MEYER HEIDE GEIGE Friedrichsfeld

  • Irgendwie ist mir die Verbindung der Geige zu Kulenkampff nicht schlüssig. Nur weil er auch aus Bremen kam, besass ein Bremer Pastor "seine" Geige? 1936, als die Geige gebaut wurde, war Kulenkampff nicht mehr in Bremen, sondern war in Berlin tätig und ein hochangesehener Violinvirtuose. Schon 1948 ist er in der Schweiz, nicht in Bremen, gestorben. Spielspuren in den hohen Lagen, wie sie für ein Profi-Instrument üblich wären, sehe ich bei dieser Geige nicht. Daher bin ich bei der Provenienz extrem skeptisch, wer weiss, was der Pastor da erzählt hat und was für eine Geige wirklich auf den Fotos zu sehen ist.


    Aber egal: Solche Tonverbesserungsversuche gab es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zuhauf. Was davon wirklich funktioniert hat, und was davon Werbung war...Wenn das alles so durchschlagend erfolgreich gewesen wäre, hätte man damals schon höhere Preise verlangt ("wohlfeile Instrumente..."), die Firmen wären berühmt geworden, bekannt geblieben etc..... heute muten diese Werbeanzeigen eher kurios an, sind aber sehr interessant um zu sehen, welche Ideen man damals verfolgte (da ist diese hier ganz vernünftig!).


    Das heisst nicht, dass das eine schlechte Geige ist! Die ist ganz gut gebaut, auch wenn ich sie nicht für ein Solisteninstrument halte (die Geigenbauer auch nicht, sonst läge der Preis nicht bei 5000-6000). Die Holzauswahl ist gut, aber nicht überragend. Daher sehe ich die Preisvorstellung/den angegebenen Wert hierzulande als schwer erzielbar, aber in der Türkei kann das ganz anders sein. Da kenne ich die Marktlage nicht.

  • Hallo Braatsch,

    Sehr vielen Dank für ihre Informationen. Wie der Pastor an diese Geige kam, ob Georg Kulenkamff mehrere besaß und diese vielleicht wegen Mangel an seine Familie in Bremen hinterlag ist ein Fragezeichen. Aber im Endeffekt sind alle eure Beitraege sehr wertvoll für mich, und falls ich nicht falsch verstanden habe seit Ihr alle bei einem Wert von ca.500 Euro. Ich kenne mich überhaupt nicht aus, und vielleicht ist es auch etwas Schade weil ich diese Geige besitze und nicht jemand der sie spielen kann oder mehr Wissen hat.

    Jedenfalls wird sie in unserem Familienbereich in Besitz bleiben.

    Auf weitere Beitraege die mir entgegenkommen, freue ich mich sehr

  • Naja, es gibt viele Familiengeschichten, die nicht stimmen. Der Pastor kann Ihren Vorfahren sonstwas erzählt haben.


    Die Geige ist nicht schlecht, aber eben nicht das, was ein Violinvirtuose vom Range Kulenkampffs spielen würde.


    Sie in der Familie zu behalten ist aber sowieso die beste Lösung.

  • Ich glaube auch die Geige in der Familie zu lassen ist eine Gute Idee.

    Aber in 40 Jahren wird sich am Wert und der Nachfrage nichts geändert haben.

    Es wird noch mehr Preiswerte und Gute Geigen aus Fernost geben die den Preis drücken.

  • Falls sie Zeit und Interesse haben hier noch eine kurze Auskunft über die Heide-Meyer Geigen, vorallem nutzen sie bitte die Links zu den sehr Interessanten Zeitungsberichten zu Robert Meyer und den Geigen


    Die Geschichte der Meyer-Heide-Geigen ist eine zweifellos ungewöhnliche Geschichte, wie es sie doch recht viele in Friedrichsfeld gibt. Alles begann mit der Absetzung der Geschäftsführung der damaligen Siedlungsgesellschaft für den Kreis Dinslaken, heute Wohnbau Dinslaken, im Sommer 1933. Die beiden bis dahin verantwortlichen Geschäftsführer wurden im Zuge der Gleichschaltung entlassen. Sie waren nicht so regimetreu, wie es sich die Verantwortlichen des Kreises erwünscht haben. Sie wurden am 08.06.1933 von Friedrich Wilhelm Geldmacher ersetzt, der aber nicht lange blieb, denn sein Nachfolger wurde bereits am 11.04.1935 Robert Meyer.[1]

    Robert Meyer wurde am 06.03.1881 in Mülheim an der Ruhr geboren. Ihm ist es zu verdanken, dass in Friedrichsfeld Geigen gebaut wurden. Über dieses Thema ist nur sehr wenig herauszufinden. Viele Akten der Siedlungsgesellschaft aus der Zeit vor 1945 überstanden den Krieg nicht. Nach schweren Bombenangriffen Mitte Februar 1945 und dem Rheinübergang der Alliierten in der Nacht vom 23. auf den 24. März 1945 wurden wohl viele Akten zerstört. Möglicherweise wurden manche Dokumente auch absichtlich vernichtet, wie es auch in vielen anderen Verwaltungen vorkam, damit diese nicht den Alliierten in die Hände fielen.

    Die Geschichte des Geigenbaus begann mit der Gründung der Heide-GmbH. Die damaligen Lebensumstände in Friedrichsfeld waren katastrophal. Die Weltwirtschaftskrise stürzte die eh schon gebeutelte Friedrichsfelder Bevölkerung in noch größere Nöte. Die meisten im Ort lebenden Menschen waren einfache Arbeiter, die ihr Einkommen beim Bau des Wesel-Datteln-Kanals, damals noch Lippe-Seitenkanal genannt und in der Industrie erwarben. Sie bewohnten die zahlreichen ehemaligen Militärbaracken im Ortskern und die um diese Baracken in den 1920er Jahren errichteten Mietshäuser. Das fehlende Einkommen hatte daher einen hohen negativen Effekt auf die Siedlungsgesellschaft: Sie nahm kaum Mieten ein und konnte ihre Ausgaben nicht gegenfinanzieren.

    Um Jugendlichen eine Perspektive zu bieten, wurde die Heide-GmbH gegründet. Hier sollten diese eine handwerkliche Ausbildung erlangen können. Neben vielen Nutz- und Deko-Objekten aus Metall und Holz wurden von der Heide-GmbH auch Geigen und andere Streichinstrumente hergestellt und verkauft. Vor 1940 wurden neben Geigen auch Celli gebaut und ab 1940 sollten auch Bratschen gefertigt werden. Hierbei muss man sich aber schnell von der Vorstellung befreien, dass diese Instrumente komplett in Handarbeit in Friedrichsfeld hergestellt wurden. Robert Meyer war selber leidenschaftlicher Geiger und lernte und informierte sich bei damaligen berühmten Geigenbauern wie Otto Möckel (1869-1937) über den Bau eines solchen Instruments. Er studierte hierfür z.B. auch die Stradivarigeige „San Lorenzo“, die sich in der Talbotstiftung in Aachen befand und noch immer befindet. Sie wurde vor einigen Jahren von David Garrett gespielt. Robert Meyer ging als Ingenieur sehr wissenschaftlich an das Geheimnis des wunderbaren Klangs der alten italienischen Meistergeigen heran. Mit einem Geigenbauer aus Markneukirchen, neben Mittenwald einem der bedeutendsten Herstellungsorte des deutschen Geigenbaus, der Martin Dürrschmidt hieß. Er führte den Zuschnitt der Hölzer in dessen eigener Werkstatt durch. Meyer erhielt auch von weiteren Fachleuten Unterstützung. So half ihm der Statiker Hans Krüger aus Düsseldorf beim Bau der Resonanzkörper.

    Die Geigen selbst wurden nicht wie das meist in der Gesellschaft vorherrschende Bild von einem Geigenbauer in seiner Werkstatt gebaut, sondern als Manufakturgeige gefertigt. Seit dem 19. Jahrhundert wurde es üblich, dass eine Geige durch verschiedene Hände ging und jeder Arbeiter einen bestimmten Teil daran fertigstellte. Dadurch konnten deutlich mehr und preisgünstigere Geigen produziert werden. Weil Geigen erst nach dem Einspielen einen guten Klang erhalten können, erfand Robert Meyer ein lautloses Einspielverfahren, das er mithilfe von Elektrizität durchführen konnte. Die Decken bestanden aus Fichten- und die Böden aus Ahornholz. Jedes Instrument erhielt einen Zettel, welcher die Herkunft, den Namen des Erbauers (Robert Meyer) und die Nummer des jeweiligen Herstellungsjahres angab.

    Am 4. Januar 1937 bekam Robert Meyer die erste Gelegenheit seine Instrumente einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Im Kammermusiksaal der Stadthalle von Mülheim a. d. Ruhr fanden sich Künstler, Dirigenten, Musikwissenschaftler, Geigenbauer und Kritiker ein, um sich ein Bild von dem Klang zu machen. Die Geigen überzeugten. Und zwar so sehr, dass die Kreishandwerkerschaft Düsseldorf unter Führung des Geigenbauers Wilhelm Otto (1875-1941) einen Prozess anstrengte wegen unlauteren Wettbewerbs und Betrug. Das von Robert Meyer erfundene Tonsicherungsverfahren sollten gleichklingende hochwertige Geigen versprechen. Der Violinist Walter Schulze-Prisca (1879-1957), der bereits in der Mülheimer Stadthalle gespielt hatte, sollte beim Prozess sowohl auf einer Meyer-Heide-Geige als auch auf einer italienischen Amati spielen. Das Verfahren wurde eingestellt. Der führende klagende Geigenbauer hatte eine Meyer-Geige noch nie gehört und störte sich vor allem and er Formulierung, dass günstig in Serie hergestellte Meistergeigen produziert würden. Da Meyer beteuerte, dass er nur einfache Geigen baue, die für eine breite Masse der Bevölkerung erschwinglich sein sollten, wies das Gericht die Klage ab.

    Der Krieg legte den weiteren Bau der Instrumente bereits nach den Anfangsjahren lahm. Das letzte bisher bekannte Jahr, indem noch Meyer-Heide-Geigen produziert wurden, war 1942. 1943 werden wohl wegen Material- und Personalknappheit keine Instrumente mehr gefertigt worden sein. Ob noch die angedachten Bratschen gebaut werden konnten, ist bislang unklar.

    Direkt nach der Einnahme Friedrichsfelds durch die Alliierten am 24.03.1945 fuhr Meyer mit einem Fahrrad der Siedlungsgesellschaft los und fand in Krefeld bei einem Bekannten eine Unterkunft. Mit der in den Monaten danach betrauten Geschäftsführung verhandelte er schriftlich die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 01.08.1945. Die Gründe hierfür gehen aus dem Schriftwechsel nicht hervor. Nach Friedrichsfeld kehrte er nicht mehr zurück. Die kurze Geschichte der Friedrichsfelder Geigen war vorüber.


    Quellen:


    https://land-dinslaken.de/images/heimatkalender-jahrbuecher/1940-1949/1940/Inhalte/093b-095%20Von%20der%20Geige%20und%20den%20Herstellungs-Grundlagen.pdf


    https://land-dinslaken.de/images/heimatkalender-jahrbuecher/1960-1969/1969/Inhalte/HK1969--terbrueggen--die-meyer-heide-geigen--123.pdf


    Zeitungsartikel:


    05.01.1937

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/7703389?query=%22meyer%20geige%22


    05.01.1937

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/7703382?query=%22meyer%20geige%22


    07.01.1937

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/10566192?query=%22robert%20meyer%22


    13.01.1937

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/7703490?query=%22meyer%20geige%22


    29.10.1937

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/7707504?query=%22meyer%20geige%22


    30.10.1937

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/10624979?query=%22robert%20meyer%22


    25.01.1939

    https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/7714144?query=%22robert%20meyer%22




    [1] Wer in der Zwischenzeit die Gesellschaft kommissarisch führte, ist bisher unbekannt.

  • Dürrschmidt ist eine in Markneukirchen heimische Instrumentenbauerfamilie. In Markneukirchen und der dortigen Umgebung wurden schon im 19.Jahrhundert Geigen im Manufakturverfahren hergestellt, das war damals nix Neues und nix Besonderes. Im Gegenteil: Nur so konnten solche Unmengen von Instrumenten (nicht nur Streichinstrumente...) produziert werden, die in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg, in geringerem Maße auch danach in alle Welt exportiert wurden. Das war ein so florierender Handel, dass Markneukirchen damals sogar eine amerikanische Konsularvertretung besaß, die nur dazu diente, den Export zu koordinieren. Die allermeisten Geigen, die es zu kaufen gibt, wurden damals wie heute im Manufakturverfahren gefertigt. Meistergeigen sind extrem teuer, das können/wollen sich Anfänger/Schüler nur in den wenigsten Fällen leisten. Auch viele Hobbyspieler überlegen sich so eine Investition von mehreren Tausend Euro zweimal, zumal es auch eine Menge recht guter Manufakturgeigen gibt, die aufgrund der Herstellungsweise eben doch deutlich billiger sind als handgearbeitete Einzelstücke. Gemessen an der Menge der produzierten Instrumente, dürfte "Manufaktur" tatsächlich eher das "Standardverfahren" und eher die Regel als die Ausnahme sein.


    Ebay ist voll von allen Manufakturgeigen, deren Qualität von "Dekostück" über "als Schulinstrument tauglich" bis zu "Orchesterinstrument" (selten!) reicht. Der Wert wird dabei im Wesentlichen vom Klang bestimmt.


    Letztendlich sind die Meyergeigen also Instrumente, die in Markneukirchen vorgefertigt wurden, bzw. wurde dann Friedrichsfeld eine eigene Manufaktur gegründet, die ein paar Besitzer-/Leitungswechsel durchmachte, was ja in der damaligen Zeit auch nicht unüblich war.


    Dann hatte eben jemand die Idee mit dem Tonverbesserungsverfahren, so wie es damals und teilweise bis heute immer wieder neue Versuche und "garantiert funktionierende" Verfahren gab. Ausser den Werbegags ist bisher davon nix geblieben, da hat sich nix durchgesetzt, weil es leider doch nicht so geklappt hat...


    Für den Wert der Geige spielt diese Geschichte keine Rolle. Dennoch ist es natürlich schön und interessant, die Geschichte des eigenen Instrumentes zu kennen. Das Ganze spiegelt ja auch immer die Zeitgeschichte wieder.