Sieben Irrtümer über die Geige

  • Dass es Lehrer wie Dich gibt, die bei Kindern mit Lernschwierigkeiten auch mal auf die Händigkeit schauen, ist prima- das soll hier gar nicht falsch rüberkommen.


    Dass es eine Menge Werkzeuge gibt (z.B. Scheren..), und viele Alltagsgegenstände für Rechtshänder entworfen und für Linkshänder entsprechend schwierig zu bedienen sind, ist problematisch.


    Aber eben gerade beim Musizieren, wo beide Hände gebraucht werden, halte ich den "Knoten im Gehirn" bei Rechtshändern für genauso gross, aber eben bei verschiedenen Aufgaben. Nur bei Rechtshändern sind das dann "normale Schwierigkeiten" und wir "erwarten" diese, daher fallen sie uns nicht als Schwierigkeiten auf sondern sind "normale Entwicklungsschritte"/"Lernstufen". Ich kann ja auch sagen, der arme Rechtshänder muss sich mit der feinen Steuerung der Tonhöhe abquälen... und das schwere Instrument auf der schwachen Seite halten... Da ist Linkshändern vermutlich auch nicht bewusst, wie schwer das ist. Im Vergleich zu den unbestrittenen alltäglichen Schwierigkeiten ist das Musizieren meiner Meinung nach ein wenig drängendes Problem, bzw. eines, was sich leicht lösen lässt.


    Der "Knoten im Gehirn" entsteht, wenn zuviel Information seitens des Gehirns gleichzeitig verarbeitet (afferent) oder gesteuert (efferent) werden muss ("cognitive load"), und das in den gleichen Hirnarealen. Wir können beispielsweise relativ gut gleichzeitig lesen und hören und noch Gefühle dabei empfinden (da werden verschiedene Hirnareale beansprucht), aber relativ schlecht auch nur 2 verschiedene Bewegungen gleichzeitig ausführen oder auf verschiedene Geräuschquellen hören/verschiedene Sprachen gleichzeitig verarbeiten (da werden ähnliche Hirnareale beansprucht). Genaugenommen sind oft nicht nur Hirnareale, sondern es handelt sich je nach Aufgabe um "Pathways", also um die Verschaltung verschiedener Hirnareale, das macht das Ganze dann zusätzlich kompliziert.

  • Hallo Braatsch, alles gut. Ja, ein Forum führt sicherlich leichter mal zu Missverständnissen als ein Austausch in der wirklichen Welt, aber deine Rückmeldungen kamen nicht "falsch rüber".

    Wir dürfen ja trotzdem hier und da unterschiedlicher Meinung sein ;)


    Mir sind verschiedene Händigkeitstests ebenfalls geläufig, die gründliche Sattler-Untersuchung soll da durchaus noch aussagekräftiger sein als der EHI.


    Meine Erfahrung beim Ergreifen und Ausprobieren von Instrumenten durch Anfänger*innen ist eine andere, als du sie beschreibst: Der Bogen wurde ohne zu überlegen mit der Führungshand ergriffen, das Instrument mit der anderen. Beim Luftgitarrespielen ein ähnliches Bild: die Kinder spielen ohne zu überlegen so, dass die dominante Hand die Schlaghand ist.

    Bei der Djembe: übernimmt automatisch die dominante Hand die Führung: bei LHs die linke, bei RHs die rechte, und so fort.


    Zum Knoten im Gehirn: Die von dir beschrieben Überlastung gilt in der Linkshänderforschung als stehende Redewendung zur Umschreibung der Folgen einer Umschulung. Es gibt ein Buch von J.B.Sattler, das dies sogar im Titel trägt: "Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn". Als Erklärung im Buchtext: "Die Umstellung der angeborenen Händigkeit ist einer der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn: Durch den Gebrauch der nicht dominanten Hand, besonders zum Schreiben, kommt es im Gehirn oft zu schwersten Störungen und Irritationen, die den Menschen individuell meist sehr belasten und Auswirkungen für sein ganzes Leben haben können."

    Abbildungen von Aktivierungsmustern im Gehirn zeigen, dass beim RH Teile der linken Gehirnhälfte aktiv sind, beim RH Teile der rechten. Beim umgeschulten LH wird sowohl die rechte Gehirnhälfte aktiv als, mit Umweg, auch die linke. (Dieser Umweg soll unser Gehirn rund 30% mehr Energie kosten.)

    Spannendes Thema, finde ich.

  • Soweit ich weiss, war Frau Sattler vor allem Psychotherapeutin. Verschiedene Denkschulen führen zu verschiedenen Theorien/Ansätzen. Und Psychotherapeuten haben per se mehr mit leidenden Menschen zutun.


    Auch die Händigkeit bei Rechtshändern hat Auswirkungen auf ihr Leben. Mich stört vor allem dieses unterschwellige Betonen eines „Leidens“, „Benachteiligtseins“ und „die Händigkeit ist Schuld“. Es hat jeder „irgendwas“, aber damit muss man eben leben und Lösungen suchen. Und dass gerade im Bereich Musik die Linkshändigkeit beim Lernen auch Vorteile haben kann (neben den Nachteilen) und gerade in der Musik alle vor grossen Schwierigkeiten stehen muss eben auch gesagt werden.

  • Klar stehen alle, unabhängig von der Händigkeit, vor Schwierigkeiten aller Art.


    Aber dass die Linkshänder benachteiligt sind, lässt sich bei aller Toleranz wirklich nicht ausblenden: Kuck dir doch mal allein den Instrumentenmarkt an. Wie dünn das Angebot für LH immer noch gesät ist. Wann hat ein LH schon mal die Möglichkeit, ausgiebig - erst recht höherwertige - Instrumente zu vergleichen?

    Der Markt ist unverändert sehr ungleichgewichtig für Rechtshänder gemacht. Das lässt sich nicht schönreden. Und das wird sich nur ändern, wenn immer mehr LH ganz selbstbewusst ihrer Händigkeit gemäß spielen.


    "Dass gerade im Bereich Musik die Linkshändigkeit beim Lernen auch Vorteile haben kann":

    Damit meinst du, wenn ich dich richtig verstehe, das rechtshändige Lernen auf rechtshändigen Instrumenten. In meinen Augen ist das kein wirklicher Vorteil.

    Was hift es, wenn die dominante Hand auf dem Griffbrett gut unterwegs ist, die nicht dominante Hand dafür aber den Part übernehmen muss, für den die andere viel besser geeignet wäre? "Im Theater oder Film würde man hier von einer klassischen Fehlbesetzung sprechen" (O-Ton einer weiteren LH-Fachfrau zu diesem Themenkomplex).


    Nichts für ungut. Alles Gute für dich.

  • Im Prinzip hast du schon recht. So habe ich es auch gelernt, nämlich dass die Bogenführung wichtiger

    ist als das Greifen und deshalb greift der Rechtshänder mit der linken Hand.


    Der Linkshänder wägt ab und entscheidet sich i.d.R. für eine normale Geige. Die Nachteile (kaum Instrumente

    am Markt, schwer zu besetzen im Orchester) überwiegen. Oder er spielt gleich an anderes Instrument.

  • Ich verfolge diesen Beitrag schon eine weile und ich finde wer links spielt oder rechts spielt ist egal.

    Hauptsache man ist Gut in dem was man tut und fühlt sich wohl dabei. Und dann spielt es auch keine Rolle wo man im Orchester seinen Platz findet. Ich wünsche allen das Sie spass und freude haben beim Musizieren egal ob links oder rechts. :D :thumbup:

  • Super, genau so sehe ich das auch.


    Auf dass es ganz normal sein wird, dass auch Linkshänder*innen auf für sie "normalen" ;) (nämlich linkshändigen) Instrumenten spielen können und ganz normal auch in Orchestern ihren Platz finden :thumbup:

  • Ja, der Markt ist -leider- für Rechtshänder gemacht. Wie eben so vieles. Da muss man dann eben das Beste draus machen. Ich habe früher mal (ein wenig!) gefochten- und als Linksfechter hatte ich nur Vorteile. Es gab nur wenige, die auch links fochten, da passten die Bewegungen dann. Also focht ich oft gegen Rechtsfechter. Die kamen immer aus dem Konzept. ;)

  • Ja, die Bogenhand ist wichtiger/gefühlvoller als die Greifhand. Ich meine mit Vorteil, dass es Dinge gibt, die einem Linkshänder beim Lernen leichter fallen als eine Rechtshänder, also eben die Bewegung auf dem Griffbrett. Dafür muss er eben bei der Bogenführung mehr arbeiten. Kurz: Ich glaube diese "nur diese Hand ist für xyz geeignet"-Theorie nicht so ganz. Es mag schwerer sein, wenn man sehr stark lateralisiert ist.


    Und ja, wir sind uns einig- jeder soll spielen wie er will, und jeder soll seinen Platz im Orchester oder wo auch immer finden dürfen. Und wenn man ein Links- oder Rechtshänderinstrument aus welchen Gründen auch immer spielen oder nicht spielen will, soll man das tun dürfen.