Bratsche aus Prag, 1873

  • Hallo,


    ich habe hier eine Bratsche aus Prag, die leider einen ziemlich ruinierten Lack hat - zumindest an der Decke. Allerdings hab ich noch nichts mit Viol oder so gemacht. Ansonsten wirkt sie optisch ganz in Ordnung (siehe Bilder). Ich spiele auf ihr seit drei Jahren, davor hatte ich drei Jahre lang eine Bratsche von der Musikschule geliehen. Als ich sie bekommen habe, hat der Geigenbauer ein paar Wartungsarbeiten für insgesamt 250€ gemacht. Dabei wurde auch ein Riss in der Decke geleimt. Seitdem wurde eben immer das gemacht, das gerade gemacht werden musste (Obersattel neu, neue Saiten etc).


    Die Bratsche ist relativ klein (38cm) und der Klang ist nicht schlecht, relativ untertonreich, Obertöne sind aber nicht so stark ausgeprögt, d.h. man muss sie schon provozieren. Ich würde mal davon ausgehen, dass es ein Manufakturinstrument ist, aber wenn man nach Anton Sitt googelt, finde ich keine Ergebnisse, bei denen etwas mit Manufaktur erwähnt wird. Besteht denn die Möglichkeit, dass es eine "Meisterbratsche" ist?


    Dabei ist auch ein schöner Bogen von Karel Sedlack. Könnt ihr einschätzen, wie viel die beiden (Bratsche und Bogen) insgesamt wert sind?

  • Ich halte sie für eine Manufakturbratsche zwischen 1920-1960, die ein hübsches "altes" Zettelchen bekommen hat. Kleinere Bratschen sind meist etwas preiswerter als größere Exemplare. Hier hängt der Wert definitiv vom Klang ab, gleiches gilt für den Bogen. Am besten fragen Sie ihren Geigenbauer. Ich schätze für beides ist alles zwischen 500 und 2000 für möglich. Auch dieses Instrument hat das "Problem", dass der Markt inzwischen mit immer besser werdenden Schulinstrumenten aus China geflutet wird, daher tendiere ich eher zu einem niedrigeren Preis.


    Und geht es um den Verkaufspreis (niedriger) oder einen Versicherungswert (höher)? Bei Ebay eingestellt schätze ich 300-500 im Verkauf, wenn man sie beim Geigenbauer kaufen würde eher 800-2000, letzteres nur bei wirklich gutem Klang.

  • Instrumente von diesem Anton Sitt sind nicht mal so selten.
    Warum?
    Ich meine, dass er mehr Händler als Geigenmacher war. Es mag sein, dass er von ihm entwickelte Modelle böhm. Manufakturen in Auftrag gab.
    Inwiefern er mit dem berühmten böhm. Geigenlehrer Hans Sitt verwandt war, fehlen mir auch die Infos

  • Danke für eure Antworten!


    Inwiefern er mit dem berühmten böhm. Geigenlehrer Hans Sitt verwandt war, fehlen mir auch die Infos


    Auf amati.com steht, dass Hans Sitt der Sohn von ihm war, also hat meine Bratsche wohl indirekt einen berühmten Nachfahren ;) . Das mit den Aufträgen an Manufakturen klingt auch logisch, sonst ist ja bei Manufakturinstrumenten meist der Name der Manufaktur drin (Bzw ein brühmter Geigenbauer). Auf ebay hab ich sogar eine Geige von ihm gefunden, zuerst eingestellt für 2500USD, dann runtergesetzt auf 1850USD - wurde aber auch nicht verkauft. Bei dieser wurde allerdings der Bassbalken getauscht, was eventuell einen besseren Klang als meine bewirkt - immerhin ist auf Amati.com als Mangel von Sitt-Bratschen eine zu hohe Spannung des Bassbalkens aufgelistet und die daraus resultierende schlechte Ansprache bei manchen Lagen. Das passt auch zu meiner Erfahrung.


    @Braaatsch: Warum denkst du ist es eine neuere Bratsche? Wenn da ein Stradivari Zettel o.ä. drin kleben würde, wäre die Datierung ja nicht eindeutig, aber so ein Manufakturinstrumentenböhmermann wird ja wahrscheinlich nicht gefälscht?


    Falls ihr wissen wollt, was ich dafür gezahlt habe: 1000€ inklusive Schrottbogen und altem gewa Kasten. Der Bogen hat mich 480€ gekostet. Das sind allerdings Preise, die nicht vom Geigenbauer festgelegt wurden, sondern von einer Arbeitskollegin meiner Mutter, die aber nicht mehr spielen kann und sie deshalb verkauft hat. Also passt deine Schätzung ziemlich genau, die Frage ist nur, ob das eventuell zu viel war?

  • Es wurde alles und jeder gefälscht-egal ob Stradivari (da ist es offensichtlich) oder Markneukirchener oder Schönbacher oder Prager Geigenbauer, oder gleich ganz unbekannte.... Das ist dann weniger offensichtlich, und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind die Instrumente stilistisch leichter anzupassen, und zweitens denken die Leute, dass es sich nicht lohnt. ;)


    Warum ich denke dass das Instrument nicht echt ist: Der Lack passt überhaupt nicht zu einem Instrument von 1870-1880. Zu dieser Zeit wurden in Sachsen/Böhmen die Instrumente meist in Brauntönen von Goldbraun über Gelbbraun und alle Schattierungen bis hin zu Rußschwarz lackiert. Der Lack ist allerdings typisch für Manufakturinstrumente nach dem 1.Weltkrieg bis in die DDR-Zeit.


    Es mag natürlich Ausnahmen gegeben haben, daher ein zweiter Hinweis: Das Instrument hat mir zuwenige Gebbrauchsspuren für eun 150 Jahre altes Instrument.


    Für mich aber der entscheidendste Hinweis: Das Holz der Innenseite ist viel zu hell. Holz dunkelt mit der Zeit nach, wird staubig etc- alte Instrumente sind innen selten so sauber. Und wenn das Instrument stets im Kasten aufbewahrt worden wäre, nie etwas "mitgemacht" hätte, quasi jungfräulich----warum istdann der Zettel so gealtert, fleckig, dreckig?...


    Dieses "ich klebe einen abgeratzten Zettel in ein neues Instrument" ist ein ganz typischer Fälscherfehler. Da wurd das Papier vorher noch ordentlich mit Schearztee/Kaffee/... gebeizt, und fertig ist dder "Antiklook".


    Klar könnte die Geige innen abgeschliffen worden sein, aber warum??? Nein, da passt eigentlich alles zur "Fälschung" und zuwenig zur "echten Bratsche".

  • Warum haben Sie die Vorbesitzer nicht gefragt, wo das Instrument herstammt? Ich kann mir vorstellen, dass die -vermutlich ältere Dame- die Erst-oder Zweitbesitzerin war. Letztendlich wurden solche Instrumente in Markneukirchen bis zum Ende der DDR gebaut, aber auch in Bubenreuth sowie in Böhmen und Rumänien (bis heute). Die Praxis, solche alten Zettel zu fälschen war aber ganz besonders in Markneukirchen/Böhmen beliebt (aber auch Rumänien bis heute...).


    Vom Lackzustand (Craquelierung) halte ich 50ger-60ger für am wahrscheinlichsten, aber will eben auch Markneukirchen (früher) und inzwischen auch Ostblock (später) nicht (mehr) ausschliessen. Ferndiagnose ist immer schwierig, aber anhand des hellen Holzes (innen und am Hals, wo es durch Spielen und direktes Licht besonders schnell "silbergrau-dunkel" wird) und dem im Vergleich "magisch gedunkelten" Zettel ist für mich eine "Kopie" mehr als wahrscheinlich.

  • Der Zettel ist falsch und soll dieses Fabrikinstrument aufwerten. Mit Sitt hat das nichts zu tun. Wenn Sie es bestätigt haben möchten dann besuchen Sie einen renovierten Geigenbauer, der sich auskennt mit Zuordnungen.

  • Danke für eure hilfreichen Antworten! Die Begründungen sind absolut einleutend und die Bratsche klingt ja auch nicht schlechter weil sie doch nicht so alt ist. ;)
    Auf das Aussehen des Zettel hab ich bisher gar nicht geachtet, aber es ist natürlich logisch, dass die Alterung künstlich stattgefunden hat. Ansonsten sind da ein paar dunkle Flecken im Korpus aber das hat wohl mehr mit dem Lack zu tun und ist kein Zeichen vom Alter? Ein paar von diesen sieht man auf Bild IMGP7099.
    Noch etwas: unter dem Griffbrett ist der Lack sehr rauh und kaputt, auch wenn da der Lack ja wahrscheinlich am seltesten berührt wird. Woran liegt das und ist das eventuell auch ein Zeichen für eine "minderwertige" Herkunft?


    Die Bratsche hat eigentlich die ehemalige Lehrerin der Kollegin meiner Mutter in Tschechien gekauft (jedenfalls meinte sie es als sie mir die Bratsche verkauft hat). Das muss ja aber auch nicht heißen, dass sie damals neu war, oder? Das würde aber auch sehr gut zu deiner (Braaatschs) Erklärung passen.


    Auf jeden Fall ein großes Danke an eure Hilfe!

  • Das, was ich auf den Bildern sehe, sind Lackkleckse und haben nix mit dem Alter zutun. Die Qualität eines Instrumentes besteht aus mehreren Komponenten: Alter, Herkunft, Authenzität und Klang. Für Sammler ist Ersteres interessanter, für Spieler eigentlich nur Letzteres (ok, Ersteres ein bisschen fürs Ego... ;) ...). Der tollste Stammbaum nützt nix, wenn das Instrument nur durchschnittlich klingt. Und so manche namenlose Bratsche ist Meisterinstrumenten ebenbürtig...


    Kurz: Solange das Instrument gut klingt und gut spielbar ist, ist die Herkunft für den Spieler zweitrangig. Klar, der Wert ist bei einem Meisterinstrument höher, aber den hört man nicht. ;)


    Die Herkunft Tschechien ist sehr wahrscheinlich, und allzu alt wird das Instrument damals nicht gewesen sein.