Warum würde ein Geigenbauer einen Zettel entfernen? Und was könnte das mit Heinrich Gill's Strategie zu tun haben?

  • Hallo zusammen,


    vielleicht gibt es hier die Expertise mir bei einer Frage zu helfen, auf die ich mir keinen rechten Reim machen kann. Ich bin kürzlich auf eine "No-Name" Geige umgestiegen, die ich von einem Geigenbauer gekauft habe, nachdem ich vorher eine Mahr hatte (bei der Gelegenheit: Großes Kompliment an den Host des Forums für den tollen Service!).


    Die Infos, die ich zum Hintergrund der Violine habe, sind
    - Sie ist aus einer Manufakturherstellung in Bubenreuth => Würde ich in Anbetracht der sehr guten und neutralen Beratung auch nicht anzweifeln wollen
    - Manufaktur wollte man mir aber nicht nennen => Hat mich gewundert, aber sei es drum
    - Die Aussage, dass man dort früher mehr Geigen kaufte und mittlerweile nicht mehr, weil die Preise zu sehr gestiegen seien
    - Im Inneren kann man erkennen, dass ein Zettel entfernt wurde => ???
    - Garnitur war sehr gut (Palisander und Buchsbaum, Pirazzi Gold, Titanfeinstimmer)


    Da ich klanglich und optisch extrem überzeugt von der Violine überzeugt bin waren mir weitere Details nicht so wichtig. Nun hat mich doch etwas die Neugier gepackt, was genau ich da eigentlich 1-2h pro Tag in der Hand habe. Mein aktueller Tipp wäre, dass es eine Heinrich Gill ist. Gründe dafür sind, dass viele Instrumente im Laden exakt zum Line-Up von Gill passen. Es gibt z.B. zwei "Konzert-Violinen" und zwei "Schüler-Violinen", was gut zum Gill Portfolio, der Terminologie und den Preisniveaus passt. Preislich wäre meine dann, sollte die Theorie stimmen, wohl eine 68. Das würde auch wegen dem einteiligen Boden passen, den es laut Gill-Homepage nur bei der 68 gibt. Alle Bilder die ich gefunden habe passen entsprechend Gut (Schnecke, Lackbild, f-Löcher, ...).


    Die Kernfrage ist dann aber: Was könnte einen Geigenbauer dazu bewegen, die Herkunft einer Violine zu "verschleiern"? Bei Heinrich Gill wundert mich allerdings aber auch generell der Marktauftritt: Die deutsche Seite ist sehr spartanisch gehalten, und Information über die aktuellen Modelle bekommt man nur in Englisch und es sind nur Händler in Übersee gelistet. Von daher wäre ein irgendwie gearteter Zusammenhang der beiden Merkwürdigkeiten ja auch nicht ganz abwegig.


    Wie gesagt, es ist nur Neugier, mein Bild der Violine wird sich dadurch nicht grundlegend verändern. Meinem "Sammler-Drang" ein historisches Instrument zu besitzen werde ich ohnehin noch separat nachgehen müssen :D


    Hoffentlich war das jetzt nicht so lange, dass keiner mehr Lust hat es zu lesen ;)

  • Entweder sie haben da eine "Fakeware" aus China gekauft, in denen Zettel mit geschützten Markennamen angebracht waren. Flöge das auf, dürften die Händler die Geigen nicht mal mehr privat verwenden. Sie würden vernichtet, und müßten zusätzlich sogar noch Strafe zahlen; oder sie hatte halt einen Zettel irgendeines -heute meist- chines. Herstellers, das natürlich wertmindernd wäre, bliebe der Zettel drinnen.


    Heinrich Gill wird heute von einem gewissen Bernd Dimbath geführt. Wieviel er noch wirklich in Bubenreuth herstellt...???? Ich kann mir nciht vorstellen, dass man noch heute so günstig Geigen in D herstellen kann. Wer weiß?

  • Ok, danke für die Einschätzung!


    Ich hätte mal so ab 1,5-2T€ geschätzt, dass man in DE produzieren kann. Bei 4T€ und mehr wäre ich mir da schon recht sicher.


    Werkstätten wie Höfner, Roth und co. existieren ja definitiv, und schleusen wahrscheinlich nicht nur Highend durch. Mit standardisierten Formen, Prozessen sowie ausgereiftem Maschinenbau und Automatisierung bleibt vielleicht nicht mehr unendlich viel übrig für den Stundensatzvorteil in China.


    P.S. Soll nicht heißen, dass etwas gegen ein Instrument aus China hätte ... so schwarz/weiß ist es heute ja nicht mehr.


    Zur Veranschaulichung habe ich mal noch 2-3 Bilder gemacht.

  • Ich hatte irgendwo im Internet schon einmal die "Story" einer namenlosen Geige gelesen, die angeblich eine Hill-Geige sein sollte. Damals gab es das hanebüchene Argument, dass das Instrument billiger verkauft werden sollte, und damit man die Preise für Hill-Geigen nicht zerstört, musste der Zettel raus---- das ist meiner Meinung nach absoluter Blödsinn, denn eine einzelne Geige zerstört keinen Markt.


    Das mit dem "Produzieren"…. Es kann sich jeder heute (siehe ebay.com in den USA) Geigen in allen Fertigungsstufen (von den Einzelteilen bis zum lackierfertigen Weissware) bestellen, und da sind alle Qualitätsstufen dabei. Ab wann ist eine Geige also "hier gefertigt"? Kann man von "hier gefertigt" sprechen, wenn sie hier nur lackiert wurde, oder hier zusammengebaut, oder hier die Teile erst bearbeitet wurden, bevor man sie zusammenfügte? Oder muss der Geigenbauer hier selber mit der Drehbank die Wirbel anfertigen…. Das ist alles eine Grauzone geworden.


    Zum obigen Instrument: In meinen Augen ist das eher ein fernöstliches Instrument als eine Bubenreuther Arbeit. Gerade das Bodenholz hat diese für chinesische Geigen ganz typische wilde, extrem kontraststarke Flammung, bei denen die Flammen so breit und tw. "eisschollenartig" aussehen. Stark geflammter europäischer Ahorn (wenn man sich mal die Mahr-Instrumente ansieht oder auch sehr gute alte Sachsengeigen) sieht meist anders aus.

  • Auch wenn gilt, dass Geigen, die hier gebaut wurden, einen gewissen Preis haben, so heisst das noch lange nicht, dass Chinainstrumente einen "Höchstpreis" haben, oder nicht auch teuer angeboten werden können. Sprich: Natürlich kann man eine Chinageige auch für 4000 Euro anbieten, wenn man jemanden findet, der das zahlt. Und wenn das Chinainstrument klanglich und qualitativ im 4000 Euro -Bereich mitspielt, oder vielleicht qualitativ sogar mit einer italienischen 15000-Euro-Geige mithält, ist das doch ok?


    Das Problem ist nur, dass Chinainstrumente einen schlechten Ruf haben und auf dem Sammlermarkt nix wert sind. Auch wenn die dortigen Erbauer qualitativ immens aufgeholt haben, so sorgt die schiere Masse für einen Preisverfall. Wenn es eben statt 2 oder 3 plötzlich 20000-30000 Geigen der "4000-Euro-Kategorie" gibt, fallen die Preise, und man kann für das einzelne Instrument, was vor 5 oder 10 Jahren noch 4000 Euro wert war, keine 2000 mehr bekommen...


    So dreht sich die Preisschraube nach unten, und die einzigen Instrumente, die halbwegs wertstabil sind, sind es durch ihren Seltenheits- und Sammlerwert, sprich: Alter, spezielle Bauformen oder grosse Meisternamen.


    Kleines Beispiel: Ich habe 2 Celli. Das eine ist ein Chinese- schon durch einige Schülerhände gegangen, spielt sich unglaublich leicht, spricht sehr gut an, klingt gut... Wenn ich mal ein anderes Cello (entweder mein zweites oder irgendeins von Freunden, teilweise sind das Meistercelli!) in der Hand habe, wundere ich mich, wieviel Kraft ich plötzlich brauche und wie sehr ich "arbeiten" muss. Mein zweites ist ein durchschnittliches altes sächsisches Instrument, und sowohl von der Handhabung als auch klanglich dem Chinesen deutlich unterlegen. Marktwert "Chinese": aufgrund der Holzmacken und der Herkunft nur 200-300 Euro. Marktwert "Sachse": aufgrund des Alters und der "erfüllten Mindeststandards": augenblicks (noch) 1500 Euro. Wenn man das ganze emotionale Gedöns beiseite lässt, ist das ganz schön unfair.

  • Gibt es eigentlich Risiken von chinesischen Instrumenten? Zum Beispiel Risse wegen zu schneller Trocknung, weniger widerstandsfähiger Lack oder Ähnliches? Weil wie gesagt: Den Klang mag ich schon sehr.


    Edition: Danke, habe jetzt erst den zweiten Post bemerkt!

  • Prinzipiell kann jedes Instrument gut oder schlecht gebaut sein. Und ja, es gibt viele Instrumente aus China, die aufgrund der schnellen Produktion und des florierenden Handels mit nur kurz getrockneten Hölzern gebaut werden. Übrigens war das bei der Massenproduktion in Sachsen/Böhmen damals ganz ähnlich… Aber damals in Sachsen wie heute in China gibt es auch genug ehrliche und gute Geigenbauer, die sauber und mit gutem Material arbeiten. Man kann das also nicht so pauschal beantworten.


    Das einzige, was mir bei chinesischen Instrumenten aufgefallen ist, dass sie oft sehr leicht gebaut sind, also sehr dünne Platten und Zargen haben. Das sorgt dafür, dass das Instrument schnell anspricht, und am Ohr "viel Ton" hat. Die Tragfähigkeit des Tones ist dann zwar nicht immer gegeben, aber die wenigsten Hobbyspieler kommen in die Situation, einen Konzertsaal als Solist füllen zu müssen.


    Die oft recht dünne Materialstärke ist dann durchaus anfälliger für Risse, insbesondere "traumatische", sowie Stimmrisse durch nicht passende Stimmstock-Steg-Saitenkombination, sowie t.w. eingesenkte Decken (v.a. beim Cello, bei der Geige ist das seltener ein Problem). Ich wurde bei chines. Instrumenten generell die Deckenstärke nachmessen lassen, oder zur weichsten Saitenkombination raten, die dem persönlichen Geschmack noch entspricht. Entsprechend dann den Steg und den Stimmstock anpassen lassen. Das ist absolut nix Verwerfliches, auch viele Barockinstrumente sind fragil gebaut, und haben mit dem entsprechenden Setup (niedriger Steg, weiche Saiten ohne viel Deckendruck, entsprechender Stimmstock etc. Jahrhunderte gehalten!).


    Das sind zwar so "generelle", oft auftretende Probleme, aber für das einzelne Instrument kann das ganz anders aussehen.

  • Hallo,


    Ich häng mich mal mit einer etwas ähnlichen Frage an. Ich hoffe, das ist o.k. Ein Bekannter hat mir mal eine Geige für nen 10er vom Flohmarkt mitgebracht. Sah erbärmlich aus, abgemacktes Holz, Wirbelkastenrisse, zerlaufener Lack, sodaß man großflächig auf nacktes Holz sah, ein Deckenriss vom unteren Rand bis zum F-Loch. Innen ein fast zur Unkenntlichkeit gezielt zerkratzter Zettel (gedruckt), den ich bei vorsichtigem Ablösen und "Zurechtschieben" soweit rekonstruieren konnte, daß der Name F. Niewczyk 18.. lesbar wurde. Was ich zu diesem Namen im Netz finden konnte war, dies


    https://translate.google.de/tr…szek_Niewczyk&prev=search :)


    Sie ist innen beeindruckend sauber gearbeitet, vier sehr präzis eingesetzte Eckklötze. Außerdem ist sie ziemlich leicht.
    Wenn ich nicht so eine PC-Graupe wäre und rausfände, wie man mit Gimp2 Bilder verkleinert, würde ich welche reinsetzen. Vielleicht kümmere ich mich die Tage nochmal drum.
    Aber wäre die Idee, daß jemand den Zettel zerkratzt hat, weil sie, -vielleicht eine wertigere Geige, da noch vom Geigenbauer selbst und nicht erst nach der Manufakturgründung gebaut -, zuvor gestohlen wurde, sehr abwegig?


    Ach so, und falls jemandem noch was zu F. Niewczyk sagen mag, würde ich mich sehr freuen.


    Grüße
    Lou

  • Es kann viele Gründe geben, bei einem alten Instrument den Zettel zu zerstören. Diebstahl halte ich eher für unwahrscheinlich- der Besitzer erkennt seine Geige auch ohne Zettel wieder, und wenn man sie verkaufen will, ist ein Zettel natürlich wertsteigernd. Warum sollte ein Dieb seinen Gewinn schmälern wollen, indem er den Wert mindert? Weil man die Geige sonst "erkennt"? Der Zettel ist doch nicht das einzige Merkmal, im Gegenteil, er ist das, was am leichtesten zu fälschen ist, und auch andere Geigen haben genau diesen Zettel. Die Geige iddentifiziert man ja nicht am Zettel, sondern das Instrument selber hat doch viel mehr individuelle Merkmale als ein Zettel, der in Dutzende Geigen eingeklebt wurde.


    Desweiteren war es und ist es reelativ leicht, gestohlene Instrumente zu verkaufen. Da macht ein Zettel die Sache nicht schwieriger.


    Zettel werden gerne zerstört oder entfernt, weil man der Geige eine neue, "bessere" Herkunft andichten will. Oder bei Reoaraturem ist aus Bersehen was schiefgegangen.

  • die Niewczyks waren zuerst altösterr. Geigen- und Gitarremacher aus Lemberg. Später polnische. Nach 1939 verliert sich deren Spur in Lemberg/ Lwow. Mag sein, dass es noch Nachfahren im heutigen Polen gibt. Das ist das eizige, was ich dazu weiß.