Mein Lernprojekt an einer "fraglich reparierbaren Geige"

  • geige24-streicherforum.de/wcf/index.php?attachment/22696/Nach fast stiller bisheriger Leseteilnahme möchte ich euch mein Lernprojekt vorstellen.


    Ich war in den letzten 4 Jahren in einem Amateur-Kurs beteiligt beim Bau (m)einer Bratsche. Mir war im Kurs bald klar geworden, dass ich anschliessend die gesehenen und teilweise selbst ausgeübten Schritte ganz selbständig an einer Geige üben wollte – sozusagen angstfreies Ausprobierfeld für einen frisch Pensionierten. Der Tenor im Kurs war stets: «Ne faites pas des bêtises/il faut pas manger les traits»


    Aus kurstechnischen Gründen konnte ich zwei Prozesse nicht im Kurs erleben:

    • Vorbereitung Griffbrett, Ausarbeitung des Halses und Einsetzen in den Korpus.
    • Thema Lackierung … hier folgen später noch spezifische Fragen.

    Ich habe durch Zufall vor 1,5 Jahren im Internet eine ca. 100jährige Geige kaufen können – gegen einen Mitbewerber, der bei ca. 120 Fr. nicht mehr mitbot. Im Inserat war herausgestrichen, dass der Wirbelkasten nach einem Unfall nicht mehr zu reparieren war.


    Aus gesundheitlichen Gründen musste ich zu der Zeit an mit Decke und Boden pausieren, Feinarbeit hingegen war möglich. So begann ich mit dem Bau von Hals und Schnecke (mit Hilfe von Violin making Manual / YouTube Videos). Mit dem Vorangehen der Arbeit musste ich mich der Frag stellen: wie kriege ich den Hals aus diesem sichtlich viel gespielten Instrument gelöst und noch schwierigere Frage: durfte ich das überhaupt?


    Nachdem der Hals schliesslich gelöst war, musste ich feststellen, dass der Hals mit sehr viel Leim schief eingeleimt gewesen war und zur Korrektur nicht mittig und noch wichtiger, dass ich nicht der erste «Amateur» war, der an diesem Hals herumwerkelte. Ich musste in der Halsöffnung Holz ansetzen. Ich musste mich entscheiden, ob ich die Decke ganz öffnen wollte und den Oberklotz ersetzen oder die Oeffnung 1-2mm tiefer machen will. Als Uebungseffekt habe ich schliesslich dreimal Holz auf der Seite der Fuge angesetzt, bis der Hals passte.


    Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes ist die Geige 48 Stunden bespannt und der Hals ohne kleinste Bewegung. (In dieser Variante 3 sass der Halsfuss gerade noch fest ohne Leim.)


    Excüsez ich bin ein unerfahrener Fotografierer, ich hoffe die Bilder funktionieren - ich möchte ja auch keien Wertdiskussion und verkaufen schon gar nicht.


    Fortsetzung folgt, wenn ihr mögt!

    Mit freundlichem Gruss CGDA

  • Ich habe schon über mein ungutes Gefühl geschrieben, der Geige den Hals herauszulösen.


    Anfänglich versuchte ich mit sanften Methoden: Flaches Messer, eingetaucht in warmes Wasser, ich habe den Fön eingesetzt und prompt den Lack in Mitleidenschaft gezogen. Schliesslich den mit dem Messer eröffneten Spalt neben dem Halsfuss mit einer Säge weiterbearbeitet und zur Sicherung des Zäpfchens unten losgesägt. Aber nichts funktionierte. Dafür hatte die Decke neben dem Halsfuss gelitten – was sich aber als nicht so schlimm erweisen sollte, da der Hals nicht mittig eingeklebt war.


    Schliesslich nahm ich zur brachialen Methode Zuflucht, die ich in einem Youtoubevideo gesehen hatte. Ich stellte die Geige auf die Seite. Ich umfasste mit der linken Hand die Unterseite der Decke, sicherte dabei das Zäpfchenchen. Mit der rechten flachen Hand führte ich Schläge seitwärts auf den Hals aus. Es knirschte der alte Leim und der Hals löste sich ziemlich einfach. Keine Schäden auf der Seite der Korpusöffnungen, einzig ein Splitter des Oberklotzes war auf dem Halsfuss kleben geblieben.


    Beim zerstörten Deckenrand muss ich jetzt, nach hoffentlich weiterhin erfolgreichem Einleimen des Halses, beidseitig noch einen Splitter einkleben.

  • Durfte ich diese Geige als Lernobjekt verwenden? Dazu noch etwas zur Geschichte der Geige.


    Sie hat nämlich einen Zettel mit der Aufschrift „VIOTTI essayé No. 2653“ sowie ein „Certificat“ von 1924, eines M. Altermanns, Professeur an einem Pariser Conservatoire.


    Die Verkäuferin hatte vor dem Verkauf Rücksprache genommen mit einem Geigenbauer, der die Geige nach Frankreich verortete, wahrscheinlich Mirecourt. Sie hatte die Geige zu einem günstigen Preis angeboten, weil sie – ich nehme an, ebenfalls aufgrund dieser Rücksprache – Wirbelkasten und Verbindung zum Hals als unreparierbar erachteten. Sie schrieb mir: «Hoffe das Instrument kann Ihnen noch auf irgendeine Weise nützlich sein.»


    Seit 3 Tagen weiss ich, dass das Instrument schon nur mit meiner laienhaften Einrichtung eines neuen höheren Steges gut klingt.


    Ja, was meint ihr: Durfte ich?

  • Hallo CGDA, das klingt doch nach einer tollen Sache.

    Warum solltest du das nicht dürfen? Was du damit machst, ist doch deine Entscheidung.

    Wie du schreibst, war an dem Instrument ja auch vorher schon etwas unorthodox herumgewerkelt worden.

    Und dieses womöglich einmal gute Instrument noch einmal neu zum Leben erwecken: Das ist doch ein dankbares Lernprojekt.

    Entsprechen die Maße des neuen Halses dem alten? Der neue sieht geringfügig kräftiger aus. Kann aber an den Fotos liegen.

    Viel Erfolg!

  • Mittels eines Anschäfters hätte man den alten Wirbelkasten mit der originalen Schnecke vielleicht retten können. Ich weiß nicht, wie wertvoll die Geige (jetzt noch) ist, da müsstest Du bei einem Geigenbauer vorbeigehen.


    Die Arbeit an Hals und Schnecke sieht gut aus, allerdings ragt der Halsfuß auf der Diskantseite über das Zäpfchen hinaus, ist also zu breit. Auf der Bassseite passt es. Daher stellt sich mir die Frage, ob der Hals jetzt wirklich mittig eingepasst ist. Auch ist der Halsfuß (von der Seite her gesehen) sehr massiv und erinnert an barocke Hälse. Hier kannst Du auf alle Fälle noch Holz wegnehmen und damit die Geige leichter machen und das Spiel in hohen Lagen erleichtern.

  • Danke fürs genaue Beobachten ( lh-fiddle / geigerlein).


    Ich habe mir das auch überlegt wegen des Anschäfters. Aber man hätte den Hals mit erneuern müssen, da es an der Stelle so wenig Holz hat. Ein Spalt geht fast mitten durch den Halsansatz. Dazu hat der Wirbelkasten mindestens 4 weitere Risse. Ich habe das "fraglich reparierbar" als Ausdruck des konsultierten Geigenbauers darauf bezogen. - Dazu kommt das Problem des schiefen Halsansatzes./ des unsymmetrischen Zäpfchens. Auf der Diskantseite ist das Zäpfchen 9mm, auf der Basseite 10,5mm. (vermutlich ist das der Grund gewesen sein, dass ein Vorbesitzer den Hals schräg einleimte.)


    Am Halsfuss will ich noch weiterarbeiten. Ich wolte als Neuling erst mal wissen, ob die Sache hält.

    Vielleicht könnt ihr mir raten, ob ich den Halsfuss aufs Zäpfchen hinarbeiten soll - ich hatte bisher eher die Idee, ich forme den Halsfuss symmetrisch zur Achse und das Zäpfchen ist ganz zuunterst eben nicht mittig.

  • Das sieht super aus, wie du das gemacht hast. Ich würde das Zäpchen lassen, wie es ist und den Hals

    an das Zäpfchen anpassen. Das verläuft dann minimal unsymmetrisch, so what ... Hauptsache, es fühlt sich

    gut an beim Spielen. Die alte Schnecke ist jetzt keine Offenbarung, also nicht schade drum, mit deiner

    Handarbeit machst du es individueller. Wird mit Lack sicher super aussehen. :thumbup: