Warum Zusatzinformationen für eine Einschätzung wichtig sind

  • Ihr habt Euch sicherlich immer gefragt, warum, wenn jemand hier eine Geige zum Schätzen postet, ich immer wieder möglichst viele Zusatzinformationen verlange (Wer? Wie? Was? Woher? Wohin?...).
    Heute in der Frühe fand ich folgendes Angebot:
    http://www.willhaben.at/iad/ka…ge-30609453?adId=30609453


    Der Besitzer will sage und schreibe 8000? für eine mutmasslich echte Egydius Klotz.
    Nun erkennt aber jeder, dass die niemals aus Mittenwald stammen kann (der BV nickt!), geschweige denn dieses Alter aufweist.
    Ich schrieb ihn daraufhin an, da ich den Verdacht hatte, diese stamme aus Böhmen so um 1900.
    Als Antwort bekam ich vom verblüfften Besitzer, dass er sie vom Nachlass seines Urgroßvaters habe, der tatsächlich so um 1900 als Musikant in Königgrätz arbeitete.
    Man bekommt durch diesen zugeben Musterfall voerexerziert, wie einfacher man sich ein Bild über Herkunft und Hintergrund eines Instrumentes machen kann, wenn man das zeitliche Umfeld solch eines Instrumentes möglichst gut kennt.

  • ...auf Ebay gabs mal eine völlig abgewrackte Böhmen-Stradivari, deren Verkäuferin sage und schreibe 29.000 Euro für dieses Brennholz wollte, alternativ auch Tausch gegen einen BMW. Ich hatte sie dann -wirklich freundlich- angeschrieben, einfach um ihre Erwartungen vorsichtig zu dämpfen. Daraufhin bekam ich im übelsten Tone zu hören, daß sie schon mehrere Geigen verkauft hätte, und wie viele Geigen ich schon verkauft hätte, daß ich mir so ein Urteil anmaße usw.--- Ich hab ihr dann nur viel Glück gewünscht ;)
    Ein paar Tage später wollte sie mir dann die Geige zum "Freundschaftspreis" von 5000 Euro verkaufen und hat dann nochmal nachgefragt, ob ich die nicht doch kaufen möchte.


    Also- leider gibt es Leute, die partout nicht einsehen, daß nicht jede Stradivari echt ist, und die sich dann die Familiengeschichte entsprechend zurechtbiegen (bzw. an eine "Familienlegende" glauben). Klar, die Geige hat Opa von der Italienreise mitgebracht, oder einem Zigeuner abgekauft der sie erhandelt hatte, oder Opa stammt aus Ostpreussen, hat die Geige dort von nem Adligen oder was weiss ich- und dann ist es manchmal schwer, mit Fakten gegenzuhalten ;)


    Wir können ja einen Thread eröffnen: die amüsantesten Ebayangebote ;)

  • Also, hier habe ich, wie ich meine, doch mal ein gutes Geschäft auf ebay gemacht:


    http://www.ebay.de/itm/2708120…_trksid=p3984.m1439.l2649


    Bin extra zum Probespielen hingefahren, weil ich auf der Suche nach einer 5-saitigen Geige war, und da ist der Markt nicht riesig.
    Habe tatsächlich nur 250? bezahlt incl. Dominant Saiten. Den Bogen habe ich gerade für 16,49? wieder versteigert. Der Kasten ist von guter Qualität.


    Die Angaben des Verkäufers stimmen soweit. Dass diese Geige aus chinesischer Manufaktur stammt, stört mich nicht, denn sie scheint, soweit ich das sehe, gut verarbeitet zu sein (oder??), und sie klingt vor allem gut. Natürlich nicht wie eine Meistergeige, aber im Preis/Leistungsverhältnis unschlagbar.

  • Diese Geschichte hat zwar mit dem Thema nicht viel zu tun, aber ich denke auch, dass es ein guter Kauf war. Selbst im Erzeugerland wäre sie für diesen günstigen Preis kaum zu bekommen.
    MfG
    Rainer


    P.S.:
    Es geht sogar noch billiger - qualitativ allerdings sicher nicht besser, aber mit Elektronik und 6 (!) Saiten - wie die wohl gestimmt sind ? http://www.ebay.de/itm/Neuheit…mente&hash=item2c56bf58b9

  • Ich habe zunächst auch an eine Geige für Gitarristen gedacht. Angeblich soll es aber sogar F-Saiten geben, sodass sogar der Bratschen-Tonumfang noch um eine Quinte nach unten erweitert würde. Dass das allerdings auf einer Geige noch gut klingen soll, kann ich mir kaum vorstellen. Dem Verkäufer ist es anscheinend egal, was der Kunde damit macht.
    MfG
    Rainer

  • Wir schweifen wirklich vom Thema ab, aber ich finde das sehr interessant. Von 6-saitigen Geigen habe ich schon vorher gehört, die sind auch in Quinten gestimmt und haben noch eine tiefe F-Saite. Es gibt sogar 7-saitige Geigen mit ganz tiefer B-Saite. Wie die klingen, weiß ich nicht, aber ich kann mir vorstellen, das sie durch den breiten Hals für die linke Hand sehr anstrengend sind, und dass man es kaum schafft, mit dem Bogen nur 1 Saite zu streichen und nicht 2 oder 3. Sind also eher für Folk-Musik und ähnliches mit Doppelgriffen geeignet.
    Es gibt in Köln eine Band namens Superstrings, die spielen außer den gängigen Streichinstrumenten eine fünfsaitige Viola (c-g-d'-a'-e'') und eine Oktav-Violine (G-d-a-e'), also eine um eine Oktave tiefer gestimmte Geige (quasi ein Diskant-Cello). Schaut und hört es euch mal an:
    http://www.superstrings.eu/index.htm
    Da wird auch vom Umbau dieser Instrumente durch den Geigenbauer berichtet.
    V. a. im E-Geigen-Bereich sind solche Instrumente im Kommen, habe ich das Gefühl.
    Diese Ideen sind aber alle nicht neu, im Mittelalter gab es Fiedeln und Gamben in allen Größen und Formen, mit 3, 4, 5, 6 oder 7 Saiten in den verschiedensten Stimmungen und Größen, mit und ohne Bünde. Sie wurden alle mit einem Bogen gestrichen, waren also keine Gitarren oder Lauten. Erst später haben sich dann die 4 klassischen Streichinstrumente daraus entwickelt, wie wir sie heute kennen. Violine, Viola und Violoncello sind aus der Armgeige hervorgegangen, der Kontrabass aus der Beingeige oder Gambe. Den gibt es auch heute noch gelegentlich mit 5 Saiten.