Geigenspiel lernen trotz "Behinderung" möglich?

  • Einen wunderschönen Nachmittag zusammen!


    Kurze Erläuterung zur Vorgeschichte (nicht relevant für das Thema, wer will kann das überlesen und direkt auf den letzten Absatz antworten): Ich wollte eigentlich schon seit ich ein Teenager war anfangen, eine Geige spielen zu lernen. Damals war das aufgrund zeitlicher und finanzieller Beschränkungen nicht möglich, der Gedanke geisterte aber die folgenden Jahre (bin momentan 22) immer im Kopf herum. Ein Bekannter schenkte mir neulich eine gebrauchte e-violine, die er auf irgendeinem Trödelmarkt für 10 Euro erstanden hatte. Ich weiß - Brennholz gibt's auch günstiger ;)
    Nichtsdestotrotz, sie diente ja nur dazu einfach mal sowas in der Hand zu haben - die nächste Musikschule, die auch Violiine unterrichtet, ist gute 45 Minuten Fahrt entfernt - was für's Anfassen reichen würde, für's Spielen lernen aber einfach zu weit ist. Und da der Bekannte so musikalisch wie eine Giraffe ist, dachte er, er hätte einen guten Fang gemacht und hat sie mitgebracht. Dieses Jahr ist auch eine Privatlehrerin für Violinenunterricht in ein Nachbardorf gezogen, Unterricht gäbe's also nun auch, Geld ist dank Arbeit auch da. Ein Buch über das Geigenspiel (also, die Grundlagen wie Haltungs etc.) habe ich schon länger da - wollte es ja auch schon länger probieren.
    Ich habe gemerkt, dass mir das Spielen selbst auf der "China-Krücke" wahnsinnig viel Spaß macht. Gestern gingen Stunden in's Land, in denen ich nur versucht habe, die leeren Seiten möglichst rein zu streichen und mir (anhand von Videos und Buch) die Haltung des Instruments und des Bogens beizubringen. Ob das nun von Erfolg gekrönt war oder nicht (eher letzteres), sei dahingestellt.


    Nun zum eigentlichen Problem: ich habe gemerkt, dass ich meinen linken Zeigefinger nicht für das Greifen von Noten einsetzen kann - seit einem sehr schweren Autounfall vor ein paar Jahren, bei dem er im ersten Fingerglied mehrfach gesplittert war, lässt er sich nicht vernünftig benutzen. Abgesehen von seiner Taubheit (fühlt sich an wie ein eingeschlafenes Bein) lässt er sich nichtmal ansatzweise weit genug beugen, um das Griffbrett auch nur zu berühren - geschweige denn, um sinnvoll verschiedene Noten greifen zu können.


    Daher meine Frage nach dieser langen Vorrede: Ist es möglich, ohne den linken Zeigefinger das Geigenspiel zu erlernen bzw. wie weit müsste man sich einschränken bei der Wahl der Lieder, bei der Komplexität und beim Klang? Macht es überhaupt Sinn oder sollte ich mir den Gedanken aus dem Kopf schlagen? Oder, mal ganz verwegen gefragt, könnte man als Rechtshänder auch auf einer Linkshänderseite spielen lernen? Für's Orchester muss es ja nicht reichen...


    Vielen Dank im Vorraus für alle Antworten!
    Alaster


    PS: Verzeiht, wenn der Thementitel recht theathralisch klingt - "Geigenspiel lernen ohne Zeigefinger möglich?" erschien mir noch brutaler beim ersten Lesen :)

  • Tut mir leid, aber der linke Zeigefinger ist untentbehrlich!


    Du brauchst den linken Zeigefinger unbedingt, außer du bist linkshänder!

  • An deiner Stelle würde ich mir eine Linkshändergeige besorgen und die linke Hand als Bogenhand nehmen. Zum Greifen brauchst Du auf jeden Fall den Zeigefinger und musst ihn voll beugen können.


    Die meisten Linkshänder lernen mit der linken Hand zu greifen, also müsste es für einen Rechtshänder auch möglich sein mit der rechten Hand greifen zu lernen.


    Grüße Matthias

  • Das mit dem unentbehrlichen Zeigefinger hatte ich schon befürchtet... hatte aber dennoch gehofft, dass man sich mit anderen Fingern/Griffen behelfen kann oder dass es Stücke gibt, bei denen man den Zeigefinger nicht braucht. Wahrscheinlich naiv..


    Aber der Punkt mit Linkshändergeigen... ich meine vorhin gelesen zu haben dass es einen (bekannten?) Geiger gibt, der als Rechtshänder eine Linkshändergeige spielt (da wie bei mir die linke Hand für's Greifen unbrauchbar ist).
    Das Greifen stelle ich mir nichtmal so problematisch vor, sondern eher die unsichere Bogenführung mit der "Nebenhand". Ist aber mehr eine Vermutung.


    Aber danke, ich hatte schon die Befürchtung, dass ich den Traum aufgeben muss! Da werde ich mir demnächst mal eine Linkshändergeige ausleihen (geht ja sogar über's Internet, das wusste ich gar nicht 8o ) und hoffen, dass die einzige Lehrerin hier in der Gegend das unterrichtet. Vll sagt sie ja auch, dass es zu nix führen wird...

  • Schönen Guten Tag an alle,


    das Thema liegt schon etwas zurück, allerdings habe ich ein ähnliches Problem. Durch einen blöden Unfall habe ich die hälfte meines linken Ringfingers verloren, daher meine Frage: Ist der linke Ringfinger (mit meiner linken Hand wollte ich das Griffbett halten), essenziell wichtig für das Spielen von Noten?


    Grüße alessio

  • Schau mal auf youtube, unter „disabled violinist“- was Leute da draufhaben! Die Welt und unsere Körper sind eben nicht ideal. Du wirst sicher kein zweiter Paganini werden, aber das werden andere Normalsterbliche auch nicht.


    Es gibt die Möglichkeit, auf eine Linkshändergeige umzusteigen. Das mit der Bogenführung etc. ist kein Argument, denn es gibt genug Linkshänder, die auf Rechtshänderinstrumenten spielen- die kriegen das mit der „falschen“ Hand ja auch hin! Haben dann eben bei andren Sachen Vorteile (Geschmeidigkeit, Vibrato,...). Es wäre also auch für Dich eine Überlegung wert, weil ein verkürzter/problematischer Finger in der Bogenhand leichter auszugleichen ist.


    Aber Du kannst natürlich auch mit der verletzten Hand als Greifhand spielen- der Fingersatz muss eben entsprechend angepasst werden, es geht eben nicht alles nach „Schema F“.


    Du wirst sicher etwas mehr üben müssen, aber dann wirst Du Lösungen finden.

  • Vielen Dank für die Antwort, so etwas ist doch motivierend zu lesen :)
    Auf eine Linkshändergeige wollte ich nicht anfangen, ich nehme gerne den Fingerersatz in Kauf. Aber schön zu hören dass es doch möglich ist.

  • Die Geige ist sogar ein Instrument, wo das relativ leicht möglich ist. Da muss eben ein anderer Finger den betreffenden Ton greifen, macht man im Lagenspiel ja sowieso.


    Flöte/Oboe/Klarinette/Saxophon wäre viel problematischer, weil da jedem Finger eine feste Funktion/Position/Klappe zugeordnet ist. Und wenn man bei der Blockflöte ein Loch nicht abdecken kann, gehts eben nicht. Da muss dann der Instrumentenbauer ran, und kann eine Mechanik bauen bzw. diese bei Instrumenten mit Mechanik entsprechend verändern.


    Diese Probleme hast du bei der Geige nicht.

  • Als Neu-Einsteiger würde ich trotzdem dann lieber eine Linkshänder-Geige nehmen.


    Das einzige, was dagegen spricht: In einem Profi-Orchester hat man ein Problem, weil man damit
    Platzprobleme hat und „das Bild stört“.


    Aber, ob man es mit 3 Fingern als Anfänger überhaupt in ein Profiorchester schafften will ...?

  • Wenn man im Amateurbereich bleibt, ist es mit den Fingersätzen kein unlösbares Problem. Sicher gibt es einige Stücke, die man dann aus technischen Gründen aus dem Repertoire streichen muss.
    Auch wenn man z.B. mit kleinen Händen eine große Bratsche spielt, passt man die Fingersätze abweichend von "Schema F" der eigenen Anatomie an.
    Die Linkshändergeige hat auch den Nachteil, dass der Markt und damit die Auswahl viel eingeschränkter ist.
    Stell Dir vor, Du kommt - wie auch immer - an eine schöne alte Meistergeige die wunderbar klingt und kannst sie nicht richtig spielen oder Du fängst dann wieder von vorne an.