rätselhafte Violine

  • Liebe Foristen,


    pünktlich zum Gehaltseingang zuckte mal wieder mein rechter Zeigefinger besonders leichtfertig in der Bucht herum und brachte mir vor einigen Minuten wieder eine sehnlichst den DHL-Zusteller erwartende kommende Woche, aber auch das schlechte Gewissen, wieder viel zu viel Geld los geworden zu sein. Immerhin kann ich besagtes Gerät bei Nichtgefallen wieder zurückgeben.


    Was ich da diesmal bei einem Antikhändler geschossen habe, lässt mich allerdings fragend zurück. Eine als antik deklarierte Geige sieht viel zu neu aus, als dass sie antik (vielleicht 30 Jahre?) alt sein könnte. Sie hat auch keine künstlich antikisierten Elemente, sieht aber irgendwie doch typisch Markneukirchen anno um die 1920 aus. Der Decke nach könnte es aber auch ein böhmisches Instrument sein. Chinesisch würde ich auch nicht ganz ausschließen....Irgendwelche Ideen? Ich freue mich auf euren Sachverstand!.....Spannendes Thema....


    Beste Grüße,
    der Dilettant

  • Also, ich glaube da hast Du nix falsch gemacht. Meiner Meinung nach ist das ein deutsches Instrument, nicht notwendigerweise direkt Markneukirchen, aber schon im heutigen ostdeutschen bis fränkischen Raum.


    Der Lack sieht sehr nach Markneukirchen aus, aber Verarbeitung und Materialauswahl (die Decke ist Haselfichte!) wären für „Manufaktur“ schon sehr gut, das ist also eine recht gute Manufakturarbeit oder aber Arbeit eines unbekannten „Meisters“. Vielleicht findest Du im Inneren doch noch irgendwo einen Hinweis...


    Zu DDR-Zeiten gab es viele „halbselbstständige“ Geigenbauer, sprich, sie bekamen Material zugeteilt und hatten dann soundsoviele Instrumente abliefern müssen, oft ohne ihren Namen. Später wurden die Geigenbauer dann in Werkstätten integriert, und bauten sowohl selber als auch als „Teileanfertiger“.


    Ja, es gab auch noch „freie“ Geigenbauer, aber die hatten es ganz schön schwer, vor allem kamen sie kaum an Material und Werkzeug, es sei denn, sie hatten viel Vitamin B oder eine Westgeldquelle.


    Kurz: Es könnte(!!!) sich auch um eine solche individuell angefertigte Geige aus der frühen DDR-Zeit handeln (auch wenn ich mich da nicht festlegen würde, ich schätze irgendwas zwischen 1920-1960). Qualitativ sicher nicht fünfstellige Meisterklasse, aber auch nicht einfachste Qualität.

  • Mensch Braaatsch, diese mögliche Version wäre mir nie in den Sinn gekommen! Da sieht man mal wieder, wie viel Horizont ihr Experten hier habt und wie dilettantisch ich bin ;-).


    Ja, die Haselfichtendecke hatte es mir angetan, aber auch der nicht ganz unschöne, wenn auch nicht im Spiegelschnitt geflammte Boden. Was mir allerdings aufgefallen ist...könnte es sein, dass die Flammung an der Schnecke z.T. nur auflackiert ist? So etwas mag ich ja eigentlich nicht. Naja, wenigstens habe ich auch wesentlich weniger als die dort aufgerufenen 399€ bezahlt.


    Ich danke dir für deine Interpretation der Violine!

  • übrigens zum Thema unbekannte Meisterinstrumente aus der DDR:


    Vor einigen Jahren besaß ich noch ein Doppelwaldhorn, welches nicht signiert ist, es aber bis ins kleinste Detail Elemente von dem berühmten Instrumentenmacher
    Ed. Kruspe hatte und die Experten sich sicher waren, dass es ein echtes Kruspe-Horn sein müsste. Auch diese erzählten mir, dass es in der DDR einen Schwarzmarkt gab, auf dem Meister ihre Instrumente unsigniert veräußern mussten.

  • Naja, das war kein Schwarzmarkt, sondern die offizielle „Planerfüllung“. Die Instrumente gingen alle „in den Westen“ gegen harte Devisen für den Staat.


    Du konntest als DDR-Bürger nicht einmal eine Blockflöte kaufen. Das lief NUR über Musiklehrer, und die hatten ein Kontingent, mussten jeden Verkauf melden und nachweisen. Wir haben damals für mich eine kaputte Blockflöte mit Holzkitt repariert!!! Und das war nicht die Nachkriegszeit, sondern in den 80gern.


    Kann man sich heute nicht mehr vorstellen...!

  • Übrigens, die „Meister-Anker“ -Armbanduhren, die von „Quelle“ verkauft wurden, kamen aus Glashütte...!


    Ein Grossteil der Katalogware und der günstigen Handelsware kam aus der DDR, teilweise sogar Zwangsarbeit politischer Gefangener aus Haftanstalten (z.B. Bettwäsche aus dem Frauengefängnis Hohenschöneck).


    Dass es dem Westen so gut ging, es so viele hochwertige Produkte so billig zu kaufen gab, Handarbeit quasi verschleudert wurde... ist der DDR -dem damaligen China für Westdeutschland- zu verdanken. Da haben sich einige Konzerne goldene Nasen verdient...!


    Deswegen sind auch die Rentendiskussionen schlicht unfair, und der Vorwurf, der Osten sei faul, unproduktiv und wirtschaftlich wegen der dummen Ossis am Boden gewesen absolut daneben.


    Den “goldenen Westen” hätte es ohne den Osten, der gerackert hat und selbst nix bekam, nicht in dieser Form gegeben.


    Aber das führt jetzt zu weit... ;)

  • Na, in meinem sicher nicht. Oder meinst du eher aus der Sicht von "drüben"? ;)


    Dass Westdeutschland auch mit Importware aus der DDR versorgt wurde, war mir gar nicht bewusst. Mir kam es immer so vor, als ob wir damals komplett vom Ostblock abgeschottet waren. Meine Blockflöten kamen jedenfalls aus Celle ;-).

  • Nein, z.b. Quelle hat im großen Stil aus der DDR Waren importiert. Das sich einzelne Firmen da bereichert haben ist sicher richtig, aber was mir neu war, ist die Sicht, dass es dadurch dem Westen so gut ging. Ich denke, dass sich auf beiden Seiten einzelne daran bereichert, aber die Masse beiderseits davon nichts hatte.
    Die großen Fehler sind nach der Wiedervereinigung begangen worden. Die fand nicht auf Augenhöhe statt.
    Aber das ist nun auch wieder meine einzelne Meinung.