Lack/Lackschäden

  • Liebes Forum, ich habe seit heute eine Geige hier, deren Lack schon etwas mitgenommen aussieht. Grundsätzlich darf eine 100 Jahre alte Geige natürlich Abnutzungsspuren haben. Ich frage mich aber

    1. Was ist das für ein Lack? und

    2. Steht zu befürchten, dass er in den nächsten Jahren immer weiter „abblättert“?

    3. Was wäre zu tun um den Lack langfristig zu erhalten?

    Freue mich auf eure Antworten

    Liebe Grüße

  • Ich vermute das ist ein Spirituslack. Ja, der kann „abblättern“, aber eigentlich tut er das nicht. Nur dort, wo es Schläge/Stösse gibt, dran „herumgeschubbert“ wird- wie z.B. an der Schnecke oder eben an Kanten. Am F-Loch wurde vielleicht mal die Stimme etwas grob gesetzt, oder mit einem Spiegel drin was überprüft- da können solche „Verletzungen“ entstehen.


    Dieses „Blasige“ sieht mir aus, als hätte das Kolophonium mit dem Lack reagiert, oder es wurde mit einem aggressiven Mittel geputzt/herumpoliert. Kolophonium ist ein Harz, welches auch Bestandteil von Geigenlacken ist. Wenn Kolophoniumstaub lange auf dem Lack liegt, vielleicht noch Wärme (Auto, Dachboden, Sonneneinstrahlung) dazukommt, kann das wunderbar festkleben und auf Dauer mit dem Lack reagieren (in diesen einziehen).


    Ich würde gar nix machen- für 100 Jahre sieht die doch prima aus. Der Lack scheint mir normal zu sein, die hat eben öfter mal was „auf die Schnecke“ bekommen, und wurde nicht übermässig liebevoll behandelt. Da ist nix, was mir ernsthafte Sorgen bereiten würde.

  • Man könnte die freiliegenden Holzstellen wieder retuschieren mit einem farblich passenden Lack. Ansonsten sehe ich das genauso wie Braaatsch.


    Wichtig in Zukunft ist, nach jedem (!) Spielen den Bereich zwischen Griffbrett und Steg sowie das Griffbrett und die Saiten vom Kolophoniumstaub zu befreien, damit sich nichts weiter ablagert.

  • Vielen Dank. Sind dann Öllacke grundsätzlich hochwertiger? Da hat man ja mit den Jahrzehnten eher den Effekt, dass der Lack sich etwas abgreift, aber nicht, dass die obere Schicht richtig abblättert. Mich stören die Stellen optisch auch nicht wirklich, würde sie evtl. tatsächlich ausbessern lassen. Wenn aber zu erwarten wäre, dass sich der Lack nach und nach weiter ablöst, wäre das für mich schon ein Problem. Ich überlege die Geige zu kaufen, aber der Preis liegt im mittleren vierstelligen Bereich, da fällt so etwas schon ins Gewicht, auch wenn am Ende natürlich der Klang den Ausschlag geben sollte.

  • Dann würde ich mir eine (Zweit-) Meinung bei einem Geigenbauer Deines Vertrauens einholen.


    Übrigens können auch Öllacke abblättern, wenn bei ihnen beim Auftragen der Grundsatz "Fett auf Mager" nicht beachtet wurde, wenn also die oberste Schicht weniger ölhaltig ist als die darunter liegende.

    Meines Wissens nach gibt es bei beiden Lackarten hochwertige Produkte. Öllacke können etwas weicher bleiben, so dass sie sich bei warmem Wetter leicht klebrig anfühlen. Ich glaube aber, das hängt vor allem von den verwendeten Harzen ab. Mein Geigenbauer sagte mir mal, nach 100 Jahren sind sowohl Spiritus als auch Öl verflogen, und man kann gar nicht mehr genau sagen, was für ein Lack auf einer Geige eigentlich drauf ist. Anhand der Harze könnte man es vielleicht unter UV-Licht feststellen, weil einige Harze sich besser in dem einen als in dem anderen Medium lösen.

    Edgar Russ z.B. sagt, dass er für die Schülerinstrumente Spirituslack und für die Meisterinstrumente Öllack verwendet.


    Öllack ohne ordentliche Grundierung ist problematisch, weil dann Öl ins Holz einziehen kann, wodurch das Holz weniger schwingungsfähig wird. Mein Geigenbauer mag Öllack vor allem deshalb, weil man nur 2 - 3 Schichten auftragen muss und nicht 10 - 12 wie bei Spirituslack. Allerdings ist in unseren Breitengraden eine UV-Kammer wohl unerlässlich, damit der Öllack gleichmäßig und schnell polymerisiert. Das hat mich bisher von der Verwendung abgehalten ;)

  • Ja, es gibt hochwertige Lacke von beiden Sorten. Ganz einfach deshalb, weil der Übergang fliessend ist. Platt gesagt: Einen Spirituslack ohne Öle (oder Harze, was im Prinzip "festes Öl" ist), würde nicht funktionieren. Ein Öllack, der keinen Spiritus/Terpentin/flüchtiges Lösungsmittel enthält, würde ewig trocknen, und wäre schwer zu verarbeiten (man braucht Öle wie Leinöl, welche aushärten, oder es wird eben mehr oder weniger immer wieder klebrig). Deswegen wäre es eigentlich sinnvoller, von "fettem" und "magerem" Lack zu sprechen, wie in der Malerei. Ist aber eben nicht so- und deswegen eben Öllack und Spirituslack (und es gibt eben ne menge Lacke, die "in der Mitte" liegen!).


    Spirituslack trocknet schneller- und deshalb kommt der eben bei Schülerinstrumenten zum Einsatz. Daher hat er den Ruf, "schlechter" zu sein, und Instrumente mit einem Öllack gelten als hochwertiger. Nun ist aber weniger der Lack der entscheidende Faktor (obwohl der natürlich auch eine Rolle spielen KANN), sondern der Einfluss der eigentlichen Instrumentenqualität ist wesentlich grösser.


    Und dann passiert Folgendes: Schülerinstrumente/einfache Instrumente, die schnell hergestellt werden, sollen auch schnell verkauft werden -> sie bekommen den Spirituslack. Der Meister will zeigen, dass er in ein Meisterinstrument viel Arbeit und Zeit gesteckt hat -> das bekommt einen Öllack, der ewig trocknen muss, aber mit dem man optisch bezaubernde Instrumente schaffen kann, da der Lack auch lange korrigierbar ist. Jetzt lernen alle: Instrumente mit Spirituslack= billig und schlecht, Instrumente mit Öllack = teuer und gut. Dann kommt schnell die Idee auf, dass der Lack ein entscheidendes Element ist.


    Ich will nicht sagen, dass der Lack gar keinen Einfluss hat. Aber im Vergleich zur "Anatomie" des Instrumentes ist dieser Einfluss -vorausgesetzt, der Lack ist korrekt verarbeitet!- marginal, er kann natürlich bei einem Meisterinstrument noch das "Letzte herausholen", oder natürlich auch bei völlig falscher Anwendung das Instrument klanglich töten. Sowohl bei der Verarbeitung von Öllack als auch bei der Verarbeitung von Spirituslack kann man Fehler machen. Öl kann ins Holz ziehen, der Lack kann zu weich (...klebrig!) sein und/oder zu dick und/oder enthält zu viel Öl (trocknet nicht durch), er kann zuwenig Öl enthalten und "bindet nicht" etc.


    Kurz: Es gibt China-Instrumente mit Öllacken, und Meisterinstrumente mit Spirituslacken. Grundsätzlich kann man nicht sagen, dass ein Lack jetzt immer besser ist als der andere- es kommt eben auf das Instrument, dessen Fertigungsqualität und die Lackierqualität (Lackverarbeitung) an, und dann natürlich die Materialqualität des Lacks.


    Wenn die Geige gut klingt, dann sollte der Lack kein Hinderungsgrund sein. Du kannst aber natürlich die Lackschäden preislich geltend machen, und natürlich kann man das retuschieren lassen.

  • Toll, danke für eure ausführlichen Antworten. Ich lerne so viel hier!!! Grundsätzlich gefällt mir persönlich dann wohl Öllack besser… auch (oder gerade) mit den Jahren und reichlich Patina wirkt er auf mich irgendwie „lebendiger“, aber das ist natürlich mein subjektives Empfinden. Bei dieser Geige scheint sich eher an den Stellen der Lack zu lösen, wo die dunkle Schattierung ist. An der Schnecke ist der Lack dann stellenweise auch recht dick aufgetragen, was wahrscheinlich auch erklärt, warum er sich hier teilweise löst. Insgesamt ist sie aber schon hübsch anzusehen finde ich… wegen der größeren Stellen werde ich nochmal Rücksprache halten… vielleicht ist ja im Falle eines Kaufs noch eine kleine Schönheitskur inklusive ;)

  • Eigentlich ist das ja schon schräg: Auf dem Boden gibt es grossflächige künstliche Abnutzungsspuren, um Nutzung vorzutäuschen, Alter, Charme. Und dort, wo es nun wirklich echt ist, wird retuschiert.


    Kein Vorwurf, bitte nicht falsch verstehen. Macht ja jeder. Aber im Prinzip ist das doch schon schräg: Da gibt es "schöne Narben", und welche, die man nicht schön findet.

  • Ja, eigentlich ist das schon verrückt. Ich hatte neulich eine zeitgenössische Geige in der Hand die ganz wunderbar klang, aber so furchtbar auf antik gemacht war, dass ich sie im Leben nicht gekauft hätte… sah einfach schrecklich aus. Das ist hier nicht der Fall, aber dennoch… Geigenkauf ist psychologisch in jedem Fall ein interessantes Thema. Man bedenke nur, wie viele schlecht klingende Geigen für viel Geld verkauft werden, weil ein entsprechender Zettel drin klebt!

    Erinnert mich an das Thema „Chinesische Geigen“ über das wir hier ja auch schon mal so schön philosophiert haben 😉