Bitte um Betrachtung

  • Hallo Zusammen,


    ich bin durch Zufall auf Ihr Forum gestossen und möchte hier gerne die Möglichkeit nutzen und Ihnen meine Geige mit Bitte um Betrachtung und eventuell Einschätzung vorstellen. Bilder werde ich kurzfristig nachreichen.


    Zur Herkunft der Geige und der "Geschichte" die man mir zu dem Instrument erzählt hat sowie zur Einschätzung (allerdings ohne qualifiziertes Gutachten) zweier von einander unabhängiger Geigenbauer:


    Die Violine wurde von mir kurz nach der Wende als Schülerin erstanden. Sie befand sich vorher im Besitz eines passionierten Sammlers in der ehemaligen DDR, der nach dem Mauerfall aus finanziellen Gründen seine Sammlung auflösen musste. Bis dahin wurde sie nicht (mehr) gespielt und wurde eben gut verwahrt. Die Violine ist sehr eigenwillig im Aussehen. Anstatt der Schnecke hat sie einen geschnitzten Männerkopf. Die Zargen sind mit einer lateinischen Inschrift versehen "Viva fui in silvis dum dulce cano Mortva" (Schreibfehler bitte ich zu entschuldigen, mein Latein ist etwas eingerostet :-)), an der Decke sowie am Boden besitzt sie sehr filigrane Intarsien, die auch als solche vom Geigenbauer identifiziert wurden. Es sind also nicht nur Malereien. Aufgrund der langen Lagerung hat die Zarge am Kinnhalter ein wenig gelitten und sich etwas nach außen gewölbt, was der Geigenbauer allerdings als unkritisch bezeichnet hat. Die Geige befand sich Anfang vergangenen Jahres in Reparatur. Hierbei hat der Geigenbauer festgestellt, dass der Stimmstock und die Wirbel noch original waren. Den Stimmstock hat er durch einen neuen ersetzt, da der Alte für heutige Tonwünsche zu lang war und das Instrument daher sehr dumpf im Klang machte. Die Wirbel hat er erhalten, lediglich wieder richtig eingepasst und gangbar gemacht. Außerdem hat er einen kleinen Riß an der Decke entdeckt, den er repariert hat. Ihrem Klang tut dies keinen Abbruch.
    Das jeweils an den Wirbeln und dem Stimmstock verwendete Holz lässt laut seiner Aussage darauf schließen, dass es sich um ein recht altes Instrument handeln müsse, da diese Hölzer seit langem nicht mehr verwendet würden. Auch das Griffbrett ist wohl aus sehr hochwertigem Holz gefertigt.
    Es befindet sich kein Hinweis auf die Herkunft im oder am Instrument. Zumindest haben wir nichts gefunden.
    Wie gesagt, sie ist spielbereit repariert und aufpoliert. Ab und an wird sie auch noch gespielt.


    Nun zur Einschätzung beider Geigenbauer: der Erste, dem ich das Instrument zeigte, meinte kurz und knapp dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein böhmisches Stück handle, ca. um 1890, Wert schätzungsweise 8000,-. Da ich allerdings im Januar 2002 bei ihm war, in welchem ja bekanntlich die Umstellung auf Euro erfolgte, gehe ich davon aus, dass er damit noch die gute, alte D-Mark meinte. Sicher sagen kann ich es allerdings nicht, da er keine Währung nannte. :)


    Der zweite Geigenbauer, der das Instrument Anfang vergangenen Jahres in Händen hielt bestätigte die vermutete Herkunft mit Böhmen, meinte jedoch, dass das Instrument wegen der verwendeten Hölzer wahrscheinlich deutlich vor 1890, eher um 1850 anzusiedeln sei. Er erzählte mir, dass zu dieser Zeit in Böhmen häufig Auftragsarbeiten z.B. auch für Klöster gefertigt wurden, die dann als Besonderheit bspw. das geschnitzte Konterfei des Abtes als Schnecke erhielten und/oder das Abbild des Klosters als Intarsien eingesetzt wurden. Aus dieser Richtung vermutet er das Instrument. Er meinte noch, dass es etwas besonderes sei, dieses Instrument reparieren zu dürfen, da man sowas nicht alle Tage in den Händen halten würde. Nach dem möglichen Wert gefragt meinte er, dass sie durchaus 4000 - 5000 Euro wert sein könne, für Sammler auch deutlich mehr.


    Nun habe ich von zwei Leuten doch ein recht ähnliches Urteil erhalten, bin mir aber noch immer unsicher, ob ich vielleicht tatsächlich einen kleinen Schatz mein Eigen nenne oder das Instrument nach mehr aussieht als es ist. Da ich das Instrument bei entsprechendem Wert unter Umständen versichern möchte steht wohl in absehbarer Zeit die Erstellung einer entsprechenden Expertise an, da die Versicherung sicher nicht ohne Wertangabe versichert. Davor schrecke ich momentan aber noch zurück, da das ja, bei entsprechendem Wert, durchaus eine kostspielige Sache werden kann. Aufgrund dieser Tatsache würde ich gerne hier nach Meinungen fragen, um hierzu endlich eine Entscheidung zu treffen. Ist es möglich, dass das gute Stück tatsächlich in den vierstelligen Bereich geht oder sind das Wunschträume und ein solcher Wert eher unwahrscheinlich?
    Dann würde ja auch eine Versicherung nicht unbedingt notwendig werden.


    So, nun hab ich viel dazu geschrieben, die Bilder folgen in Kürze und ich freue mich schon auf entsprechende Kommentare.


    Danke schonmal vorab und viele Grüße


    Annette

  • Zu der merkwürdigen lateinischen Inschrift gibt es schon eine interessante Diskussion:


    http://latindiscussion.com/for…eo-vi-mortva-dvlce.10509/


    Anscheinend wurde dieser poetische Spruch abgekürzt:


    Viva fui in sylvis; sum dura occisa securi:
    dum vivi tacui, mortua dulce cano.


    Alive I was in the forest; by hard axe was I felled:
    whilst living I was silent, now dead I sweetly sing.


    MfG


    Rainer



    P.S.:


    Meine freie deutsche Übersetzung der Inschrift lautet:


    "Mein Leben verbrachte ich im Wald, als Tote verbreite ich süßen Gesang"

  • Also, ohne Bilder kann man da gar nix zu sagen. Grundsaetzlich kann eine Geige natuerlich so viel Wert sein, und wenn bereits zwei Geigenbauer unabhaengig voneinander zu einem aehnlichen Urteil gekommen sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass es stimmt. Ein Urteil von Fotos im Internet ist immer fehleranfaelliger als eine Begutachtung in Natura, daher wuerde ich grundsaetzlich raten noch einen weiteren Geigenbauer zu Rate zu ziehen.


    Diesen Spruch findet man bei Geigen verschiedenster Herkunft, ich habe ihn sowohl bei boehmischen als auch bei Instrumenten aus Mittenwald gesehen, diese Instrumente stammten jeweils aus der zweiten Haelfte des 19. Jahrhunderts.


    Die Tradition, Menschen oder Tierköpfe anstatt Schnecken zu schnitzen ist wesentlich aelter, das hat man schon seit der Barockzeit gemacht (gerne bei Gamben). Im 19. Jahrhundert wurden die "Loewenkoepfe" auf einmal modern, da gibt es unzaehlige Schnurrandgeigen mit Stainerstempeln. Gelegentlich tauchen auch noch menschliche Koepfe auf, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich manch' ein Auftraggeber hat verewigen lassen...

  • Hallo Zusammen,


    erstmal Danke für die bereits gegebenen Hinweise. Das Forum zur Inschrift hatte ich auch schon entdeckt. Sorry, dass ich mich erst heute mit den Bildern zurück melde, mich hat eine heftige Erkältung erwischt. Daher lag ich gestern flach. Hier nun die Bilder. Ich hoffe, sie taugen was. Fotografieren zählt nicht zu meinen Stärken...


    Vielleicht sagen die Bilder noch mehr dazu aus?
    Mini sind sie extrem unscharf, aber groß passt es dann.
    Danke schonmal vorab für Ihre Antworten!


    Viele Grüße
    Annette

  • Es handelt sich wirklich um ein interessantes Kunstwerk, das hoffentlich auch noch gut klingt. Leider wirken Dekorationen und Schnitzereien in dieser Hinsicht nicht unbedingt förderlich.


    Der Männerkopf soll vermutlich Gasparo da Salò darstellen, der als Urvater des Geigenbaus im 16. Jahrhundert gilt. Dazu passt auch die doppelte Randeinlage, wie sie für Geigen seines Schülers Maggini in Brescia charakteristisch ist.


    Als Herkunft würde ich (wegen des etwas holperigen Lateins) auch auf Böhmen (Prag) tippen, es könnte aber auch Oberitalien sein.
    Die Geige sieht nach einer individuellen Arbeit aus etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts aus.


    Der Wiederbeschaffungswert (Versicherungswert) wäre m. E. mit ca. 5.000 Euro zu beziffern. Bei einem Verkauf würde man diese Summe wahrscheinlich aber nicht erzielen, vor allem nicht bei einer Internet-Auktion.


    MfG
    Rainer

  • Wow, vielen lieben Dank für diese Informationen, Rainer!
    Dann habe ich da ja offensichtlich wirklich einen Schatz erstanden... Wenn ich davon ausgehe, wieviel ich dafür bezahlt habe, dann ist das schon ein Leckerli. :)


    Es ist aber in der Tat so, dass sie wirklich gut klingt. Warm, weich und eher dunkel. Als Solo-Instrument ist sie nicht brilliant genug, aber im Ensemble fügt sie sich wunderbar ein und kann auch ganz schön dominant sein. Aber eben eher mit dunkleren Tönen. Wobei sich das durch den Austausch des alten Stimmstockes etwas geändert hat. Mit dem Alten war sie sehr dumpf im Klang, was laut Geigenbauer wohl damals auch so gewünscht war. Durch den Neuen wurde sie deutlich klarer.


    Da bin ich jetzt aber froh, dass ich mich hier angemeldet habe um mal nachzufragen. Freu mich wirklich sehr über dieses tolle Urteil!


    Aber wenn ich sie verkaufen möchte sollte ich mir, wenn ich Ihren Ausführungen folge, sehr viel Zeit lassen und es nicht übers Internet versuchen?
    Zumindest nicht über Auktionen... Aber das hatte ich sowieso nicht vor. Grundsätzlich denke ich schon über einen Verkauf nach, da sie sicher nicht besser wird wenn sie unbespielt ist, aber ebay oder so fiel bei diesen Überlegungen eh von Anfang an raus...
    Haben Sie mir für den worst case vielleicht Tipps außer den klassischen Geigenbauer?
    Es ist einfach schade, dass sie nicht klingen darf weil ich einfach keine Zeit dazu habe und auch meine Ambitionen sich mittlerweile stark verändert haben. Naja, mal sehen.


    Hier sei nur gesagt: falls jemand Interesse an dem Instrument hat, eine Anfrage kann gerne gestellt werden. Ob ich verkaufe weiß ich zwar nicht, aber reden kann man grundsätzlich über alles...


    Danke und viele Grüße
    Annette

  • Also, ich würde sie auch eher nach Böhmen verorten, 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie ist wirklich was Besonderes, und sehr liebevoll gemacht. Leider ist kein Erbauer festzustellen, oder irre ich mich? Das Aussehen ist das Eine, die Herkunft das Andere. Gerade bei Geigen spielt neben dem Klang auch "der Stammbaum" eine Rolle. Das ist bei diesem Instrument problematisch... Ein ausgefallenes Design muss eben auch eine Liebhaber finden, dem es nicht vordergründig auf die Herkunft ankommt. Manch ein Spieler sucht sich eher etwas Unauffälligeres. Insofern halte ich einen Verkauf zum angegebenen Wert für nicht ganz einfach (im Internet/Ebay sowieso nicht!). Am Besten geht das sicher noch bei Geigenbauern, die sich ein bisschen auf Antiquitäten spezialisiert haben, oder bei einem auf Instrumente spezialisierten Kunstauktionshaus (Z.B. Bongartz oder Tarisio)...


    Das Zweite ist der Klang. Den kann ich nicht beurteilen.... Bei entsprechendem Klang kann die Geige ihre 8000 Wert sein, realistisch verkäuflich so nach Foto halte ich sie über privat für 2500-3000. Über ein Kunsthaus oder einen Antiquitätenhändler sicher etwas mehr (gerade letztere springen mannchmal auf ein etwas eigenwilliges Design hervorragend an..!) aber da hat man Glück oder auch nicht....

  • Hallo Braaatsch,


    auch Ihnen ein herzliches Dankeschön für Ihre Einschätzung. Das haut mich wirklich um... Ich habe nun eine kostenfreie Schätzung über ein Internet-Auktionshaus (auctionata) beantragt und warte noch auf das Ergebnis. Dort sind mehrere Gutachter für Streichinstrumente als Experten registriert. Ich bin gespannt. Selbstverständlich werde ich das Ergebnis umgehend mitteilen.
    Ach so, ja, in der Tat, es ist, zumindest für mein Laienauge, kein Name oder ähnliches sichtbar. Was ja nicht unbedingt etwas heißen muss...


    Nochmals vielen herzlichen Dank!


    Grüße,
    Annette