Zu dumm für die Geige?

  • Hallo!


    Habe mich hier im Forum angemeldet, da ich wirklich verzweifelt bin und dringend einen guten Rat brauche!
    .
    Ich bin 27 und nehme seit über vier Jahren Geigenunterricht in einer Musikschule (1x pro Woche 1 Stunde).
    Ich habe jetzt, zu meinem Bedauern, schon mehrere Lehrerwechsel hinter mir. Das lag daran, dass 2 meiner Lehrer
    in Rente gegangen sind, eine sich beruflich umorientiert hat und die Andere sah sich wegen Krankheit nichtmehr dazu imstande
    zu unterrichten.


    Im Kindergartenalter ging ich zur musikalischen Früherziehung und im Alter von 8 nahm ich ca. 3 Jahre lang Cellountericht, bis mich
    leider das Interesse verließ.


    Mit 22 beschloss ich dann, nachdem ich ein paar Jahre schon mit dem Gedanken gespielt und sich dieser Wunsch auch gefestigt hatte,
    mit dem Geigen anzufangen.
    Obwohl ich gehofft hatte, ein bisschen mehr von den wenigen Vorkenntnissen vom Cellospiel nutzen zu können, war mir damals und ist mir auch immernoch bewusst, dass Geige kein leicht zu erlenendes Instrument ist.


    Trotzdem bin ich recht frustriert. Ich übe ca 1-2 Stunden am Tag und habe das Gefühl ich werde einfach nicht besser. Und das nach über vier Jahren!! :cursing:Ich selbst habe das Gefühl, ich würde nur schleichend einen Fortschritt machen. Klar bin ich über das "Alle meine Entchen- Niveau" hinaus, trotzdem habe ich Selbstzweifel. Ich weiß nicht, ob ich einfach salopp gesagt zu dumm für das Instrument bin, ob ich nur falsch lerne, ob ich doch nur zu ungeduldig mit mir selbst bin oder ob es mitunter auch an den vielen Lehrerwechsel lag....


    Wer weiß Rat oder hat vielleicht gute Übungstricks auf Lager? Am besten auch Ratschläge, was man gegen Verspanntheit und Nervostität macht. Ich bin nämlich mittlerweile auch schon bei normalen Unterrichtsstunden so nervös, dass ich direkt verkrampfe und beim ersten kleinen Fehler sofort so eine Art Black Out bekomme, wo ich selbst einfachste Lagenwechsel oder Notenbilder nicht mehr lesen, geschweigedenn spielen kann (klingt komisch ist aber so, wenn ich damals in der Schule oder Uni bei Vorträgen zu aufgeregt war, konnte ich auch nichtmehr lesen und sprechen). ?(
    Was Zuhause beim Üben noch problemlos geklappt hat wird dann plötzlich beim Vorspielen in der Stunde zur Masteraufgabe. Das ist nicht nur peinlich und Zeitverschwendung für den Lehrer, sondern lässt es auch so aussehen, als hätte ich Zuhause gar nicht erst geübt!
    :cursing::thumbdown:;(


    Ich hoffe jemand mit Erfahrung kann mir hier weiterhelfen! Aufgeben kommt für mich nämlich absolut nicht in Frage!!


    Liebe Grüße und schonmal Danke im Vorraus
    Tüle


  • Nun, es gibt natürlich verschiedene Ansätze, etwas zu üben. Was für einen selbst am besten funktioniert, kriegt man nur durch Ausprobieren raus. Aber Dein Hauptproblem scheint ja eher zu sein, dass Du nervös wirst, sobald jemand zuhört. Wenn sich bei diese Art von Nervosität versuche ich mein Umfeld auszublenden und mich ganz auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Wenn es geht, nehme dazu meine Brille ab. Dann sehe ich keine Menschen mehr sondern nur noch farbige Flecken und kann ganz hervorragend so tun, als sei ich alleine. Das hat allerdings den Haken, dass ich so keine Noten lesen kann. Schon den Notenständer zu finden, ist ohne Brille eine zielmiche Herausfoderung. Beim Musizieren heißt das: Ich muss das Stück einigermaßen sicher auswendig können, um auf diesen Trick zurück greifen zu können. Wenn Du keine Brille trägst, oder auch ohne Brille zu gut siehst, als dass Du so Deine Umgebung ausblenden könntest, wirst Du wohl die Augen schließen müssen, um die Umgebung auszublenden.
    Je nachdem, wie Du momentan übst, kann es sein, dass Du um die Trick anwenden zu können, ein bisschen umstellen musst. Wenn Du ohne auf die Noten zu schauen vorspielen willst, muss der erste Schritt sein, sich die Tonfolgen einzuprägen und erst wenn die sitzen, den Ausdruck - also Dynamik, Tempoveränderungen usw. - zu ergänzen.


    Auch mit Atemübungen kann man Nervosität abbauen. "Atemübung" klingt hochtrabend und kompliziert, dabei meine ich damit einfach nur einige Male bewusst tief und langsam zu atmen und dabei wirklich nur ans Atmen zu denken. Tief einatmen, kurz halten, langsam ausatmen, halten und von vorn. Wenn mir das Herz bis in den Hals schlägt, genügen drei bis vier Wiederholungen und ich spüre wie mein Puls langsamer wird. Nur wenn ich körperlich verausgabt habe, funktioniert das nicht, aber das sollte beim Geigenunterricht ja nicht relevant sein.

  • Ich denke ein Teil des Problems ist, dass du dich sehr stark "festbeisst". Vielleicht hast du das Gefühl, nicht "gut genug" zu sein, deine Lehrer zu nerven, von Anderen bewertet zu werden etc. Dabei kann es passieren, dass du dich nur noch auf diesen Kreislauf "Das MUSS doch klappen"----"die halten mich für doof"-----"die Anderen sind schon viel weiter"----"Ich bin schlecht"----blablabla konzentrierst, und Fehler völlig überbewertest, dich verkrampfst weil es "gut" sein soll etc. Das ist eine Sackgasse, die meiner Meinung nach nur bedingt durch noch mehr Üben auszugleichen ist. Du ziehst dich selber runter, und gibst dir vielleicht ständig unbewusst negatives Feedback. Dein Gehirn hat so gar nicht die Chance, gut zu lernen, es ist ja ständig "verkrampft" und mit negativen Gedanken beschäftigt.


    Vielleicht hilft es dir daher, einen Schritt zurückzutreten und den Druck, den du dir selber machst, herauszunehmen. Das ist schwer, weil man dazu die eigenen Ansprüche erstmal völlig zurückschrauben muss, und das ist anfangs total frustrierend.


    Versuche mal, das GeigenSPIEL wieder als SPIEL anzunehmen, weniger als Hochleistungssport ;) SPIELE mit dem Instrument, mach "Blödsinn", probiere was aus. Es MUSS nicht klappen. Versuch' irgendwelche Stücke aus dem Kopf zu spielen, einfach mal in irgendeiner Lage anfangen und "zusammenbasteln". Das kann absolut furchtbar klingen: Völlig egal! Du kriegst die irgendwie hingebastelt. Nimm statt des Bogens mal den Milchaufschäumer (gabs mal in nem Youtubevideo), versuch mal mit der anderen Seite (also Geige rechts, Bogen links) zu spielen---- Ziel des Ganzen ist nicht "schön" zu musizieren, sondern dir wieder einen spielerischen, weniger ernsten Zugang zum Instrument zu geben. Und was ist denn so schlimm daran, nicht "gut" Geige spielen zu können? Der überwiegende Teil der Menschheit kann es GAR NICHT. ;)


    Du kannst dir gegen das Lampenfieber auch Mitspieler suchen- gründe eine Hausmusikgruppe. Das ist dann schon wie ein "kleines Orchester". Tritt im Altersheim auf- die freuen sich immer, egal wie es klingt. In den USA gab es ein Projekt, wo leseschwache Kinder (die natürlich auch irgendwann diesen "Verkrampfungskreislauf" hatten) im Tierheim den Katzen vorgelesen haben. Den Katzen war das völlig egal, die kamen einfach angeschmust weil jemand mit ihnen geredet hat, und die Kinder haben sehr positives Feedback bekommen, und es war dann leichter, auch vor Menschen vorzulesen. Du musst jetzt nicht ins Tierheim fahren…..aber du solltest Dir Situationen schaffen, wo du positives Feedback bekommst, und Dir das auch selber geben.

  • Ich sehe das auch so - es sind offensichtlich vor allem "die Nerven", die das Musizieren bei Dir zum Problem machen.
    Zu deren allmählichen Abhärtung und Überwindung der inneren Hemmungen empfehle ich neben den o.g. guten Tips auch gezieltes Üben von Vorspielen von gut vorbereiteten Stücken,
    z. B. zunächst in der Familie oder unter Freunden oder auch nur als "Selfie" mit dem Smartphone oder der Videokamera, um erst einmal überhaupt den notwendigen Mut zu bekommen.
    Gute Hilfen sind auch das gemeinsame Musizieren in der Gruppe und das regelmäßige Mitspielen in einem Orchester.
    Angst vor den eigenen Nerven zu haben, bringt nichts. Man muss es evtl. einfach auch nur als normal akzeptieren, dass man in der Vorführsituation zunächst schlechter spielt als allein zu Hause.


    MfG
    Rainer

  • Vielen lieben Dank für die Antworten.


    Werde einige der Ratschläge umsetzen.
    Ist halt blöd, da sich meine Panikschieberei schon so manifestiert hat. Ich mach mir schon vorher immer Gedanken um mögliche Fehler, die ich machen könnte und steiger mich da so rein, da hab ich überhaupt noch gar nicht erst angefangen zu spielen. Zudem ist es auch anders als bei Kindern. Wenn Kinder Fehler machen ist das noch süß und niedlich, aber bei Erwachsenen wird, mein ich, immer eine Art Fehlerfreiheit vorrausgesetzt. Man ist ja "schon groß", muss es schon können und hat keinen "Welpenschutz" :) mehr.


    Aber ich denke, letztendlich ist es einfach nur eine Kopfsache. Öfteres Vorspielen, und sei es anfangs nur in der Familie, tut da eventuell auch schon gut.
    Hab mich bis jetzt ja immer gekonnt vor allen größeren Vorspielen gedrückt. Aber das ist natürlich auch kein Dauerzustand und eigentlich möchte ich ja auch gern Vorspielen und auch irgendwann mal unbedingt einem Orchester beitreten.


    Trotzdem nochmals Danke für die Tipps und die offenen Ohren (bzw. hier in diesem Fall offenen Augen) :D


    LG
    Tuele

  • Es hat nichts mit dumm sein zu tun, finde ich. Meine Schwester lernt immer noch Geige und hatte zu Beginn sehr viele Schwierigkeiten, Saiten voneinander zu unterscheiden und traf somit Töne nur sekundär.
    Beim Lernen halfen ihr die Notentexte dieser Kinderlieder. Das ist eigentlich ganz klassische Lieder, die sich z. B. Mütter für ihre Kinder herunterladen können (kostenlos und legal). Aber viele nutzen die Notentexte auch, um den Einstieg in ein Instrument zu erhalten.


    Da solche Kinderlieder meist sehr einfach strukturiert sind, lernt man ihrer Aussage nach die Basics außerordentlich schnell.
    Vielleicht hilft es dir ja auch beim weiteren Umgang mit der Geige :)