Altes Familienerbstück

  • Hallo,


    meine Eltern besitzen eine alte Geige, welche mein Vater (47er Baujahr) bereits bespielt hat. Dieser hat die Geige von seinem Vater, welcher die Geige evtl auch von seinem Vater hat. So genau weiß man das nicht. Die Familie kommt aus Österreich, vielleicht hilft das ein wenig :D


    Nun würde uns interessieren, ob sich da um ein Standardstück handelt oder ob wir da evtl. etwas wertvolleres haben. Der Zustand der Geige ist ziemlich schlecht, der Korpus hat vorne einen Riss und auch sonst ist sie nicht wirklich in einem guten Zustand.


    Allerdings hat sie auf der Rückseite einen "Amati" Schriftzug. Habe versucht mich ein wenig schlau zu machen und gelesen, dass manche Geigen, wenn man durch die F-Löcher schaut ein Etikett haben. Das hat die Geige nicht. Nur den Schriftzug auf der Rückseite.


    Ich habe mal ein paar Bilder angehängt, vielleicht kann jemand was dazu sagen. Würde mich sehr freuen.


    Danke schon mal im voraus und liebe Grüße


    Roberta

  • diese Amati Geigen wurden massenhaft in Böhmen und Sachsen so um 1900 hergestellt.
    Wegen der endlosen Mengen im Internet sind die heute faktisch wertlos. Paar hundert € bei gutem Zustand sind noch für einen Schüler drinnen.
    Auf Ebay bekommen Sie dafür in diesem Zustadn im Glücksfall 100€. Positiv sind die guten MAterialien, negativ die Brüche an der Decke.

  • Was mir auffällt ist der schöne, einteilige Boden, die feinjährige Decke und die Tatsache, das dieser "genagelt", also mit "Dübeln" befestigt ist. Das ist für Manufakturinstrumente nicht typisch, kam aber gelegentlich vor. Es handelt sich daher meiner Meinung nach um ein "besseres" Manufakturinstrument, evtl. auch die Arbeit eines unbekannten, kleinen "Meisters"/Gesellen, die von einem "Verleger" (also Grosshändler) mit aufgekauft und verkauft wurde. Damals gab es im sächsisch-böhmischen Raum viele Familien, die entweder arbeitsteilig Geigenteile oder "im Akkord" ganze Geigen bauten, welche von "Handelsvertretern" aufgekauft und dann im grossen Stile vermarktet wurden. Gelegentlich waren da auch kleine "Meister" dabei, welche nie so gut, reich und bekannt wurden als dass sie die Geigen hätten selber vermarkten und verkaufen können (gab ja kein Internet, und eine 25km Reise in die nächste Kleinstadt war ohne Pferd und Wagen sehr beschwerlich). Daher gibt es bei Manufakturinstrumenten alles von der "Seriengeige" bis hin zum soliden Amateurinstrument und zur "verkappten Meisterarbeit" eines eher unbedeutenden Handwerkers. Ihre Geige würde ich eher in die mittlere bis letztere Kategorie einordnen, und halte sie schon für eine bessere Arbeit. Entscheidend für ihren Wert ist dennoch in diesem Falle der Klang.


    Die Lackkratzer lassen sich leicht beheben, und der Riss (sofern es nur der eine ist, den man gut sieht) ist eher ein optisches Problem. An dieser Stelle hat er kaum einen klanglichen Einfluss, ist aber dennoch wertmindernd. Eine Restauration lohnt sich bei diesem Instrument für den Eigengebrauch, für den Verkauf -aufgrund der extrem gefallenen Preise- vermutlich aber nicht.


    Im jetzigen Zustand stimme ich den Ebay-Schätzungen von Yxyxyx zu. Wegen der starken optischen Mängel (die einen schlechteren Zustand vorgaukeln als den, in dem sich die Geige wirklich befindet) wird es schwer, einen Käufer zu finden-da gibt es einfach eine Menge neuer Chinageigen, die fantastisch aussehen und billig zu haben sind.

  • Danke erstmal für eure Einschätzungen.


    Sachsen/Böhmen halte ich fast für ein wenig unwahrscheinlich, da meine Familie ja in Österreich ansässig war. Vermute dann eher, dass dort ein Geigenbauer diese eventuell nachgebaut hat. Aber wie gesagt, wir haben gar keine Ahnung wo sie her ist. Eventuell macht es doch mal Sinn sie zu einem Fachmann zu schleifen und mal ansehen zu lassen.


    Mein Vater meinte, dass mein Opa sie gehütet hat wie seinen Augapfel, ... sie von daher damals vielleicht wirklich ein kostbares Stück war. Und das sie vom Klang her wirklich aussergewöhnlich toll war.


    Aber nachdem das leicht 60 Jahre her ist kann sich natürlich keiner mehr so richtig dran erinnern. Echt schade eigentlich.


    Der Riss tut dem Klang wirklich keinen Abbruch. Sie klingt an für sich echt noch toll. Ist wohl eher eine optische Geschichte.

  • Böhmen war damals Teil der österr. ungar. Monarchie, und große böhm. Familien hatten in Wien Niederlagen (heute würde man Niederlassungen sagen) - Lutz, Placht etc..
    Auch mein Opa, der einfacher Volksschullehrer in einem Bergbauerndorf in Tirol war, hatte so eine "Amati" Geige

  • Das Model "Amati" der oben abgebildeten Geige wurde und wird auch heute noch oft als solide Schülergeige vermietet. Meine Tochter hat auch eine solche "Amati" brand-gestempelte Geige in 3/4 Grösse, jedoch einiges besser im Schuss als die oben abgebildete Geige. Sie wird auch oft bei Online Auktionen angeboten, wobei der Preis meistens zwischen 100 Euro (bei schlechtem Zustand) bis etwa 500 Euro (bei super gutem Zustand mit allem Zubehör) verkauft wird. Das sind auf jeden Fall meine Beobachtungen auf dem Markt. Ganz klar handelt es sich um eine Geige des unteren Preissegmentes, die jedoch in den meisten Fällen klar besser ist, als Preisgleiche Geigen aus China (hierfür spricht wahrscheinlich das Alter des Holzes und die meist gute Verarbeitung bei diesem Model).

  • "Amati"- Stempel wurden auf (Manufaktur-)Geigen unterschiedlichster Qualität angebracht. Material und Verarbeitung sprechen für ein besseres Manufakturinstrument.


    Markneukirchen war damals ein so grosses "Produktionszentrum", dass dort bis Anfang des 20.Jahrhunderts sogar ein amerikanisches Honorarkonsulat ansässig war, nur um den Überseehandel zu koordinieren. Die haben nicht nur auch Österreich und Europa, sondern quasi die ganze Welt mit Instrumenten "geflutet". Es wurden so viele Instrumente verkauft, dass Markneukirchen damals -gemessen an der Einwohnerzahl- die höchste Millionärsdichte Deutschlands hatte. Zwischenhändler verdienten sich dumm und dämlich, während die kleinen Handwerker und deren Familien für einen Hungerlohn Instrumente und deren Teile in Heimarbeit herstellte, später auch in Fabriken.


    Die Herkunft "Sachsen" bzw. angrenzendes Böhmen ist daher mehr als wahrscheinlich.