht nicht von Fremden „mit guten Ratschlägen“ traktiert und seine Leistung und Lösungsansätze infragegestellt werden, weil es ja außer „Linkshänderinstrument oder schlechtere Leistung“ keine andere Denkweise gibt.


    Es soll ja darüberhinaus auch Leute geben, die gerne an ihren Schwächen arbeiten, gerne ihre schwache Seite trainieren, Neues probieren, ihre Grenzen verschieben. Das ist für mich persönlich ein wesentlicher Bestandteil des Musizierens, und ich genieße das, auch das gelegentliche Scheitern bis man es dann am Ende eben doch irgendwie hinbekommt. Den eigene Weg, der bei mir vielleicht auch manchmal anders aussieht (und, Achtung, Spoiler: wegen eines Halswirbelsäulenschadens Geige und Bratsche nicht mehr gehen), kläre ich individuell mit meinem Lehrer, so wie jeder andere auch seinen individuellen Weg und seine individuellen Schwierigkeiten hat und Lösungen finden muss. Das kann auch ein Linkshänderinstrument sein.


    Da gibt es tatsächlich Schlagzeuger, die schaffen es, Arme und Beine -egal wie dominant oder nicht- unabhängig und koordiniert zu bewegen. Und Organisten, die dabei noch viel treffsicherer sein müssen... Das ist für mich bewundernswert- ich könnte das nicht und werde das nie können, egal ob ich links-oder rechtshändig bin. Auf der anderen Seite des Spektrums gibt es dann vielleicht Leute, die quasi eine händigkeitsangepasste Triangel brauchen. Und dazwischen mag es alles geben- und jeder sollte seine Entscheidungen treffen können.

  • Es ist ja toll wenn man Intensiv über ein Thema Diskutiert, wenn sich aber immer wieder die selben

    fragen neu beantwortet werden wird es langweilig.

    Hier werden so viele Thesen aufgestellt das es schon an absordum zu leiden beginnt.

    Fakt ist ob Links oder Rechts den Vorzug gegeben wird sagt nichts darüber aus ob es Tatsächlich

    schlechter oder besser ist und auch nicht das der Erfolg davon abhängt oder nicht.

    Es gibt Musiker die können beides, es gibt welche die können nur Rechts, es gibt welche die können nur Links.

    Das Instrument spielt hier für keine Rolle. Wer kein Intrument findet für seine Handart hat also die Wahl

    das Intrument trotzdem erlernen zu wollen und nimmt dies in kauf, das heißt nicht das dadurch schlechter gespielt wird oder wenn es die möglichkeit gibt sucht man sich das Instrument oder läst es anfertigen um mit seiner Lieblingshand spielen zu können. Aber auch in dem Fall muss es nicht bedeuten das, dass spielen besser ist. Und ja, da gebe ich euch Recht wir sehen ganz selten im Großen Orchester Streicher die Links spielen.

    Das könnte daran liegen das alle Geige Studiert haben bis zur perfektion egal ob links oder rechts die neigung ist,

    aber alle wußten um erfolg zu erzielen, bedinnt man sich was gängig ist wenn man mit dem Strom schwimmen möchte. Pagannini hat es vorgemacht mit erfolg. ;) Und ich glaube er war nicht Unglücklich mit seinen erfolgen. Vielleicht ist es auch das Geheimnis im Gutenspiel je Hand neigung kann der eine die Saiten gut steuern hat aber wenig gefühl in der Bogenführung. Während der andere eine Göttliche Bogenführung hat die das außergewöhnliche Gefühlvolle spielen ermöglicht.

  • Lieber Abalon, vielen Dank für deine ausgleichenden Worte.


    Lieber Braaatsch, es ist mir nicht ganz klar, welcher wunde Punkt gerade wodurch bei dir getroffen wurde.

    Was auch immer es war, sagtest du nicht selbst

    Da haben wir zwei verschiedene Meinungen, und das darf dann auch gerne so stehen bleiben, Wissenschaft ist Diskurs.

    Ich für meinen Teil empfand den Diskurs bislang als sehr anregend und bereichernd.


    Und an den linkshändig Gitarre spielenden Rechtshändern wäre ich nach wie vor interessiert ;)

  • Nein, du hast keinen wunden Punkt getroffen. Ich hab nur versucht, aus dem immer gleichen Kreislauf wieder in eine Diskussion zu kommen. Aber ich habe den Eindruck, dass alle Gegenargumente bei Dir zum gleichen Resultat führen. Und mir ist zugegebenermaßen heute auch ein bisschen langweilig, und ich prokrastiniere den Hausputz. 😁

  • Die Diskussion über den umerzogenen Linkshänder spielt meines Erachtens beim Geigespielen keine so grosse Rolle wie zum Beispiel beim Schreiben, Tennisspielen oder anderen Tätigkeiten, bei denen es um den Bewegungsablauf nur einer Hand oder Arms geht.

    Beim Streichinstrument sind von bei den Händen/Armen links und rechts gänzlich verschieden Bewegungsabläufe zu bewältigen, welche ohnehin gleichmäßig ausgebildet sein sollten. Eine perfekte Bogenführung nutzt nichts, wenn die linke Hand auf geringerem Niveau agiert oder umgekehrt.

    Die Linkshändergeige macht m.E nur Sinn, wenn durch körperliche Einschränkung der linken Hand (z.B Jürgen Kussmaul oder zeitweise Reinhard Goebel) das Spiel sonst gänzlich unmöglich wäre.