Zuschreibung tschechisch/italienisch... Auktionsgeschichten und Zuschreibungen

  • ich sehe es schon kommen:
    "Auktionshaus Hammer und Klopfer:
    diese wunderbare Bohemian Stradivari mit Zettel "Antonius Stradivarius Cremone fecit anno 1713"
    sie bieten definitiv nicht auf eine Stradivari, da die diesen Zettel von Stradivari hat, der beweist, dass sie niemals von Stradivaris sein kann. Sie bieten daher definitiv auf keine Geige von Stradivari, mit Zettel von Stradivari
    Ausrufungspreis 100 000€"

  • " Auktionshaus Hammer und Klopfer"- alles garantiert NICHT echt!


    Das wär doch eine Marktlücke!-
    Ich muss so lachen =)


    doch regt mich diese Geschichte auch zum Nachdenken an-


    es gibt also tatsächlich Menschen, die, im Vertrauen darauf, dass das Instrument DOCH echt sein könnte, eine Summe ausgeben, mit der man sich ein schönes Haus bauen könnte...
    und von da ist es -jedenfalls für mich- nicht weit zum Thema "Geige statt Aktien, also Geige als Wertanlage" -
    Was ist davon zu halten?


    Wenn man so die Taxen der Streichinstrumente der letzten 70 Jahre vergleicht, spricht ja sehr viel dafür...
    Was ist Eure Meinung dazu??

  • Geige als Wertanlage....wenn man es finanziell schafft, wirklich in den "Sammlerbereich" der wertvollen Kunstinstrumente vorzudringen, geht das sicherlich. Wenn man gleichzeitig soviel Ahnung hat, selber einschaetzen zu können ob die Instrumente echt sind umso besser. Bei Neuinstrumenten auf extreme Wersteigerung zu hoffen ist aehnlich wie der Kunstmarkt- fuer die Bilder des einen Kuenstlers gehen die Preise durch die Decke, andere bleiben nach einem kurzen Hype unbekannt....das ist also etwas Glücksspiel.


    Abgesehen davon kann ein Stimmriss oder aehnliche Boesartigkeiten gleich mal richtig viel Wet floetengehenlassen, und manchmal laesst sich der kaum vermeiden.


    Ich waere also vorsichtig, da wuerde ich eher richte Kunst kaufen...weniger empfindlich, und zumindest in Blattform sehr gut transportabel, halbwegs unempfindlich, einlagerbar und "versteckbar".

  • Also da gibt es einige Leute die darüber dissertiert haben, Forschungen gemacht haben etc. Das ganze kurz zu beantworten ist in diesem Fall eher schwierig und unvollständig. Trotzdem ein paar Gedanken dazu.


    In Kunst und Kunstwerke im speziellen wird schon seit sehr langer Zeit investiert. Am bekanntesten ist da der Gemäldemarkt. Musikinstrumente, speziell Streichinstrumente sind natürlich auch im gewissen Sinn Kunstwerke und tragen eine spezielle Handschrift ihres Erbauers.
    Je interessanter ein Kunstwerk ist und je knapper der Markt ist desto höher ist der Preis. Da es jetzt bei alten und guten Geigen einen begrenzten Markt an guten Instrumenten gibt aber immer mehr Käufer und keine neuen alten Instrumente (nur Fälschungen, Nachbauten, Kopien, Imitationen) produziert werden steigt die Zahl der potentiellen Kunden - Angebot und Nachfrage ;)


    Plakativ ausgedrückt: Vor 150 Jahren waren nur die Geigen aus Cremona interessant, seit 100 Jahren alle alten italienischen Geigen, seit 40 Jahren alle alten Geigen bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts, selbst composite Instrumente ohne Lack und im schlechtesten Zustand. Der Zustand ist teilweise wirklich kein Kriterium mehr, nur mehr ein wertmindernder Faktor, da (teure) Restaurationen bei (teuren) Geigen natürlich mehr Sinn machen.


    Der Trend hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, sich fortzusetzen. Der "Ausblick" (um in der Werpapiersprache zu bleiben) ist also positiv. Dass die Blase platzt kann aber natürlich sein - wenn Musiker zur Erkenntnis kommen dass eigentlich eine Stradivari auch nicht wirklich besser klingt als eine neugebaute Geige von einem sehr guten Geigenbauer, der weitaus günstiger ist, dann hat dieses Stück sicher seinen Vorzug. Da gibt es ja massenweise Medienberichte darüber... Da aber der Klang keine objektiv messbare Komponente ist, und auch subjektive Erwartungshaltungen eine Rolle spielen wird das sicher nicht so schnell passieren - meines Erachtens. Schlagzeilen wie "Stradivaris Geheimnis des Lackes gefunden", "Blindtest ergab, dass die Neubauten durchwegs besser als alte Italienerinnen abschnitten" etc. wird es dennoch weiterhin geben, ebenso wie Verfechter der einen als auch der anderen Seite bei Musikern, Sammlern, Geigenbauern, Restauratoren, Liebhabern etc.


    Soweit ein paar Gedanken zum Thema. Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass sich gute Musiker keine sehr guten Instrumente mehr leisten können, sie max. über komplexe Konstruktionen von Donatoren, Stiftungen, Gruppenkäufe etc. finanzieren können, und dann ein Spielrecht oder eine zur-Verfügung-Stellung durchsetzen...



    Liebe Grüße und schönes Wochenende,


    pharus


    PS: Eine signifikante Wertsteigerung haben in letzter Zeit v.a. Instrumente erfahren, die sehr begehrt sind, (gut zertifiziert, gute Provenance, toller Zustand, super Klang) - d.h. ab einem Wert von mind. 50.000 Euros. Darunter auf die Dividende zu setzen, hat meines Erachtens eher wenig Sinn. Durch dieses hohe Investitionsvolumen, gepaart mit der Ungewissheit des Wiederverkaufs und mit der Notwendigkeit, selbst idealerweise eine hohe Kompetenz auf dem Sektor mitzubringen, ist das denke ich, für eher eine kleine Gruppe von Personen wirklich interessant. Umsomehr, dass meistens Musiker eines Streichinstruments nicht zu den Millionären gehören ;)

  • Ist ja wieder interessant hier.
    Ich glaube nicht, das die modernen Geigen die alten so schnell überholen werden, und das ganz jenseits von Sentimentalität. Wer hat denn heute noch Zeit, die Hölzer anständig zu trocknen (in Mittenwald geht das heutzutage auch schon per UV-Bestrahlung), da fängt es doch schon mal an. Alles geht nach dem Motto: "Höher, schneller, weiter", und dabei raus kommt die Super-Tomate, die nach nichts mehr schmeckt, und eine Geige, genau eingescannt nach Stradivari mit allen technischen Finessen, die aber seelenlos klingt.
    Gruß Sommervogel

  • die Ausführungen von Braatsch und pharus sind äußerst interessant.
    Was "Kunst in Blattform" angeht, so kann ich das gut nachvollziehen, auch Bücher können z.B. ein Vermögen wert sein...ich habe solche schon in der Hand gehabt...


    Dennoch würde ich einer Geige den Vorzug geben ;)
    Ich glaube gerne, dass bei den Stradivaris auch viel Mythos dahintersteckt - das mit den Blindtests habe ich ebenfalls schon mehrfach gelesen...


    Wenn pharus aber schreibt, dass eine Geige als Wertanlage erst ab 50.000 Euro wirklich interessant ist , dann ist diese Art von Wertanlage für den "Normalbürger" doch wieder eher uninteressant und für den "Standardorchesterstreicher" ( ich mein das absolut nicht abwertend) erst recht nicht umsetzbar.


    Erst letzte Woche hat mir ein Antiquitätenhändler erzählt, dass er eine "original Caspar de Salo" für ein kleines Vermögen verkauft hat...( was ich mehr als stark bezweifle, wobei eine Geige diesen Alters ja mit großer Sicherheit nicht ohne aufwändige Restauration spielbar ist)


    Eigentlich furchtbar schade,dass viele wertvolle alte Violinen nur in Privatsammlungen vor sich hinschlafen und nicht in den Händen guter Violinisten/Violinistinnen "zum Leben erweckt" werden, denn die Geigen sind ja dazu gebaut worden, dass man sie auch spielt...


    Ich würde gerne mal eine Dissertation zu diesem Thema "Geige als Wertanlage" lesen, Pharus!


    ein schönes Wochenende!

  • So ganz richtig ist das meiner Meinung nach nicht, Sommervogel


    Denn auch die neuen Geigen werden älter und die alten Geigen sind irgendwann so alt, dass sie "in Ruhe gelassen werden" wollen und nicht mehr gut klingen.
    Interessant ist hierzu, was Midori in Ihrer Autobiographie über ihre Guarneri schreibt, die irgendwann anfing nicht mehr so zu klingen, wie es die Virtuosin von ihrer Geige gewohnt war, da half auch kein Verschieben des Stimmstocks mehr, sie beschreibt die Geige als müde und erschöpft.
    Ich habe schon mehrfach gelesen, dass die Schwingungseigenschaften des Holzes eben nicht ewig gleich bleiben und nach ca. 250 bis 300 Jahren ihre - nennen wir es einfach mal Kraft und Elastizität verlieren.
    ( weshalb ich eine gute Geige auch nicht als toten Gegenstand betrachte)
    Ich denke, dass Geigen aus qualitativ guten Holz, die vor ca. 120 bis 150 Jahren gebaut wurden, jetzt ihre "besten Jahre", also ihre besten Klangqualitäten haben.


    Dass industriell gefertigte Massenware die alten handwerkliche gefertigten Geigen einmal einholen wird, ist natürlich völlig unwahrscheinlich.


    freundliche Grüße

  • Das grundsaetzliche Problem ist meiner Meinung nach das Verstaendnis der Geige einerseits als Kunstgegenstand und andererseits als "Gebrauchsgegenstand". Als Kunstgegenstand gelten die alten Geigen als unglaublich wertvoll, auch wenn sie klanglich durch neuere Exemplare tw. übertroffen werden. Aber der antiquarische/kuenstlerische Wert, die zugeschrieben "Seele" undsoweiter lassen alte Instrumente beliebter Erbauer einfach sehr wertvoll sein. Vergleichbar mit einem alten Oelgemaelde, das ist nur "zum Anschauen" da, wenn es aber die richtige Signatur hat ist es Millionen wert (auch wenn einem vielleicht das Bild des unbekannten lokalen Malers besser gefaellt als der Picasso). Gleichzeitig werden die Geigen irre hoch geschätzt und teilweise gehypt, nicht immer geht das alles mit rechten Dingen zu, und wenn eine Geige ein Vielfaches mehr wert ist als ihr Gewicht in Gold frag ich mich auch manchmal warum....


    Als Gebrauchsgegenstand spielen andere Faktoren eine Rolle, nicht zwangslaeufig das Alter. Natuerlich werden auch neue Geigen irgendwann "alt". Bis die meisten davon jedoch den Rang von wertvollen Kunstgegenstaenden haben (und eben nicht mehr nur "Geigen" sind) duerfte soviel Zeit vergehen, dass es die meisten Besitzer nicht mehr persoenlich erleben werden. Dazu gibt es eben auch noch genug Instrumente aus dem 19. Jahrhundert, und viele davon sind eben auch jetzt noch nicht zum "Kunstwerk" geadelt worden, und werden es vielleicht auch nicht mehr... Aber welcher Erbauer gerade im Wert gewinnt und welcher nicht kann man kaum -zumindest ich kann es nicht- abschätzen.