Von wann ist diese Geige mit Löwenkopf mit Stainer-Zettel?

  • Im Brockenhaus habe ich eine alte Geige mit Löwenkopf-Schnecke im Stil Jakob Stainers gekauft. Auf dem Zettel unter dem F-Loch steht gedruckt: "Jacobus Stainer in Absam prope Oenipontum 1673". Wie alt ist sie wohl wirklich, aus welcher Werkstatt könnte sie stammen und was ist ihr Wert?


    Vielen Dank für Einschätzungen!

  • ...Bild von der Rückseite und Bild von der Zarge (Knöpfchen, wo der Saitenhalter angebracht ist)...?


    Auf den ersten Blick handelt es sich um eine sächsische Geige um 1910-30. Das Deckenholz ist recht gut, den Boden kann ich mangels Foto nicht beurteilen. Da das Griffbrett aber nur lackiertes Hartholz ist, handelt es sich vermutlich eher um ein einfacheres Modell (auch wenn die Decke wie gesagt gar nicht mal so schlecht ist). Jedenfalls ist es eine Schulgeige aus irgendeiner Manufaktur, aus welcher kann man nicht feststellen-es gibt zigtausende solcher Instrumente. Entsprechend überschaubar ist der Wert. Der hängt in diesem Falle vor allem vom Klang ab, und bis dahin gibt es leider einige Baustellen:


    1. Wirbel ausbuchsen, vielleicht findet man auch passende Feinstimmwirbel, 2. Griffbrett (kann man vielleicht zur Not mit leben...), 3. neuer Steg, 4. neue Stimme, 5. Saitenhalter (reicht ein gebrauchter), 6. neue Saiten (an denen sollte man nicht sparen!), 7. Risse schliessen (da sehe ich den am F-Loch, gibt es noch mehr?), 8. Kinnhalter nach Bedarf. Die gute Nachricht: Das sind alles Sachen, die machbar sind. Die schlechte: Kostet natürlich was. Zum Selberspielen lohnt es sich meistens, solche oft soliden Geige wieder aufzubauen, weil eine gewisse Liebhaberei dabei ist und die alten Geigen "Charakter" haben. Für den Verkauf liegt die Investition in diesem Falle etwa gleich oder höher (je nachdem, was man alles machen lässt und wie man es machen lässt) als das, was man bei einem Verkauf herausbekommt.


    Also: Nette und recht hübsche Gebrauchsfiedel zum Geigelernen und Spaßhaben, aber nichts, was eine Wertanlage oder ein Sammlerstück ist (und in absehbarer Zeit auch nicht werden wird).

  • Eigentlich ein Sammlerstück oder Liebhaberstück aber keine Wertanlage.
    Die Instrumente werden so von 200 bis 1000 Euro auf ebay gehandelt. Die teuren Instrumente gehen nicht weg, ausser jemand glaubt wirklich, dass es sich um eine echte Stainer Geige handeln könnte. Ihre Geige liegt wohl eher bei 200 bis maximal 400 Euro (je nach Zustand, welcher man anhand der Fotos nicht abschliessend beurteilen kann).

  • Naja, bei dem "Zustand" sehe ich das abgespielte Griffbrett, und vor allem die problematischen Wirbel und das komplett fehlende Setup. In gutem -also spielbaren bzw. mit wenig Aufwand (z.B. Steg noch vorhanden etc.) wieder in einen solchen zu versetzenden- Zustand mögen die 200-400, meinetwegen auch 600 Euro auf Ebay erzielbar sein. Aber man kann natürlich auch Glück haben und jemanden finden, dem die preislichen Dimensionen der Reparaturen nicht so bewusst sind- und der dann mehr bezahlt.


    Im jetzigen Zustand sind es eher 50-150.


    Mal als Anhaltspunkt (je nachdem, wo man wohnt kann das sehr unterschiedlich ausfallen- ein Geigenbauer in Görlitz hat andere Preise als einer in München):
    1. Ausbuchsen pro Wirbel (und da sehe ich mindestens einen, bei dem das nötig ist): ca. 40-80 Euro, plus anpassen der anderen Wirbel falls kein Ausbuchsen, plus Satz neue Wirbel: 20-60 Euro... rechne grob mit insgesamt 150-300 Euro
    2. Steg neu: 60-80 Euro (je nach Qualität)
    3. Saiten: 50-80 Euro (je nach Qualität)
    4. Stimmstock neu: ca. 50 Euro
    5. Kleinkram wie Saitenhalter, Kinnstütze etc.: 50 Euro


    ...da komme ich schon ohne das neue Griffbrett und ohne Risse etc. auf mindestens 350 Euro. Da gibt es bei Ebay eine Menge Fiedeln, bei denen es mit Wirbel abrichten und neuen Saiten (=100-200 Euro) getan ist. Und es gibt auch schon für 300-500 Euro Instrumente, die frisch restauriert vom Geigenbauer kommen. Ich kenne so einige Händler, die "ihren" Geigenbauer in Tschechien oder Polen haben, dem sie immer gleich einen ganzen Schwung Geigen vorbeibringen.


    "Sammlerwert" hat die Geige nicht, weil sie nicht selten ist. Eigentlich ist das ein typisches "Liebhaberinstrument", was man sich für den Eigengebrauch aufbaut. Oder ein gutes Instrument für Hobbygeigenbauer- gut genug, dass sich die Arbeit lohnt, aber auch nicht soooo gut, als dass man kulturhistorischen Frevel begeht, solange man zumindest halbqualifizierte Bastelversuche startet.

  • Danke Braaatsch für das Auflisten der Kosten.
    Das klingt sehr realistisch und anhand dieser nüchternen Tatsachen wundert es, dass es immer noch so viel Schnäppchen-Jäger auf der Bucht gibt ;)


    Zwar fehlt mir so eine Kopf anstatt Schnecke geschnitzte Geige, aber ehrlich gesagt finde ich das auch nicht so der Hingucker. Wäre dann eher etwas für die Wand, so wie ein altes Jagdgewehr oder anderen Wandschmuck (welcher ich zum guten Glück nicht habe...ausser ein paar selbst gemalten Oelgemälde ;-))


    Wer ist wohl auf diese Idee gekommen, anstatt Schnecken irgendwelche Köpfe zu schnitzen?
    Das war wohl eine Marketing Idee um günstige Geigen besser und teurer verkaufen zu können :)

  • Die Idee, irgendwelche Tierköpfe etc. statt der Schnecken zu machen ist uralt. Letztendlich braucht man (irgend)einen Abschluss, und gleichzeitig war das eine Möglichkeit, ein Instrument zu verzieren und zu individualisieren. Ich würde annehmen, dass schon bei sehr frühen Instrumenten (...v. Chr.) irgendwelche Tier- oder Götterköpfe oder Symbole angebracht (oder aufgemalt) wurden, teilweise waren solche Instrumente ja Göttern geweiht oder wurden in deren Tempeln gespielt. Auch sowas "Schneckenähnliches" findet an bei antiken Lyras (Oder heisst das Lyren?...wenn man mal auf die alten Tontöpfe schaut...!).


    Im Barock hat man dann eben auch Faune, Fabelwesen, Tiere und Schnecken (die haben sich eben durchgesetzt...) gemacht, teilweise haben sich die Auftraggeber ihren Kopf schnitzen lassen. Ganz bekannt sind auch die alten Gamben mit der Muse (Euterpe) oder Engelsköpfen, welche verbundene Augen haben (als Symbol für das Hören der Musik). In der Mongolei gibt es die "Pferdekopfgeigen" als Volksinstrument-----also, das war alles keine Erfindung, um Billiggeigen an den Mann zu bringen.


    Im späten 19./frühen 20. Jahrhundert wurde das eben wieder aufgegriffen, um -genau wie bei künstlichen Anschäftern etc.- "alte" Instrumente zu verkaufen, aussergewöhnlich verzierte Instrumente (wie z.B. auch diese Burgenschnitzereien oder "Schnurrandgeigen"), eben "mal was Anderes". Es gibt auch Manufakturinstrumente mit Engelsköpfen, Paganinikopf, Fantasieköpfen (wer auch immer das sein soll)... Die mit den Löwenköpfen sind da nur die Bekanntesten und Häufigsten, passen eben gut zu "Stainer". Da wurde das dann schon genutzt, um Billiggeigen besser zu verkaufen. Aber die "Erfindung" ist definitiv wesentlich älter. ;)

  • es gibt Löwenkopfgeigen von Stainer. Die Schnitzarbeit ist allerdings von hervorragender Qualität. Stainer hatte offensichtlich ein für einen Tiroler nicht untypisches Talent als Holzschnitzer.
    Das ging v.a. n den Vogtländern nicht vorbei. Sie produzierten Stainer mit Löwenköpfen in großen Massen. Meist waren das aber Rohlinge denen man mit schnellen Griffen so etwas wie eine Kontur reinschnitt.
    Die Unterschiede zum Original sind leicht auszumachen.
    In der Musikinstrumentesammlung in der Wiener Hofburg kann man eine echte Löwenkopf-Stainer anschauen.

  • Eure Einschätzungen sind richtig - ich war beim Geigenbauer, und tatsächlich müsste man Einiges investieren, um die Geige wieder spielbar zu machen. Für mich selbst werde ich das nicht tun; falls jemand Löwenkopfgeigen sammelt: Ich gebe sie gerne weiter.