Der Wert des Cellos - Aussagekraft der Aufkleber - Nachbauten - Schwindler

  • Ich besitze ein Cello mit bewegter Geschichte, dass ich 10 Jahre selbst spielte, bis es 25 Jahre lang, aus beruflichen Gründen, im Wohnzimmer meiner Eltern verstaubte. Das Cello hat eine ungewöhnliche Erscheinung und einen ebenso ungewöhnlichen, sehr warmen Klang. Ich war deshalb unter den Streichern immer sehr gerne gesehen/gehört. Der Wert des Instruments hat mich eigentlich nie interessiert. Es wurde von meinem Vater 1950 aus einem Nachlass gekauft und mir 1975 geschenkt. Anfang der 80er Jahre habe wir es dann von einem sehr bekannten Geigenbauer in Westberlin überarbeiten lassen. Der sagte damals, es wäre wahrscheinlich der Nachbau von einem sehr bekannten Vorbild und zwischen 1830 und 1870 entstanden. Damals schätzte er den Wert auf ca. 6000,- DM ein.


    Nun habe ich mich einmal intensiver mit dem Wert des Instruments beschäftigt. Ich fand im Inneren ein völlig lediertes Schild mit dem Inhalt "Carlo Tononi Bolognese Fece in Venecia 17xx" (siehe Bild, ist digital aufbereitet) und habe ein wenig im Netz recherchiert. Wäre das Schild echt, wäre mein Cello aus einer Zeit zwischen 1730 und 1780 und von einer sehr bekannten (und hoch geschätzten) Geigenbauer-Familie aus Italien.


    Wie stellt man nun die "Echtheit" des Instruments fest? Viele Geigenbauer und Händler haben sich wohl durch falsche Etikettierung einen Preisvorteil erschlichen. Es heißt in Fachkreisen: "Ein Etikett sagt meistens, was es mit Sicherheit nicht ist".


    Sind die Instrumente jener Zeit tatsächlich Etikettiert worden? Gibt es irgendwo eine Datenbank, die wenigstens die Gestaltung der "echten" Etiketten zeigt? Damit hätte man ja wenigstens einen ersten Anhaltspunkt. Was macht ein Gutachter, um die "Echtheit" festzustellen? Die C14-Radiokarbonmethode wird ja sicher nicht angewendet werden.


    Das Etikett hat für mich einen ungewöhnlichen Zustand, da es nicht sauber beschnitten ist und eher schief angebracht. Es erscheint dadurch eher nachträglich angebracht. Aus der bekannten Geschichte des Instruments lässt sich rekonstruieren, dass es sicher vor 1920 hergestellt wurde.


    Was macht den realen Marktwert eines Instrumentes aus? Sind es nicht die Klang- und Spieleigenschaften? Diese wären, wenn sie einem Nachbau entspringen, nicht anders zu beurteilen, als kämen sie von einem 100 Jahre älteren Instrument. - Nun geben viele den berühmten schwarzen Punkt auf einer weißen Leinwand mit der Unterschrift, ich glaube, von Pablo Picasso, als Beispiel dafür, dass eine Unterschrift allein schon werthaltig sein kann... - Das sollte aber nur für Spekulanten und nutzlose Spekulationsobjekte zutreffen. - Aber sicher: Der Eine macht mit diesem Instrument Musik und der Andere Geld. Am Ende teilen sich beide den selben Markt... Das ist das gleiche Problem, das wir auch im Devisenhandel der Börsen beobachten können...


    Ein Cello aber ist ein Werkzeug. Sollte da nicht der reale Nutzen im Vordergrund stehen? Die Klangfarbe, die Zahl der Wolftöne, die Dimensionen, das Erscheinungsbild, ... sind diese Kriterien nicht wichtiger, als der Name Tononi? Wenn die Radiokarbonmethode oder eine andere physikalische Testmethode nicht zur Anwendung kommt, dann bleibt ja nur die vergleichende Analyse der Konstruktionseigenschaften. Da aber sollte ein guter Nachbau so gut (und wertvoll) abschneiden, wie das Original, - wenn nicht sogar besser...


    Jede Idee und Anregung, sich dem "realen" und/oder dem Marktwert zu nähern, ist willkommen! - Gesucht sind die Argumente für oder gegen einen Wert, der sich an einem Nutzen orientiert, für oder gegen eine Wertangabe, die sich an einem Herstellernamen orientiert. Wer zahlt welchen Preis für welche Eigenschaft... - Bei einem Auto ist das viel einfacher zu beurteilen, als bei einem Musikinstrument...


    [Über "Markt macht Wert" bin ich hinaus. Das ist eine Ausrede von Börsianern, die die Marktmechnismen nicht vollständig durchdrungen haben... - Die meisten Handelsobjekte werden in der Überflussgesellschaft wertvoll oder wertlos geredet. Ein Geldschein wird allein durch den Glauben an seinen Wert wertvoll. Wenn wir dann Gold gegen Geld tauschen, tauschen wir reale Werte? (usw.) ]

  • Hallo Carlof wenn du nur halb soviel Zeit in Anbetracht Deines monologes für Gute Bilder vom Onstrument investiert hättest, könnte man auch etwas dazu sagen. Also Front, Rückseite, Schnecke. Das würde etwas helfen. Ansonsten den gang zum Geigenbauer in Natura sieht er mehr.

  • Hallo Carlof,


    jetzt mal abgesehen von der Bewertung deines Instruments an sich noch kurz zum Thema Wert eines Instruments im Allgemeinen. "Wert" ist ein dehnbarer Begriff. Ein Instrument ist halt kein Auto. Der ideelle Wert ist nicht messbar in PS, Ausstattung und Reifenbreite (ich weiß, auch Autos können einen ideellen Wert haben, aber jetzt einfach mal aus Perspektive eines Gebrauchsgegenstandes). Es kommt ja nicht selten vor, dass Leute Instrumente testen, z. B. in einer Preisrange von 3.000 bis 5.000 Euro, und dann zufällig von dem Günstigsten begeistert sind, obwohl sie die Preise vorher nicht kannten. Der nächste wählt aus den vorgestellten Instrumenten wieder ein ganz anderes. Da kommen so viele Faktoren zusammen.

    Bestimmte Originale kosten in der Regel einfach mehr, weil sie selten sind. Und vermutlich haben auch die Bemühungen, hunderttausende Kopien von ihne zu verschaffen, ihren Wert noch gesteigert. Wer hätte nicht gern das Einzigartige in einem Haufen von Copy-Cats? Zudem bleiben die Originale wertvoll, weil ihr Erschaffer tot ist und damit klar, dass es keine weiteren Instrumente aus seiner Hand geben wird. Ein Schrank aus dem 16. Jahrhundert kostet auch mehr als ein gleichwertiges modernes No-Name Möbelstück, obwohl gleich viel Klamotten reinpassen. Eine Stradivari kostet auch nicht 10 Mio. Euro, weil sie 20x besser klingt als ein Instrument für 500.000 Euro. Es gibt ja auch Tests, in denen Experten die Stradivari raushören sollten im Vergleich mit hochwertigen neuen Instrumenten und oftmals gescheitert sind.


    Die Frage ist also immer, ob man mit Wert den ideellen Wert meint oder ob man das Instrument als Investition betrachtet.


    VG

  • Der (finanzielle) "Wert" ist das, was man beim Verkauf bekommt. Und da spielt einfach die Marktlage eine Rolle. Und wie du schon selber schreibst: Ein Streichinstrument hat 2 "Werteskalen".


    Die eine nach Klang, Spielbarkeit, "Gebrauchswert". Dort ist es erstmal egal, wo das Cello herkommt oder wie es gebaut wurde. Unter rein diesen Gesichtspunkten kann ein modernes Instrument, welches ein Geigenbauer einem Kunden "auf den Leib schneidert" unter Umständen mehr wert sein als ein altes Meisterinstrument, oder auch ein Carboncello für bestimmte Einsatzzwecke "erste Wahl" sein.


    Der zweite Wert ist der Wert als Kunstgegenstand, als "Werk" eines Meisters, einer bestimmten Schule, einer bestimmten Herkunft. Quasi der "Picasso". Da kann ein altes Cello mit falscher Mensur, etlichen Rissen und "Krankheiten" immer noch mehr wert sein als das perfekt spielbare "Chinacello".


    Ich hab das bewusst etwas polemisch formuliert...denn in den meisten Fällen ist der Marktwert am Ende ein Mix. Alte Instrument sind gesucht, haben Charme, es wird ihnen ein "reifer Klang" nachgesagt (was aber nicht auf jedes alte Instrument zutrifft!!), da ist viel "Glauben" und "Gefühl" dabei...und ein altes Instrument hat einfach "mehr Geschichte" als ein neues, man kann sich vorstellen, Beethoven auf einem Originalinstrument seiner Zeit zu spielen, das ist schon etwas Besonderes. Neue Instrumente gibt es in Massen "aus der Retorte", und wenn es die Möglichkeit gibt, ein altes Instrument mit gutem Klang zu bekommen, wird da schon ein höherer Preis bezahlt. Ein Oldtimer fährt sich auch nicht besser als ein neues Auto (oft ist das Gegenteil der Fall...), dennoch ist er oft mehr wert. Ein altes Instrument -zumindest trifft das auf viele Meisterinstrumente zu- behält daher auch seinen Wert eher (ganz stabil ist das auch nicht!), einen "neuen Chinesen" bekommt man auch bei gutem Klang selten zum Einkaufspreis verkauft. Dass Streichinstrumente da (im Gegensatz zu Blockflöten, Mundharmonikas, vielen Blechblasinstrumenten, vielen Klavieren....) eine bestimmte "Aura", einen bestimmten "Kunstmarkt" haben ist einfach so, und weil das seit Jahrzehnten so ist, ist es möglich, Taxen herauszugeben welche die Werte für bestimmte Meister aufgeschrieben haben.


    Diese "Marktbesonderheit" ist den Geigenbauern schon seit über 100 Jahren bekannt, und man hat irgendwelche Zettel in alle möglichen Instrumente geklebt. Du kannst Dir gerne Originalzettel ansehen- und du kannst Dir nahezu sicher sein, dass das der Zettelfälscher ebenso getan hat (oder getan haben könnte). Geschickte Fälscher ahmen natürlich die Originalzettel nach, und machen das Ganze mit einer entsprechenden Papier-und Randgestaltung glaubwürdig. Also, auch wenn der Zettel ganz genauso wie ein Originalzettel aussehen würde, wäre das kein Beweis. Am Ende kann man nur nach weiteren Hinweisen gehen- Signaturen im Innern, Bauart, Holzalter,... Einem Geigenbauer, der von einem Nachbau ausgeht, würde ich da durchaus Glauben schenken. Er hat den Zettel sicher gesehen, wie schon Dutzende solcher Zettel. Du kannst also noch mal ein paar Meinungen von Geigenbauern einholen, die das Instrument in die Hand nehmen können und wissen, wonach sie schauen sollten.

  • Echtheit feststellen: Das ist dann so wie im Kunstmarkt. Plumpe Fälschungen kann jeder Geigenbauer entlarven, das kann auch so plump sein, dass es das Forum vom Foto her kann. Richtig gute Kopien erkennt nur der Fachmann, und die entsprechenden Gutachter spezialisieren sich oft auf eine bestimmte Region und/oder Epoche. Wenn dann ein anerkannter Experte ein entsprechendes Gutachten schreibt, hat das daher auch mehr Gewicht als das des "gewöhnlichen Geigenbauers". Da wird wie gesagt nach Bauart, Lack, Konstruktionsmerkmalen, u.U. Holzalter (Dendrochronologie) geschaut, das macht für teure Instrumente dann auch durchaus Sinn.


    Marktwert: Auch wenn Du "darüber hinaus" bist, so ist das leider bei Streichinstrumenten durchaus noch so. Vor ein paar Jahrzehnten wurden einem die böhmischen Manufakturgeigen noch teuer bezahlt, inzwischen ist der Markt überschwemmt mit schönen Instrumenten aus China, die gleich gut oder besser klingen. Da will niemand mehr die alten Böhmengeigen haben, denn diese gibt es ebenfalls in Massen (=haben nur selten einen Kunstwert), oft einen Reparaturstau und man kann sie nicht probespielen wenn sie nicht spielbar sind.... inzwischen gibt es die Geigen, die vor ein paar Jahrzehnten noch vierstellig bezahlt wurden für Schleuderpreise auf Ebay, kein Geigenbauer kauft die mehr an.

  • Das Cello als einzigartiges Kunstwerk zu betrachten ist mir noch nicht in den Sinn gekommen. Wie heißt es so schön: "Kunst hat keinen Preis" und "über Geschmack lässt sich nicht streiten"...


    Im Überfluss vergleichbarer Gegenstände suchen wir das Unvergleichliche, um uns abzugrenzen und das ansonsten völlig sinnfrei. Ein Cello ist nicht nur das Werkzeug eines Musikers und das Investment eines Händlers oder Sammlers, es ist auch ein einzigartiges Kunstwerk (nicht jedes, aber die meisten alten schon). Das hatte ich noch nicht zu Ende gedacht: "Das Instrument gefällt einfach, z.B. wegen seiner Einzigartigkeit oder wegen seiner Gestalt...". Darin liegt ein völlig eigener Markt oder wenigstens Marktfaktor. Die Betrachter des Objekts "Cello" sind nicht nur Musiker oder Händler, sie sind auch Ästheten, vielleicht sogar in Personalunion, sie sind Kunstliebhaber mit ganz individuellen Bewertungsmaßstäben, die sich nicht am Klang, am Spielgefühl oder am Geld orientieren.


    Leute! Ich bin begeistert über die differenzierten Beiträge, die mir tatsächlich geholfen haben, mich weniger verloren zu fühlen. Wenn ich den Instrumente-Markt als Kunstmarkt begreife, dann sind mir seine Mechanismen eingängiger...! Es ist tatsächlich auch hier so: Die Spekulanten zerstören den Markt der Handwerker.


    Die schönste und beste Geige ist ein Investitionsobjekt, dass von keinem Musiker mehr gespielt werden kann, weil sie in einem Panzerschrank liegen muss...


    Eigentlich ganz schön traurig.


    Vielen Dank für alle Beiträge und Eure Zeit, die Ihr investiert habt, Euch auf meine "Ergüsse" einzulassen.


    Unter allen diesen Erwägungen bin ich gesannt, zu welchem Ergebnis der Geigenbauer kommen wird, der mein geliebtes Cello gerade begutachtet.

  • Hallo Fiddler - vielen Dank für den Hinweis auf die Lage der F-Löcher! ...nun habe ich das liebe Stück seit 50 Jahren regelmäßig vor Augen und das ist mir noch nie Aufgefallen! Allerdings hatte ich auch noch nie das Bedürfnis, einen optischen Vergleich mit anderen Instrumenten zu machen. Der sehr warme Klang und das Spielgefühl waren mir als Vergleichsgröße immer näher, wenn ich mal ein anderes Instrument probierte. -Vielen Dank nochmal! - ...das ist ja vielleich auch mit ein Grund für den tollen Klang... - Besten Gruß

  • Ich habe solche F-Löcher und ähnliche Bauformen bei älteren Instrumenten schon öfters gesehen.


    Hmmm ... es gibt ja hunderte alte Cellos im Internet, auf Verkaufs-Plattformen usw.


    Ich habe keines gefunden, bei dem das untere F-Loch-Ende mittig zwischen der Zargenspitze steht.