Geige mit "Kobra"-Wirbelkasten

  • Ganz einfach: der Oberklotz ist wegen Alterung des Leims (Feuchtigkeit) nicht mehr fest mit Decke und Oberzarge verbunden. Man müsste sowieso alles neu Verleimen. Wenn es dann den Hals unter der Seitenspannung um legt, ist der Schaden im Bereich des Halses meistens immens. Aus diesem Grund spielt meines Wissens nach kaum ein Barockspieler regelmäßig ein genageltes Original – Instrument.

    Die wenigen Originalinstrumente mit Nagel, die ich offen gesehen habe, hatten eine vielfältig überarbeitete Halskonstruktion.

    Das immer gerissene Zäpfchen war mit einer sperrholzartigen Konstruktion zusätzlich gesichert. Wobei die Spieler immer der Meinung waren, ihr Instrument hätte ein Original Hals. (Mein Meister meint, man bräuchte das auch nicht mit den Eigentümern unbedingt zu diskutieren, das wäre nicht geschäftsfördernd). Die wenigen Original Hälse von Barockinstrumenten, die ich kenne, waren immer durchgesetzte Hälse. Aber vielleicht habe ich einfach nicht genügend Barockinstrumente gesehen.🤷‍♂️😉

  • Die Geige kommt von einem Glasgower Dachboden.

    Ich hab im Maestronet-Forum recherchiert, und im frühen 19. Jahrhundert war es in Schottland wohl üblich, statt Nägeln auch Schrauben in den Oberklotz zu drehen (von innen wie hier und auch schräg von oben durch die Oberseite des Halses), auch welche mit flachem Kopf. Ich hab versucht, die Schraube herauszudehen, aber sie bewegt sich kein Stück. Deshalb überlege ich, sie drin zu lassen und nur das Stück der Oberzarge, das sich gelöst hat, wieder anzuleimen. Der Oberklotz ist um einiges größer als das Plateau der Decke. Hier würde ich zur Sicherheit noch ein bißchen Heißleim in den Spalt reintropfen lassen, und dann sollte es gut sein. Der Halsansatz an der Zarge hält bombenfest.


    Leider ist mir auch in dem Forum keine Geige mit so einem Wirbelkasten begegnet. Vielleicht werde ich die Geige dort auch vorstellen, da schreiben einige englische und schottische Geigenbauer mit, die vielleicht Näheres wissen.


    Das fehlende Holz an den Bodenhälften werde ich ergänzen, bevor ich sie zusammenleime, da es jeweils direkt an die Fuge grenzt.


    ...

    Das immer gerissene Zäpfchen war mit einer sperrholzartigen Konstruktion zusätzlich gesichert...

    Versuch es doch auch mal mit einer Schraube. Sie hält besser als ein Nagel ^^ Aber im Ernst: Wenn der Hals mit frischem, dickem Leim angeleimt ist und das Zäpfchen dick genug und mit einem Inlay mit dem Boden verbunden ist, sehe ich keinen Grund, warum der Hals nicht auch ohne Nagel halten sollte, vorausgesetzt, die Flächen passen wirklich bündig aufeinander. Notfalls leimst Du statt des Nagels einen Holzstift ein. Den kann man immerhin durchsägen, wenn man den Hals mal entfernen muss.

  • Ein bißchen historischer Kontext:

    In England und Schottland waren wohl besonders in ländlichen Gegenden viele Leute nebenbei Geigenbauer, und grad in schottischen Geigen findet man z.T. auch exzentrische Details, wozu der ungewöhnliche Wirbelkasten meiner Geige passen würde.

    Originale Schrauben aus dem 19. Jahrhundert sieht man hier und hier. Und auch Eugenio Degani verwendete in seinen Geigen eine Schraube, um Hals und Oberklotz zu verbinden. Ein interessanter Beitrag, wie Schrauben früher hergestellt wurden, findet sich hier.

  • Wenn ihr gerne korrodierende Eisenkörper in eurem Geigenhals habt die sich völlig unwägbar ausdehnen (Korrosion entspricht eine Volumenzunahme um knapp300 %) dann macht das. 😉.


    In keiner der europäischen Geigenbauer- Schulen lernt man diese Technik. Warum wohl? Ebenso wenig wie die Verwendung von Pergament.

    Gerade habe ich eine sehr alte Violine, bei der der Unterklotz gerissen war.( Siehe Bilder). Das selbe Schicksal steht jedem genagelten oder geschraubten Oberklotz bevor. Die Schraube steht immerhin unter so starker Spannung, dass sie sich nicht mehr herausdrehen lässt.


    Deshalb:

    1. Das Holz des Klotzes abnehmen.

    2. Das Zargenholz sanieren, eventuell aufdoublieren . Sichtbares Zargenholz gehört im Gegensatz zum Oberklotz oder Unterklotz zum Bestand, damit die Violine im ganzen zusammengehörig bleibt und ist somit wichtiger als ein jederzeit austauschbarer Klotz.


    Meiner Meinung nach besteht eine Violine nur aus Holz, Hautleim, und der Mathematik des goldenen Schnitt. (Fibonacci). Vielleicht noch ein funktionaler Lack, der auch schön sein darf.



    Aber jeder soll mit seiner Lösung glücklich sein.😉.

  • In keiner der europäischen Geigenbauer- Schulen lernt man diese Technik. Warum wohl? Ebenso wenig wie die Verwendung von Pergament.

    Gerade habe ich eine sehr alte Violine, bei der der Unterklotz gerissen war.( Siehe Bilder). Das selbe Schicksal steht jedem genagelten oder geschraubten Oberklotz bevor.

    ... wenn die Geige in einem feuchtwarmen Tropenklima gelagert wird. :) Ansonsten muss da nichts passieren.


    Klar macht man das heute so nicht mehr und auch die Barocken Geigenbauer würde heute keine Nägel mehr verwenden,

    (die würden vielleicht gar kein Holz mehr verwenden, wer weiß) ... und deine Vorgehensweise ist in der Regel schon richtig
    und vorzuziehen, man muss aber auch den Aufwand im Auge haben und das Besondere und Seltene, originell ist so eine

    Schraube ja schon. Sollte sich die Geige als ganz hervorragend herausstellen und in ein paar Jahrzehnten sich der Hals
    lockern oder der Klotz einen Riss bekommen, dann kann man immer noch reparieren.

  • In unseren Breitengraden ist die Luftfeuchtigkeit normalerweise nicht so hoch, dass Metall im Inneren des Geigenkorpus stark korrodiert. Etwas anderes sind tropische Gefilde, da würde ich auch alle Metallteile aus dem Inneren der Geige entfernen.

    Die hier vorgestellte Geige war bis vor kurzem noch in Glasgow. Ihre Schraube ist intakt, kaum korrodiert und hält sehr fest. Oberklotz, Zarge und Hals sind ebenfalls intakt. Alle Voraussetzungen für eine einwandfreie Funktion der Geige sind gegeben. Deshalb würde ich den Originalzustand belassen. Die Feuchtigkeit, die beim Nachleimen in den Bereich kommt, trocknet schnell.


    Sollte die Geige allerdings wirklich mal baden gehen, muss man natürlich die Schraube entfernen, wie Du es beschrieben hast Chiocciola.


    Ein Unterklotz reißt meiner Ansicht nach vor allem, wenn der Endknopf zu straff eingepasst wurde und/oder die Geige auf den Unterklotz fällt oder anderweitig eine große Kraft auf den Bereich einwirkt. Und vielleicht auch, wenn das Holz des Unterklotzes zu frisch ist und stark schwindet, oder übersehe ich da etwas?


    Der Vollständigkeit halber zeige ich hier auch Steg und Kinnhalter, die bei der Geige dabei waren. Der Kinnhalter aus Plastik (Bakelit?) gehört auch in die Kategorie "kuriose Kinnhalter".


       

  • ... wenn die Geige in einem feuchtwarmen Tropenklima gelagert wird. :) Ansonsten muss da aber nichts passieren……, man muss aber auch den Aufwand im Auge haben und das Besondere und Seltene, originell ist so eine

    Schraube ja schon. Sollte sich die Geige als ganz hervorragend herausstellen und in ein paar Jahrzehnten sich der Hals
    lockern oder der Klotz einen Riss bekommen, dann kann man immer noch reparieren.

    …… Wenn die Schraube nicht korrodiert ist, frage ich mich, warum sie nicht rausgeht und warum sie so braun ist. Einmal Rost, immer Rost.


    Mit etwas Übung ist ein Oberklotz In einer halben Stunde ausgetauscht, der Aufwand entsteht durch zweites Aufmachen der Violine falls nötig. Und Arbeit ist es natürlich auch, den Hals einzupassen. Entschuldigung, ich mache in Sachen Qualität keine Kompromisse mehr.


    Chemisch gesehen setzt sich Rost allgemein aus Eisen(II)-oxid, Eisen(III)-oxid und Kristallwasser zusammen, Summenformel: x Fe II O ⋅ y Fe 2 III O 3 ⋅ z H 2 O (x, y, z positive Verhältniszahlen). Die Volumen Ausdehnung ist gigantisch in Vergleich zu elementarem Fe.

    Eisenoxid ist hygroskopisch, dh. es geht immer weiter, solange nur ein Molekül Wasser in der Atmosphäre ist.🤷‍♂️.

  • Bei dieser Geige würde ich den Hals keinesfalls wie einen modernen Hals in einen neuen Oberklotz einlassen; dann wäre er ja noch kürzer, als er ohnehin schon ist. Dann müsste ich entweder einen Anschäfter machen oder den Hals am Halsfuß verlängern. Wie schon geschrieben würde ich maximal die Schraube gegen einen eingeleimten Holzstift tauschen.

    Mal sehen, was mein Mann zum Thema Weiterrosten der Schraube sagt; er kennt sich mit Metallen gut aus und wäre auch geeigneter als ich, um die Schraube ggf. zu lösen.

  • Also, die Schraube sieht wirklich handgeschmiedet aus, weil der Schlitz von Hand in den Kopf geschlagen wurde und deshalb nicht genau in der Mitte ist. Das heißt aber nicht, dass die Schraube 200 Jahre alt sein muss. In den Zimmertüren unseres Hauses aus den 1950er Jahren sind auch solche Schrauben verbaut.

    Die Schraube hat jedenfalls nur ein bißchen Flugrost, und bei unseren Luftfeuchtigkeitsverhältnissen ist nicht zu erwarten, dass sie verrosten wird. Zumal ein Großteil von ihr von Holz umschlossen ist und keinen direkten Luftkontakt hat. Anders sähe es aus, wenn das Holz Inhaltsstoffe hätte, die Metall angreifen, wie z.B. Douglasie.

    Sollte die Schraube irgendwann mal so verrosten, dass sie den Klotz spaltet, passiert weiter nichts als dieser Spalt im Holz, der vom Schraubenkopf nach innen geht und deshalb erst mal Zarge und Halsfuß nicht in Mitleidenschaft zieht. Die Schraube ist ja keine Granate, die den ganzen Klotz zersplittern lässt, und es wirkt auch keine Kraft, die die Schraube weiter in den Klotz treibt. Zudem dient sie auch nur der Stabilität und muss nicht den Saitenzug aushalten. Das übernehmen bei dieser Geige Zarge, Ober- und Unterklotz, Endknopf und die Plateaus von Boden und Decke.


    Da die Hals-Oberklotz-Konstruktion stabil ist, werde ich sie so belassen.