Instrument "einspielen" - gibt´s das?

  • Guten Morgen allerseits,


    Hier gibt´s nen "frischen" Artikel, der sich mit der Frage
    der Klangveränderung durch Spielen, Alter etc. von Instrumenten befasst. Der
    Autor hat sich durch Unmengen von Veröffentlichungen zum Thema durchgearbeitet
    und zahlreiche ältere und neuere Versuchsreihen und Tests im knappen Abriss
    wiedergegeben. Für mich gab´s da so Einiges, das ich so nicht erwartet hätte.


    https://www.researchgate.net/p…spielen_Fakt_oder_Fiktion

  • Man kann sich einmal fragen, was macht Einspielen theoretisch.
    Nun, eine Geige hat ein Kräftegleichgewicht inne, das erst einmal erreicht werden muss, bis die Änderungen sehr langsam werden und man von einem stabilen Zusatnd sprechen kann.
    Spannt man Saiten auf eine komplett neue Geige oder eine, die eben lange keine Saitenspannung erfahren hat, wird diese Gleichgewicht empfindlich geändert und die Geige braucht, bis sie sich wieder in einem stabilen Zustand befindet.
    Was ist der Unterschied zischen Spielen und einfach bespannt haben? Kaum einer. Die Vibrationen können einen metastabilen Zustand überwinden, dass das häufig passiert und Geigen daher schneller das Gleichgewicht finden durch Spielen ist eigentlich nicht zu erwarten. Diese metastabilen Zustände sind recht unwahrscheinlich. Das Spielen den Resonanzkasten merklich ändert ist also nicht zu erwarten. Eine "Gewöhnung" gibt es in diesem Sinne nicht.
    Was machen nun Resonanzen im Holz selbst?
    Nun, man kennt es vom Metall biegen. Je öfters man es biegt, desto fester wird es. Das gleiche passiert mit der Zellulose Struktur des Holzes, häufig gebogenes Holz wird härter (interessant bei alten Bögen). Auf makroskopischer Skala ändert sich die Eigenschaft einer Geige dadurch aber kaum, und die mikroskopischen Änderungen würde man eher als von geringer Relevanz einstufen, zumal eben nur in sehr geringem Maße gebogen wird, die Amplituden der Schwingungen sind in der Regel unter einem Millimeter.
    Das gleiche zeigt diese Zusammenfassung mehrerer Studien experimentell.
    Die alten Erwartungen an das Einspielen sind eigentlich kaum haltbar in einer theoretischen Überlegung.
    Allerdings ist es tatsächlich ein oft durch Messung nachgewießener Fakt (siehe zum Beispiles Schleskes Messungen), dass Geigen sich beim ersten Bespannen recht schnell ändern.
    Die Konsequenz? Kommt man wenig zum Spielen seiner Geige lohnt es sich trotzdem sie ab und an durchzustimmen. So wird gewährleistet dass das Kräftegleichgewicht stabil bleibt was mindestens fast eventuell sogar gleich gut wie Spielen ist.

  • Vielen Dank für die Erläuterungen!


    Ich fand es verblüffend, daß es in dem Fall der zwei
    baugleichen, aus demselben Holz gearbeiteten mit annähernd gleichen
    Frequenzkurven gemessenen Geigen nach immerhin drei Jahren keinen signifikanten
    Unterschied sowohl in der Frequenzanalyse als auch in den "Hör-und Spieltests
    unter Verblindung“ gab. Lag doch die eine in dieser Zeit unbewegt im Museum,
    während die andere "von einem Berufsmusiker intensiv gespielt“ wurde. Das hätte
    ich so nicht erwartet!


    Auch wenn ich persönlich noch nie bei einem Instrument meine
    subjektive Gewöhnung an es von einer eventuell messbaren Veränderung hätte
    unterscheiden können, war ich immer fest davon ausgegangen, daß es mit
    Sicherheit Veränderungen am Instrument (im Holz) durch Spielen geben würde. Daß
    bei regelmäßiger "Durchschwingung“ des Holzes auf irgendeiner wie auch immer
    gearteten molekularen Ebene (absolut physikalisches Laienverständnis) sich
    Veränderungen in der Holz-Struktur ergeben würden, die dauerhaft und auch
    hörbar sein würden. War also irrtümlich,- wenn ich Dich richtig verstanden habe-,
    durchaus von jener "Gewöhnung“ ausgegangen, von der Du sagst, daß es sie so
    nicht gebe.


    Wie sieht es denn dann aus mit der "Ermüdung“ von Holz? Gibt
    es sowas dann überhaupt? , bzw, ist die Materialermüdung völlig unabhängig von Schwingungen
    zu sehen? Nur ein Resultat "arbeitenden Holzes“ aufgrund von Temperatur und
    Luftfeuchtigkeit? Sacconi ging in seinem Buch "Die Geheimnisse Stradivaris“ ja
    noch von einer (auch) Ermüdung durch die Vibrationen aus.

  • Das Gefühl, dass eine Geige "eingespielt" wird und sich bestimmte Frequenzbereich "austarieren" kann nicht nur im Instrument wurzeln, sondern auch darin begründet sein, dass der Spieler sich auf das Instrument -unbewusst- einstellt und den "Sweetspot" trifft.


    Anmerken möchte ich dennoch, dass mehr als die Hälfte der wissenschaftlchen Studien nicht ohne Weiteres replizierbar sind, und man aus einer Studie mit relativ wenigen Instrumenten keinen "Fakt" ableiten kann.

  • Natürlich ist die wissenschaftliche Seite dieser Studien im einzelnen sehr wackelig, in der Summe geben sie dennoch ein Gesamtbild, das ich zumindest als Hinweis zählen möchte.
    Von einer Genauigkeit im Bereich 2sigma sind diese natürlich um Welten entfernt.

  • Ermüdung von Holz ist eine gute Frage.
    Es ist natürlich so, Holz altert und zerfällt. Eine Grenzfallbetrachtung wird zeigen, irgendwann ist keines der Moleküle der Geige mehr in seinem Ursprungszustand.
    Was machen Schwingungen dabei aus ist natürlich eine interessante Frage. Nun, einen Teil habe ich denke ich mit der Versteifung beantwortet, also dem Komprimieren kleiner Zellulosezellen (nicht unbedingt den Zellen der Holzstrucktur entsprechend).
    Was die Beschleunigung des Zerfalls de Holzes angeht würde ich erwarten, dass geordnete Bewegung nicht wesentlich mehr Einfluss als zufällige (Wärme) hat.
    Es gibt hier viele Theorien und wenige wissenschaftlich untersuchte. Die Langzeitauswirkungen von Spielen sind kaum zu bewerten. Das Problem ist, dass viel gespielte Geigen auch immer anderweitig stärker in Mitleidenschaft gezogen werden (herumgetragen, angeschlagen, fallengelassen, durch unterschiedliche Klimata gebracht). Geigen die wiederum Jahrzehnte unangefasst liegen haben keine vergleichbare Belastung, deshalb ist ein Vergleich nur sehr bedingt sinnvoll um den reinen Spieleinfluss zu beurteilen. So bringt es also wenig eine vielgespielte Amati mit einer wenig gespielten zu vergleichen.
    Das gleich könnte man natürlich jetzt mit einer Studie klären. Also eine Studie die das unter Laborbedingungen untersucht, diese Studie würde allerdings viele Jahrzehnte dauern müssen.

  • Danke für Eure Antworten! Braaatsch, ich vermute mit "sweet
    spot“ treffen meinst Du ungefähr das, was der Autor in der Einführung mit dem
    ersten Erklärungsansatz meint. Daß nicht das Instrument sich ändert, sondern
    die "Interaktion zwischen Instrument und Musiker“, daß der Musiker "die Schwächen
    des Instrumentes überwinden lernt und die Stärken besser nutzt.“


    Ja, vermutlich wird man in dieser Angelegenheit nie eine
    abschließende Klärung finden, und vielleicht sollte man sich auch einfach
    freuen, wenn man das "richtige“ Instrument gefunden hat, dessen Klang einen
    berührt und "familiar“ ist, aufpassen, daß das so bleibt und es einfach
    spielen. :)

  • Ähnliche Diskussionen gibt es auch bei anderen Instrumenten...z.B. der ewige Streit welchen Einfluss das Material (Silber/Neusilber/Messing...) auf den Klang von Querflöten hat. Frequenzsnalysen zeigten, dass die Unterschiede zwischen den Spielern höher waren als die zwischen den Instrumenten. Trotzdem scheören viele Spieler darauf, dass Silber anders klänge....


    Es gäbe noch einen anderen Weg, eine solche Studie bei Geign zu machen. Wenn ein eingespieltes Instrument sich
    von einem nicht eingespielten generell
    unterscheiden würde, müsste ein guter Spieler merken, ob ein Instrument eingespielt ist oder nicht.
    Sprich, man gibt einer Reiheguter Spieler eine Reihe eingespielter und uneingespielter Instrumente. Und dann schaut man, ob diese herausfinden, was was ist. Da braucht man weder Frequenzanalysen noch sonstiges Gedöns... ;) und bekommt eine Trefferquote. Liegt die im Mittel über der Zufallsrate, ist an der Sache vielleicht was dran.

  • Dazu müsste man allerdings eine extrem große Anzahl solcher Geigen untersuchen, da die Begründung ja immer ist, dass sie einfach besser klängen, nicht unbedingt charakteristisch anders. Das könnte in Folge heißen eine neue gute Geige klingt etwa wie eine eingespielte schlechte (vereinfacht ausgedrückt). Das zu wiederlegen ist recht aufwendig, da Geigen nicht reproduzierbar hergestellt werden können. Also muss man so eine große Menge untersuchen dass man den statistischen Fehler dieser Streuung der Grundqualität überwinden kann.

    • Offizieller Beitrag

    Es gibt ja auch noch die Vibrationsentdämpfung nach Prof. Gerhard A. v. Reumont. Hier wird der nachlassende Grad des Widerstandes im Schwingungssystem messbar. Es wird ausführlich in seinem Buch: "Theorie und Praxis des Vibrationsentdämpfens zur Resonanzverbesserung von Musikinstrumenten" erklärt und dokumentiert. (ISBN 3-87710-173-9)