Herkunft der Geige erkennen

  • Hallo,
    ich schaue gerade öfter mal bei ebay nach Geigen-Schnäppchen und kann dabei immer nur nach meinem Bauchgefühl gehen, wie gut die Geige tatsächlich ist... ich achte dabei auf die Feinheit der allgemeinen Ausführung (auch der Schnecke), die Beschaffenheit des Bodens und den Allgemeinzustand (Lack etc.).
    Mich würde aber wirklich brennend interessieren, wie Rainer und Co. das machen, eine Geige bloß nach der Form auf ihre Herkunft zu schätzen.
    Mir scheint als gäbe es da Anhaltspunkte in der Form der Schnecke, der Lage der F-Löcher und der Größenrelation von Bauch, Taille und Oberteil.


    Darf man vielleicht erfahren, wie man auch als "Nicht-Geigenbaumeister" anhand bestimmter Merkmale feststellen kann, ob es sich bspw. um eine französiche, italienische oder deutsche Geige handelt und wie alt sie in etwa ist?
    Dasselbe gilt für Bögen - ich finde einfach, die sehen alle gleich aus! Wo liegen die Unterschiede?
    Bitte gebt mir da mal einen Tip - Das wär sooo super!


    LG
    Miramis

  • Achja, diese Geige z.B. hatte es mir wegen der tollen Flammung am Boden und der irgendiwe grazil anmutenden Ausarbeitung der Ecken angetan - ich hab mich aber dann wegen der extrem vielen unreparierten Risse auf der Decke nicht dazu entschlossen, sie zu ersteigern. Dennoch vermute ich daß der Käufer ein echtes Schnäppchen gemacht hat, oder irre ich mich da?


    http://cgi.ebay.de/ws/eBayISAP…me=ADME:B:EOIBUAA:DE:1123


    Danke für Eure Einschätzung!

  • Für mich ist das eine Fabrikgeige, etwa 80 Jahre alt.


    Decke und Boden wurden mittig dunkler gefärbt, das wird auch heute noch
    gern bei den Billiggeigen per Sprühdose gemacht.


    Der Bogen sieht auch sehr billig aus.


    Die Bilder sind leider sehr klein, so dass man genaueres wohl sowieso nicht
    sagen kann. Vor größeren Bildern hatte der Verkäufer wohl Angst?


    Für 60 EUR kann man nichts sagen ? vielleicht klingt die Geige ja sogar
    sehr schön und gibt eine passable spielbare Geige ab...


    Ich hätte sie aber nicht ersteigern wollen, egal um welchen Preis.

  • Ich sehe das auch so, die Geige ist nichts Besonderes und eine gute Restaurierung wahrscheinlich teurer als ihr Wert. Auf der Decke sind u. a.
    mehrere vermutlich noch nicht geleimte Risse erkennbar, die andere Interessenten schon abgeschreckt haben dürften.
    Leider kann man langjährige Instrumentenerfahrung nicht einfach in Worte fassen oder im Schnellverfahren weitergeben. Und selbst mit viel Erfahrung kann man bei ebay noch auf auf schöne Bilder und geschönte Beschreibungen reinfallen, noch mehr natürlich ohne Erfahrung!
    MfG
    Rainer

  • Hallo, Danke für die Meinungen, da hab ich ja dann wohl instiktiv doch alles richtig gemacht...


    Ich glaube, Ihr habt mich aber falsch verstanden - ich wollte ja gar keine Gebrauchsanweisung "wie ich auf ebay eine tolle Geige finde" haben :).


    Ich interessiere mich einfach nur sehr für die Materie und dachte, Ihr verratet mir vielleicht, welche Merkmale man genauer betrachten muss wenn man die Herkunft der Geige erahnen möchte. Finde das unglaublich faszinierend, wie man aufgrund der Form- und Baueigenschaften des Instruments sagen kann: aha, französisch, etwa 100 Jahre alt, oder: nee, böhmisch, 120 Jahre alt, oder: nee, chinesisch, 5 Jahre alt...
    und woran erkenn ich einen billigen Bogen und woran einen guten?


    Also ich möchte einfach nur dahinter steigen, denn so schwer kann das ja nicht sein - ich z.B. erkenne am Körperbau eine Pferderasse, wo andere vermutlich nur denken: hmja, sieht aus wie ein Pferd ;)


    bittebitte, nur ein paar Tips, an welchen anatomischen Merkmalen man sowas bei einer Geige sehen kann. Das wär echt gönnerhaft! :)


    LG Miramis

  • Bei neueren Geigen achte ich zuerst vor allem darauf, ob die Geige im Gesamteindruck stimmig ist, sich also jemand Gedanken gemacht hat, was er tut. Dazu gehören so Sachen, wie z.B. wie ist die Hohlkehe ausgearbeitet, wie die Schnecke, die F-Löcher etc. und passt das alles zusammen.
    Ein wichtiger Anhaltspunkt ist auch der Lack. Anhand des Lackes kann man oft schon eine ungefähre Einschätzung treffen, wie alt die Geige ist und woher (aus welcher Schule) sie stammt.


    Dann gibt es natürlich auch Geigen, die für einen Geigenbauer typisch sind. Um so was zu erkennen muss man eben viele Geigen gesehen haben.


    Zuletzt muss man noch sagen, dass es sehr gute Kopisten gibt, deren Instrumente auch für Experten kaum von den Originalen (Stradivaris, Guarneris..) zu unterscheiden sind. Zu den bekanntesten zählen da wohl zur Zeit Sam Zygmuntowicz und Roger Hargrave.


    Du siehst, das ist alles andere als einfach und auch Experten, die viel Erfahrung haben (wozu ich mich nicht zähle), können da leicht mal daneben liegen.


    Matthias

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Du siehst, das ist alles andere als einfach und auch Experten, die viel Erfahrung haben (wozu ich mich nicht zähle), können da leicht mal daneben liegen.


    Miramis09 : Genau so wie Matthias schreibt ist es. Es geht darum ein Leben lang zu lernen und möglichst viele Geige bereits in der Hand gehabt zu haben. So ab 2-3000 Tausend böhmische Geigen hat mans irgendwann mal kapiert. Ähnlich mit anderen.


    Auch die Experten haben immer nur eine bestimmte Nische, die sie sehr gut kennen bzw. wo sie Verlgleichsinstrumente im Safe haben. Da gehen sie dann halt in den Keller und vergleichen.


    Eine Geige einschätzen ist ein kreativer Prozess, ähnlich wie ein Ölgemälde usw. Oder ist der Bauernschrank echt? Oder auf alt gemacht? Man muss eben schon ein paar tausend gesehen haben, und möglichst auch ein paar ECHTE.


    Deshalb hat Rainer recht, man kann da nicht einfach wie bei einer Rolex oder so sagen: Wenn sie die und die Identifikationsmerkmale hat ist sie echt (davon abgesehen, dass die Echtheitsmerkmale auch gefälscht werden). Das gibt es übrigens auch bei Geigen: Was ist einfacher, als bestimmte "Merkmale" einfach nachzubauen.


    Jeder Geigenbauer hat gute und schlechte Tage. Aber er hat immer eine bestimmte Machart. Jede Region HATTE früher eine bestimmte Art Geigen zu bauen usw. Die muss man halt verstehen lernen und das geht nur mit viel Erfahrung. UND: wie richtig gesagt: Es gibt keinen Experten der nicht auch mal irrt.

  • Also, daß zur Einschätzung der ECHTHEIT Expertenwissen gehört, ist mir schon klar.
    Aber daß es bestimmte Merkmale gibt für eine Bau-Zeit oder eine Werkstatt, das kann man doch eigentlich nicht abstreiten.


    Also, bei böhmischen Geigen ist mir bisher z.B. vor allem aufgefallen daß sie einen asymmetrischen Bauch haben, also die Seite an der der Kinnhalter sitzt, ist irgendwie etwas langgezogener als die andere. Und der Bauch ist insgesamt eher ausladend. Oder?


    An der Schnecke sehe ich auch die meisten Unterschiede zwischen Geigen, mal sind sie sehr tiefgestochen, mal sehr barock geschwungen, mal eher einfach, mal kreisrund, mal oval.


    Und ebenso sind die f-Löcher ja nicht immer gleich. Und auch da müsste es doch Anhaltspunkte geben, aus welcher Zeit oder Region die Geige stammen KÖNNTE. Ganz ohne Anspruch auf die Richtigkeit dieser Vermutungen.


    Und mehr als so ein paar einfache Anhaltspunkte wollte ich ja garnicht haben... will ja schließlich keinem Experten Konkurrenz machen ;)

    • Offizieller Beitrag

    @Miriamis09: Ja das stimmt schon auch alles ein bisschen. Nur was ist, wenn ein böhmischer Meister sich einmal ganz besonders viel Mühe gegeben hat und hat die Schnecke tief gestochen. Andermal hatte er wenig Zeit und hat sie nicht so tief gestochen oder hat sie jemanden anders schnitzen lassen?


    Was wenn es einem anderem Böhmen symmetrische Geigen gefallen dem anderen nicht, oder er hat sie einfach immer nur unsymmetrisch hingebracht usw.


    Es geht letztlich immer um den Gesamteindruck. Und der muss insgesamt gesehen für eine bestimmte Region und Zeit sprechen.


    Echte "Merkmale" denke ich, gibt es eher im Inneren der Geige. Die können wir hier im Forum aber meistens gar nicht sehen... :)


    Also bitte nicht zu sehr in Einzelmerkmalen denken. Das wäre einfach. Dann bräuchte ein Kunstkenner ja nur den Pinselstrich, die Farbmischung und die Motivgestaltung der Maler auswendig lernen und das noch für jede Zeit und schon könnte er jedes Bild zuordnen. So einfach geht es leider nicht.


    Und auch in Böhmen waren einige Geigenbauer ihrer Zeit voraus und haben schon ganz "untypische" Böhmen gebaut...