Sieben Irrtümer über die Geige

  • Man kann die Linkshänder-Rechtsgeiger im Orchester ja den Rechtshändern gegenüber setzen. Dann sind

    die Striche synchron. Einen kleinen Spiegel ans Pult, dann hat man auch Blick zum Dirigenten ;)

  • Wenn man den Berichten glauben kann, waren u.a. Mozart, Beethoven (der entgegen landläufiger Meinung auch ein recht guter Streicher war) und Paganini Linkshänder. Ich bin auch Linkshänder und habe mich dadurch nie - auch nicht in der Bogfenführung beeinträchtigt gefühlt.

  • Ich denke, da gibt es Leute, die nicht/wenig beeinträchtigt sind. Und es gibt auch Menschen, die -wie LH fiddle schreibt- ein echtes Problem haben und denen das schwerfällt. Irgendeine Lösung lässt sich da schon finden.


    Wenn man genug Linkshänder im Orchester hat, kann man ja eine eigene Pultreihe aufmachen. ;)


    Übrigens gab es auch mal Linkshänder-Blockflöten. Das hat sich aber nicht durchgesetzt, war auch irgendwie Quatsch aufgrund der ähnlichen Anforderung an die Hände.

  • Es gibt nicht nur Linkshänder-Blockflöten, es gibt für fast jeden Bedarf professionelle Linkshänder-Instrumente. Hier gibt es ausführliche Beschreibungen, Erläuterungen und Hintergründe:

    Linkshänder-Initiative


    Und diese werden zunehmend auch von immer mehr ernstzunehmenden Berufsmusiker*innen gespielt:

    Linkshändig spielende Musiker:innen | Linksgespielt


    Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich mich mit diesem Thema schon beschäftige, eine sehr kuriose Entdeckung gemacht:

    Es sind immer wieder ausgerechnet umerzogene oder umgeschulte Linkshänder, die mit der größten Abwehr reagieren, die sich erst einmal vehement wehren, bevor sie den Gedanken zulassen können, dass es ihnen womöglich anders ergangen wäre, wenn man ihnen (oder sie sich selbst) erlaubt hätte(n), linkshändig zu spielen.

    Das ist ja unter Umständen auch mit viel Schmerz verbunden.


    Und nein, ich halte es für Haarspalterei, aufwändig zu erklären, ob die "Lateralitäten" bei einem Linkshänder sehr ausgeprägt, ganz normal oder was auch immer sind.

    Hat das jemals einer bei einem Rechtshänder gemacht?

    Würde man davon ausgehen, dass die in Linkshänderliteratur geschätzten Zahlen richtig sind, hätten wir also bis zu 50% LH unter uns und ebensoviele RH. In beiden Gruppen gibt es augeprägtere und nicht ausgeprägtere Lateralitäten. So what?


    Aber es sind bis heute die Linkshänder, die sich im Zweifelsfalle kleiner machen, als sie sind. Darin haben sie seit Generationen Erfahrung, bis zur Selbstverleugnung .


    Dafür gibt es keinen Grund ;)

  • Natürlich gibt es auch entsprechende Fragestellungen wie "linkshändig" Rechtshänder sind, und wie ausgeprägt deren Lateralität ist. Gerade auch die Fragen wie sich denn dominantes Auge, dominantes Bein etc. zur Händigkeit verhalten ist sehr spannend. Es ist nur so, dass -wie Du ganz richtig sagst- Vieles in unserer Welt auf Rechtshänder ausgelegt ist. Schwierigkeiten haben dann eben leider eher die Linkshänder, und daher kommt bei denen im Zuge dessen eben doch eher die Frage auf, wie stark die Händigkeit ausgeprägt ist. Das kann man ignorieren, das kann man ungerecht finden, das kann man für Haarspalterei halten. Aber es gibt eben Leute, die haben beim Musizieren Schwierigkeiten, und andere eben nicht. Woran das liegt...? Eben vielleicht genau daran, dass die einen eine stärker ausgeprägte Händigkeit/Lateralität haben, und die andern nicht. Du hast ja selber bei deinen Schülern festgestellt, dass es da auch ein "gemischtes" Bild gibt: Umgelernte Linkshänder, Rechtshänder die manches auch mit Links machen (die sind deswegen nicht unbedingt Linkshänder) etc.


    Ich kenne Schätzungen, die eher von 10-25% Linkshändern ausgehen, aber da mag es auch eine Dunkelziffer geben. Kulturell bedingt wird die Rechtshändigkeit als "richtig", als Norm angesehen. Dass das für die Betroffenen blöd und unfair ist, steht ausser Frage.


    Die (wenigen) Linkshänder, die ich kenne, haben zum Glück keine Schwierigkeiten, zumindest mir gegenüber zu ihrer Händigkeit zu stehen, und die, die ich kenne und die umerzogen wurden, sind auch nicht abwehrend oder haben irgendwelche Schmerzen oder so. Aber vielleicht kenne ich nur die falschen Leute oder zuwenige. Und ja, ich kenne auch einen richtigen Beidhänder (also jemanden mit kaum ausgeprägter Lateralität). Der hat auch so manche Schwierigkeiten, die sind dann eben andere, und er nimmt das mit Humor.


    Dass eine extrem ausgeprägte Händigkeit zu echten Problemen (physisch wie psychisch) führen kann -und dass das gerade für Linkshänder ein Problem darstellt, weil sie in einer "rechtshändigen Welt" leben, steht ausser Frage. Da ist es auch ganz wichtig, dass Lehrer dafür sensibel sind, und bei LRS oder anderen Schulproblemen Hilfestellungen anbieten können. Da sind dann eben auch die Linkshänderinstrumente ein echter Segen (oder können es sein!)- aber nicht jeder Linkshänder will und braucht die.

  • Kulturell bedingt wird die Rechtshändigkeit als "richtig", als Norm angesehen.

    Gottseidank sind wir davon inzwischen schon ein gutes Stück entfernt.

    Aber auch nur deswegen, weil immer wieder engagierte Menschen da für Aufklärung und Weiterentwicklung sorgen. Dass diese engagierten Menschen oftmals selbst Betroffene sind, liegt in der Natur der Sache.

    Da sind immer wieder neue Anstöße und viel Stehvermögen erforderlich. Es ändert sich nicht von alleine.

    Wie lange haben Frauen die Vormachtstellung des Mannes in Gesellschaft und Ehe als kulturell bedingt richtig, als Norm angesehen? Wenn sich niemand aufgemacht hätte, das zu ändern, wer weiß, wo wir heute stünden mit Wahlrecht, Gleichberechtigung, BGB?


    Dass eine extrem ausgeprägte Händigkeit zu echten Problemen (physisch wie psychisch) führen kann -und dass das gerade für Linkshänder ein Problem darstellt, weil sie in einer "rechtshändigen Welt" leben, steht ausser Frage.

    Nein, keine extrem ausgeprägte Händigkeit, sondern jede ganz normale Händigkeit führt zu Problemen, wenn man sie ignoriert oder unterdrückt. Jede Anpassungsleistung an nicht händigkeitsgemäßes "falsches" Agieren verursacht Stress und zieht unnötige Energien ab, die bei händigkeitsgemäßem Agieren für mühelosere und bessere Ergebnisse zur Verfügung stünden.

    Deswegen halte ich es für elementar, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass eine "rechtshändige Welt" in Stein gemeißelt ist.

    Wir ändern das gerade. Aber wie gesagt: Es braucht immer wieder neue Anstöße und viel Stehvermögen...

  • Da haben wir zwei verschiedene Meinungen, und das darf dann auch gerne so stehen bleiben, Wissenschaft ist Diskurs. Meiner Meinung und Erfahrung nach spielt der Grad der Lateralität eine Rolle und beeinflusst ob es Probleme gibt oder eben nicht, in welchen Bereichen und wie stark diese sind.


    Wenn ich Dich richtig verstanden habe, siehst Du das anders: Da hat jeder irgendwie ein Problem, der nicht „händigkeitsgemäss“ agiert. Und der Grad der Lateralisierung spielt keine Rolle.


    Jetzt bleibt nur noch zu klären, wie das denn mit Beidhändern ist. In meiner Theorie des Spektrums kann man die einfach in der Mitte einordnen, sie haben keine oder eine so leichte Lateralisierung, dass sie beidhändig wirken.


    Wie würdest Du diese Menschen klassifizieren?

  • In meiner Umgebung haben diesen Begriff bisher nur wenige Menschen benutzt. Ohne Ausnahme alle waren in Wirklichkeit umerzogene Linkshänder, die sich angepasst hatten und ihre angeborene Handdominanz so verdrängt hatten, dass sie sich spontan nicht mehr daran erinnern wollten. Es ploppte dann irgendwann doch auf im Gespräch. Bei mir blieb immer der Eindruck, dass die Umerziehung (So, wie ich es eigentlich als richtig empfinde, ist es nicht richtig. Richtig ist etwas anderes als das, was mein Gefühl mir vorgibt) hier ganze Arbeit geleistet hatte. De facto zu tiefer Verunsicherung geführt hatte.


    Von Frau Sattler gibt es einen Forschungsbericht von 1992. Die Zusammenfassung kann ich dir hier mal zitieren:


    "In Hypothesen über Entstehung und Entwicklung der Händigkeit wird der Begriff ``"Beidhänder" (auch "Ambidexter") sehr unterschiedlich definiert und oft nur durch reine Selbsteinschätzung und -beurteilung bestimmt. Bei Testuntersuchungen erwiesen sich die angeblichen Beidhänder entweder eindeutig als umgeschulte Linkshänder oder als Personen mit sehr inkohärenten, zum Teil sogar sich widersprechenden Ergebnissen. Bei der systematischen Untersuchung der letzteren Personengruppe stellt sich heraus, daß bei diesen Probanden durchgehend perinatale Hirnschädigungen nachzuweisen sind. Es wird die Hypothese diskutiert, daß Sauerstoffunterversorgung in der perinatalen Phase vornehmlich die Funktion der dominanten Gehirnhemisphäre stört. Diese ist für die angeborene Händigkeit zuständig, und so kommt es phänomenal zum zeitweiligen Wechseln des Handgebrauch, was fälschlicherweise dann als "Beidhändigkeit" diagnostiziert wird."

    (abgedruckt in: Sattler, Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn, S. 350ff.)


    Einen weiteren interessanten Satz fand ich noch an anderer Stelle: "Der gesunde Mensch kann nicht leicht links- oder leicht rechtshändig sein, ebenso wie man nicht - eine volkstümliche Metapher - ein "bißchen schwanger" werden kann. Ein verminderter Grad der Händigkeitsausprägung signalisiert eine physiologische Funktionsstörung." (a.a.O. S. 342)

  • Hm. Bin ich jetzt ein umerzogener Linkshänder, mein Bekannter physiologisch entwicklungsgestört und wir haben ein Problem, von dem wir nix wissen…. 😁 …weil ich bestimmte Begrifflichkeiten verwende…. Fragen über Fragen.


    Es ist richtig, dass eine Beidhändigkeit mit bestimmten Problemen einhergehen kann. Aber man sollte nicht alles pathologisieren.


    Nicht jeder Linkshänder hat ein Problem, nicht jeder Rechtshänder hat ein Problem. Die meisten Menschen kommen zum Glück ganz gut klar.

  • ;) Die Fragen kannst du wohl am allerehesten selbst beantworten. Deinen Bekannten kenne ich nicht, und von dir weiß ich ja auch nur das, was wir bisher ausgetauscht haben.


    Aber ich kann natürlich ein paar unverbindliche Gedanken aus der Ferne beisteuern


    - Fechten mit links: Wäre schon sehr ungewöhnlich, wenn jemand ausgerechnet eine solches Unternehmen, bei dem es so auf Reaktionsschnelligkeit und Treffsicherheit ankommt, ausgerechnet seiner nicht dominanten Hand überließe

    - Geige/Bratsche aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben: Ich musste da sofort an einen anderen rechtshändig spielenden Linkshänder denken, der ebenfalls sein Hauptinstrument aufgegeben hat...


    Bin ich jetzt ein umerzogener Linkshänder

    Wenn du eine solche Frage stellst, ist ja davon auszugehen, dass du dich bislang für einen Rechtshänder gehalten hast. Tatsächlich?

    Kurios, denn ich war, spätestens nachdem du von deinem Fechten mit links geschrieben hattest, eigentlich davon ausgegangen, dass du einer von den zahlreichen rechtsspielenden Linkshändern bist und das auch weißt.