Geigenrätsel

  • Ich bin erst vor kurzem zufällig auf diese Seite gestoßen und ganz fasziniert von dem fachkundigen Austausch hier.

    Vielleicht hat ja jemand von euch eine Idee, wann und wo meine Geige Nr. 3 (s.u.) gebaut worden sein könnte?


    Zur Hintergrundgeschichte: Da ich auch gerne an Instrumenten herumbastele, bekam ich diese Geige vor einigen Jahren von Bekannten zum Geburtstag geschenkt. Ein klassisches Dachbodenexemplar in einem uralten Koffer, viele Jahre nicht ausgepackt, schmutzig, in der Decke des Instruments hatte es sich deutlich sichtbar ein Holzwurm gemütlich gemacht. Mehrere Risse in der Decke, und auch Deckenränder und Zargen zeigten Restaurierungsbedarf.

    Da es sich trotzdem um ein wunderschönes Instrument handelte, auch der Klang mich beeindruckte, soweit ich das beurteilen konnte, ich selber mir diese Reparaturen aber nicht zutraute, habe ich das gute Stück zu meiner Geigenbauerin gebracht. Diese hielt das Instrument auf jeden Fall für restaurierenswert.

    Da ich als Linkshänderin mit großer Freude linksherum spiele, ist die Geige nun linkshändig eingerichtet. (Nur die Wirbel in dem zartwandigen Wirbelkasten haben wir rechtsherum belassen.)


    Und jetzt für euch, für die weitere Spurensuche:

    Die Geige enthält keinen Zettel. Sie ist aber bereits im 19. Jahrhundert gespielt worden. Soweit ließ sich die Familiengeschichte rekonstruieren. Selbst ein zauberhaftes kleines unvollständiges Heft (Schroeder, Violinspiel) mit u.a. Informationen zu seinerzeit aktuellen Geigenbauern, die in der ersten Hälfte des 19. Jhdts. geboren wurden, fanden sich im Geigenkoffer.

    Der Hals ist angeschäftet. Möglicherweise ist sie also noch älter (?).

    Meine Geigenbauerin vermutet als Ursprung evtl. den süddeutschen Raum.

    Sehr besonders ist die Rückseite des Wirbelkastens: glatt gearbeitet, keine Hohlkehlen. Auch die kleine Bohrung ist schon da gewesen.

    Vielleicht hat ja jemand von euch so etwas schon einmal gesehen und eine Idee, woher das Instrument stammen könnte?

  • schöne Geige. hohe Wölbung. Für eher ein Stainermodell aus dem Böhmischen. Ordentlich gearbeitete Geige. 19. Jahrhundert könnte stimmen. Man kann nicht sehen, ob der Hals angeschäftet wurde.


    Der Wirbelkasten sieht ungewöhnlich aus, Schnecke recht ordentlich. Ein handgefertigtes Instrument.

  • Den Anschäfter kann ich hier nicht wirklich sehen. Das wurde manchmal auch nur vorgetäuscht, um das Alter der Geige optisch aufzuwerten. Zwischen 1800 und 1880 ist alles möglich.


    Der Ursprung könnte auch im Sächsischen liegen, die Bilder sind nicht wirklich aussagekräftig.

  • Wert alles möglich 1500 bis 6000 Euro eventuell auch weniger, je nach Klanggeschmack. Solche Geigen wurden oft gefertigt, sicherlich aber keine Manufakturware. Ohne Zettel wirklich nicht genauer zuzuordnen.

  • Doch, auf dem Bild wo die Schnecke/Wirbelkasten von vorne fotografiert wurden ist der saubere Anschäfter zu sehen. Das ist ausnahmsweise mal kein Fake ;)


    Herkunft: Es gab ...zig Geigenbauer damals in ganz Europa, nicht nur in den "klassischen" Geigenbauregionen, sondern beispielsweise auch in Königsberg, in Schlesien, in der Schweiz... Im Prinzip hat es -zumindest im 19. Jahrhundert und später- in vielen grossen Städten und kulturellen Zentren Instrumentenbauer gegeben. Und die haben irgendwo ihre Lehre gemacht, waren dann auf der Walz, haben sich dann irgendwo niedergelassen- sprich, ein damaliger Handwerker ist oftmals weit herumgekommen und kann sehr viele Stile und Eigenheiten gelernt und umgesetzt haben. Gerade bei individuellen Instrumenten können daher Merkmale verschiedener Regionen auftreten, welche eine Zuordnung unmöglich machen.


    Bei deiner Geige sehe ich sowohl Merkmale, die nach Sachsen passen, als auch Merkmale, die nach Süddeutschland passen. Und auch Merkmale, die zu gar nix passen. Für mich ist das ein sehr individuelles Instrument, was qualitativ hochwertig gebaut wurde und in keine Schublade richtig reinpasst.

  • Vielen Dank für eure Rückmeldungen und Einschätzungen. Das trifft es alles sehr gut meiner Meinung nach.

    Von dem sorgfältig gearbeiteten Anschäfter kann ich bei Bedarf auch gerne noch einmal Fotos aus klassischerer Perspektive direkt am Halsansatz machen.


    Sehr besonders finde ich übrigens auch, dass die F-Löcher nicht ganz symmetrisch gearbeitet wurden. Die obere Kugel des linken F-Lochs sitzt fast 3 mm höher als die rechte. Und so sorgfältig, wie der Erbauer gearbeitet hat, gehe ich davon aus, dass er sich etwas dabei gedacht hat.


    Die Zarge unter dem Untersattel ist übrigens geteilt. Auch das lässt ja mitunter vorsichtige Rückschlüsse auf die Herkunft zu. Wobei ich mir bei diesem Instrument da auch nicht so sicher bin.


    Es hat einen zauberhaften Klang, der die Seele berührt.

    Von dem schönen Larsen-Tzigane-Satz, den ich derzeit drauf habe, ist leider nur die A-Saite etwas störrisch, spricht etwas schwerer an, klingt weniger nach. Sie ist mir fast zu dick, zu fest. Oder schluckt die Aluminium-Wicklung bei so einem Instrument Schwingungen?

    Vielleicht hat ja jemand hier auch Erfahrungen/Ideen?

  • Mich wundert, dass die Geige nach dem Umbau so gut klingt.


    Der Geigenbauer baut ja die Decke nicht nach Zufall, sondern passend für die Schwingungen und Druckverteilung.

    Den Bassbalken kann man daher nicht einfach nach rechts setzen, ohne die Überlegungen des Erbauers zur Ausarbeitung der Decke
    zunichte zu machen. Wurde die Decke beim Umbau innen auch nachgearbeitet, also teilweise auch ausgedünnt?


    Wenn die A-Saite schwer anspricht, könnte man es mit einer etwas leichteren Saite versuchen, die weniger Zug braucht.

    Viel wird es nicht ausmachen. Ein Versuch wäre es wert.

  • Ja, da hast du wohl recht. Ich freue mich jeden Tag darüber, dass die Geige nach dem Umbau so gut klingt :)


    Der ursprüngliche Geigenbauer hatte die Decke, das zeigt die Güte seiner Arbeit, ganz sicher planvoll gebaut.

    Aber das, was die Geige in lange zurückliegenden Zeiten erlebt hat, hat diesen Klang verändert, in einer Weise, die er sicherlich beim Bauen auch so nicht geplant hatte.

    An der Decke waren bereits in älteren Zeiten mehrere Risse geleimt und belegt worden. Wie die entstanden sind - das Instrument hat ja mehrere Kriege überlebt - das lässt sich wohl nicht mehr rekonstruieren.

    Dass die Geige zuletzt von nachfolgenden Generationen über Jahrzehnte ungespielt und ungepflegt eingelagert worden war, hat sein Übriges getan: Ein Holzwurm konnte sich ungestört ausbreiten, und man kann es vielleicht auf einem der Fotos noch schwach sehen, dass er sich genüsslich durch Teile der Decke gefressen hatte.


    Meine Geigenbauerin hat da sehr umsichtig hervorragende Arbeit geleistet. Die Decke ist hervorragend instand gesetzt und für den linkshändigen Gebrauch bestmöglich angepasst. Ja, und der Klang ist erstaunlich gut.


    Ich werde mal ein bisschen experimentieren mit anderen A-Saiten, danke.

  • Klang ist ja schwer nach „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen. Als „schlecht“ bezeichnet man gemeinhin,

    wenn der Klang sind nicht entfalten kann, sich wenig Obertöne bilden, die Geige insgesamt daher auch

    leise ist und der Klang irgendwie eingesperrt oder gefangen erscheint.


    Der Geigenbauer baut hauptsächlich nach „laut“. Womöglich war die Geige ursprünglich auch

    etwas „lauter“, aber vielleicht hat der Klang jetzt dafür etwas, was du als besonders schön empfindest

    und daruf kommt es schlussendlich an.

  • ;) Genau

    Wobei der einstige Geigenbauer, der offenbar mit dem hochgewölbten Korpus noch lieblicheren Klangvorstellungen folgte, sicherlich nicht hauptsächlich "laut" im Kopf hatte. Erst mit dem späteren Anschäften etc. wurde dann wohl ein Schritt Richtung lauter und tragender gemacht.


    Der letzte Umbau und die behutsame Restaurierung hat der Geige jedenfalls gutgetan :thumbup: