Bitte um Einschätzung geerbter Geige mit ideellem Wert

  • Hallo!


    Ich bin ganz neu hier und würde euch gerne fragen, ob ihr gegebenenfalls die einfache Geige meines verstorbenen Opas einschätzen könntet.
    Sie wurde von mir bereits der Geigenbauerin übergeben, welche den Steg, Stimmstock, den Endknopf und Saitenhalter ersetzt hat, neue Saiten, das Griffbrett abgerichtet und einen neuen Kinnhalter montiert.
    Ich spiele mit der Geige als Anfängerin und mag sie soweit ich den Klang überhaupt beurteilen kann.


    Laut Aussage meiner Opa war sie die Schülergeige/Anfängergeige meines Opas. Er hat noch eine weitere, die auch in wesentlich besserem Zustand ist. Die wird allerdings nur weitergeben, wenn jemand auf der ersten Geige einigermassen spielen kann bzw. gerne spielt und da diese hier meine jetzige Begleiterin ist, hoffe ich, dass hier vielleicht jemand mehr über die Geschichte ggf. Herkunftsort sagen kann?


    Wert ist mir egal, ich habe sie in Stande gesetzt um zu spielen und sie hat für mich einen höheren emotionalen Wert.


    Vielen Dank und freundliche Grüsse


    Jennifer

  • Vielen Dank für die erste Antwort!
    Nein, ich habe soweit nichts gefunden, auch nicht im Innern der Geige. Wäre eine Brandmarke auch dort zu finden?


    Ich schaue noch im alten Geigenkasten nach, ob ich etwas übersehen habe.


    Würden Fotos von den alten Bestandteilen helfen? Die Geigenbauerin hat sie mir mitgegeben.

  • Nein, denn die Bauteile sind "Austauschware". Ich tippe auf die Herkunft Sachsen, Gegend um Klingenthal, zwischen 1880 und 1910. Zumindest kenne ich sehr ähnliche Instrumente, die gesichert aus dieser Gegend und dieser Zeit stammen. Solche Geigen wurden in Massen von verschiedenen Manufakturen gefertigt, und diese ist schon eine der guten Manufakturgeigen, und als Instrument für einen Anfänger absolut geeignet. Bei entsprechendem Klang, den ich dieser Geige durchaus zutraue, kann man als Amateur auch sein Leben lang glücklich werden. Vieles kann man mit einem guten Setup und zum Instrument passenden Saiten (mal auch die teuren durchprobieren!!!) noch optimieren.


    Die Manufakturgeigen haben einen schlechten Ruf und kaum noch einen monetären Wert, viele von denen sind aber solide Instrumente mit inzwischen 100 Jahre lang "abgelagertem" Holz, aus denen man klanglich auch noch Einiges herausholen kann, wenn man denn will und investiert- nur meistens macht das bei den "wertlosen" Geigen niemand, und so bleibt der schlechte Ruf bestehen.

  • Danke für die Antwort!


    Im Kasten habe ich nichts weiter gefunden, der stammt noch von Musikhug (Schweizer Musikhaus für den Vertrieb von Instrumenten und Zubehör), ist ein alter Holzkasten mit einem bestickten Filztuch.


    Sie hat, im Gegensatz zu den anderen zwei Geigen, mit denen ich üben durfte, einen tieferen, raueren Klang. Allerdings hatte ich auch jedes Mal einen anderen Bogen und als Anfänger steht die Tonproduktion eh noch auf wackeligen Beinen. Bin mit ihr aber soweit sehr glücklich, weil es ist "meine" Geige und hat meinen Opa jahrelang begleitet und wenn ich in einem Jahr oder mehr ein bisschen besser damit umgehen kann, dann kann ich schauen, was ich der Geige und mir noch gönnen möchte.


    Danke nochmals für die Einschätzung. Es ist wirklich spannend!

  • Ja, auch den "rauhen" Klang kenne ich gut von den älteren sächsischen Geigen. Meiner Meinung nach ist das aber kein Manko, sondern eben eine Charakteristik. Die kann man mit guten Saiten noch etwas "ausbügeln", oder man hat eben einen etwas "wilderen" Klang- der eben original ist und meiner Meinung nach auch seine Berechtigung hat.


    Übrigens waren Barockgeigen sehr oft klanglich ganz anders als unser heutiges Ideal. Die Tiefen waren oft "rauchig", während die Höhen gerne mal etwas scharf waren- mit den Darmsaiten war das dann schon abgemildert, aber immer noch hatte sehr viele Geigen klangliche "Register", also in verschiedenen Höhen verschiedene Klangfarben, und ein "silbriger" Klang war durchaus gewünscht. Für uns ist das heute "unausgeglichen", die Musik der Barockzeit und der Romantik wurde aber eben auf genau solchen Instrumenten gespielt- und war dementsprechend "unausgeglichen", man könnte auch sagen, klanglich lebendig. Natürlich gab es auch damals schon teure Geigen, die ausgeglichen waren, und ausgesprochen "süß" klingende Instrumente. Aber die Masse war es eben nicht.

  • Ja, Charakteristik trifft es. Mir ist sie vom Klang her sympathischer als die anderen, wobei ich vermute, dass sie am Samstag mit dem Musiklehrer noch besser gestimmt wird.
    Es ist aber sehr faszinierend, wie schnell man selbst als Anfänger den Klang unterscheiden kann, obwohl ich bis vor wenigen Wochen nichts mit Geigen am Hut hatte.


    Da die Reperatur der zwei alten Bögen teurer gewesen wäre, als ein neuer, habe ich bei der Geigenbauerin dort auch noch weitere Exemplare ausprobiert. Der erste Bogen liess sich leichter führen und es klang ein bisschen heller, während der zweite Bogen einfach nur wild war und schwierig in dern Handhabung. Habe mich dann für den ersten entschieden, wobei ich vermute, dass ein geübter Spieler mit dem zweiten vielleicht noch mehr Klangfarbe herausgeholt hätte - es war schlussendlich eine Bauchentscheidung.


    Ansonsten kommt es mir schon vor, als ob ich ein neues Pferd habe (bin Reiterin), welches mich "testet" - habe ich einen Tag vorher auf dem Leihinstrument nach zwei Wochen üben immer regelmässiger Töne hervorgebracht und konnte die Saiten besser wechseln, ohne die anderen zu berühren, ist es mit der neuen einen grossen Schritt zurück. Die G-und D-Saite sind händelbar. Die E-Saite klingt sehr speziell, aber ich kann es nicht beschreiben. Es ist ein bisschen, als ob man eine Klarinette und eine Oboe hört - meine jetzige ist die Oboe. Und mit der A-Saite stehe ich auf Kriegsfuss, weil ich bei geschlossenen Augen zwischen ca. cem unteren Drittel und der unteren Hälfte immer Richtung Griffbrett abrutsche. Dafür macht es viel Spass!
    Aber das schauen wir alles in der nächsten Stunde am Samstag an.


    Vielen Dank für diese detaillierten Information, es ist wirklich ganz interessant zu lesen!

  • Na, den Trab wirst Du auch auf der anderen Geige aussitzen lernen, und die Seitengänge/"Saitengänge" kriegst Du auch bald hin. :)


    Und beim Sattel -äääh, Bogen- hat man manchmal das Problem, sich zwischen "bequem und sicher" und "viel Bewegung erlaubend/diffizil" zu entscheiden. :)

  • Bestes Beispiel jemals! Das ist super, ich kann es mir gleich besser vorstellen! :D


    Du wirst lachen, aber ich fand von Anfang an, dass sich Reiten und Geige irgendwie ähnelt. Wobei ich mir geschworen habe, das nächste Mal, dass ich etwas neues ausprobiere, wird es einfach. Socken stricken oder so.