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  • Dieser Trend zu immer lauteren Instrumenten stört mich auch. Die Geige meiner Freundin ist auch solch ein Exemplar, ein sehr schönes Instrument von R. H., jedoch unglaublich laut. Das führt bei Kammermusik dazu, dass Zuhörer oft zu nahe sitzen oder andere Spieler, die etwas ältere Instrumente haben es schwer haben mit der Lautstärke mitzuhalten.
    In meinem Quartett muss ich auch immer wieder "arbeiten" um gut durchzukommen. Natürlich ist mein Instrument auch nicht das lauteste, aber ich finde, solange ich kein Solist bei einem Violinkonzert bin muss meine Geige auch nicht allzu durchdringend sein, eine Trompete darf lauter als ich sein. Ich finde einen schönen Klang viel wichtiger. Natürlich muss dieser Klang einen mittelgroßen Raum füllen können und auch auf größere Distanzen noch gut klingen. Der Grenzfall, eine originale Barockgeige, die auch als solche eingerichtet ist, hat oft nicht die Tragkraft die modernen Konzertsäle benötigen.
    Ich habe einen Hörschaden am linken Ohr, ich höre dort nur noch 40% von meinem rechten Ohr und ich sehe durchaus einen Zusammenhang mit meiner Geige, da dieser Hörschaden nicht angboren ist. Nach dem Geigenspielen, wenn ich bewusst laut gespielt habe, habe ich oft einen Tinitus auf linken Ohr, der zum Glück aber meistens recht schnell wieder verfliegt.
    Ich habe selbst eine Zeit versucht, immer lauter zu werden. Ich habe meiner Geige Evah Pirazzi Saiten aufgezogen und mein Spiel im Schnitt näher an den Steg gebracht. Bei einem kleinen Kammerkonzert ist meine Geige sehr herausgestochen, sodass ich leiser spielen musste. Dort habe ich dann bemerkt, dass der Klang meiner Geige davor eigentlich schöner war und der Gesamtklang nicht darunter gelitten hat, dass die anderen Spieler leisere Geigen haben. Das waren alles gute Spieler, ich spreche also nicht von dem typischen Anfängerklang, der auch sehr leise ist.
    Ich habe oft das Gefühl, dass der Trend noch einmal einen großen Schub durch die neuen Saitengenerationen bekommen hat. Evah Pirazzi ist ein vertreter davon.


    Eine Geige, an der Pilze fressen ist natürlich traurig, wobei ich vermute, dass man das noch in den Griff bekommen könnte. Ob eine Geige wirklich nahezu identisch zu einer Stradivari sein muss, ich weiß es nicht. Gerade R. H. hat auch viel an Geigen geändert und geforscht und dabei kamen eine Reihe sehr schöner Instrumente heraus und Geigen, die sehr charakteristisch sind, aber keine Stradivarikopien.


    Die neuen Saiten haben vielleicht Potential, auch wenn dort sicher auch noch einige Entwicklungsarbeit notwendig ist, bevor sie wirklich käuflich sein werden, falls es dazu kommen sollte.


    Viele Grüße


    Edit: Jetzt habe ich vergessen mich für das Einstellen des Artikels zu bedanken. Vielen Dank dafür. Es ist interessant und schön auch einmal kritische Stimmen zu diesem Thema zu hören.

  • Ich frinde, dass gerade die Individualität eine gute Geige ausmacht, das gehört zum Geigenspiel dazu. Es ist ja auch so, dass bekannte Musikanten meist ihre eigene Note den Stücken beifügen.
    Es ist aber irgendwo logisch, dass die Wissenschaft mit ihren Arbeiten das Musikbuisiness beeinflussen. Viele kaufen die billigen China-Immitate anstatt einer anständigen Geige bei einem guten Geigenbauer. So ist die heutige Zeit: alles muss möglich günstig sein. Da nehmen viele schon einen Mehrfachkauf ohne weiteres nachdenken hin. Die Sache ist einfach, dass dadurch Geigenbauer weiter in den Hintergrund geraten - im Vergleich zur Fabrik kann man finanziell einfach nicht mithalten. Auf kurz oder lang würden folglich handgefertigte Instrumente einen höheren Wert bekommen und maschinell gefertigte Instrumente würden den Markt fluten. Warscheinlich würde auf Dauer auch die Qualität der maschinell gefertigten darunter leiden...


    Die Spinnensaiten halte ich allerding für intressant. Aber das wird warscheinlich auch erst in ein paar Jahren ein ernsteres Thema.

  • Ich bin der Meinung, dass der Markt bereits geflutet ist, man muss nur bei Ebay nach den Angeboten schauen. Ich sehe aber auch etwas Gutes darin. Ich kenne viele, die sich kein teures Instrument leisten können. Nicht jeder kann einen fünfstelligen Betrag für sein Instrument bezahlen. Es ist schön, dass es auch für diese Leute ordentliche Instrumente gibt.


    Die Individualität eines Instrumentes ist natürlich ein wichtiger Punkt, auch muss die Geige die Individualität des Spielers zeigen können.


    Für mich ist es besonders im Orchester wichtig. Einmal musste ich mir eine fremde Geige leihen, da direkt vor dem Konzert meine Einhängesaite riss. Ich habe starke Probleme gehabt zu erkennen, wer ich bin, ohne mich auf Grund der Spielweise klar zu distanzieren.


    Es gibt unglaublich viele, billige Industriegeigen. Ich selbst besitze eine solche Bratsche, die ihren Namen kaum verdient hat. Andererseits habe ich bis vor kurzem auf einer böhmischen Fabrikgeige gespielt, deren Klang mir alles bot was ich benötigte. Ich habe, als ich beschloss, mir ein neues Instrument zu kaufen, mit Erstaunen festgestellt, dass sie klanglich mit Geigen der höheren Preisklassen gut mitkommt.
    Ein Geigenbauer muss aber für meinen Geschmack nicht mit Chinageigen mithalten wollen. Es handelt sich um ein komplett anderes Klientel. Wenn er eine Geige mit 80 Arbeitsstunden baut, ist diese ein eher schlechtes Instrument, kostet aber trotzdem etwa 4000€. Ich habe keine Statistiken zu diesem Thema, mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass nicht weniger Arbeit für Geigenbauer als noch vor 50 Jahren gibt. Ein semiprofessioneller oder gar professioneller Geiger wird in den meisten Fällen trotzdem zum Geigenbauer gehen und dort ein teures Instrument erwerben. Auch früher hat man als Schüler keine Meistergeige gespielt. Schaue ich bei mir ins private Umfeld, in dem sich hauptsächlich Hobbymusiker befinden, fallen mir viele sehr gute Instrumente ein, darunter auch wirklich namenhafte Erbauer bis hin zu einer "echten" Stainer, aber auch billige Geigen. Die mit den billigeren Geigen spielen diese aber nicht aus Geiz sondern weil sie sich ein anderes Instrument nicht leisten können. Ohne billigere Geigen könnten sie gar nicht spielen.Das ist kein Geld, das dem Geigenbauer entgeht. Es ist in gewisser Weise auch ein Luxus, ein Meisterinstrument zu spielen, ohne damit den Lebensunterhalt zu bestreiten, den man sich leisten können muss. Wer es sich aber leisten kann und das Geigenspiel halbwegs ernsthaft betreibt kauft sich über kurz oder lang ein gutes Instrument und geht dazu entweder zu einem Geigenbauer oder lässt dieses zumindest dort warten.
    Der Mehrfachkauf von Instrumenten, ohne dabei eine wirkliche Steigerung zu erzielen liegt in der Unvernunft der Konsumgesellschaft vergraben und ist sicher nicht rational zu verteidigen. Aber auch drei Chinageigen sind wesentlich billiger als eine teure Geige.


    Viele Grüße

  • Ich reagiere mittlerweile etwas genervt, wenn jemand Sachen sagt wie: "Stradivari ist das Klangideal, an dem sich jede Geige messen muss."
    Je nachdem, in was für einem Rahmen man eine Geige einsetzt, hat man andere Anforderungen. Stradivaris sind super, wenn man als Solist gegen ein ganzes Orchester durchsetzen oder ohne künstliche Verstärkung eine größere Halle füllen muss. Aber für jemanden, der aus Spaß an der Sache, nur für sich im eigenen Wohnzimmer spielt? Dafür ist der Klang hoffnungslos überdimensioniert.
    Ich bin niemand, der oft Geigen kauft. Dafür bin ich nicht reich genug. Meine bayrische Schülergeige wird es wohl bis zu meinem Lebensende tun müssen. Aber in Sachen Zubehör und Saiten fällt mir doch auf, der Spitzenkonzertbetrieb als Maßstab für den Breitenkonsum herhält. Das ist nicht nur bei Geigen so, sondern auch in anderen Bereichen. Wozu braucht man "renn- oder ralleygeprüfte Reifentechnologie", wenn man überwiegend in Innenstädten unterwegs ist? Wozu braucht man Taucheruhren, die viele hundert Meter unter der Wasseroberfläche noch funktionieren, wenn man gar keinen Tauchschein hat? Wozu braucht man Funktionskleidung, mit der man an Arktisexpeditionen teilnehmen kann, wenn dort, wo man wohnt, schon Temperaturen unter -10°C ein Kälterekord sind?
    Der Mechanismus, der Menschen diese Sachen kaufen lässt, greift auch, wenn einem in einem Verkaufsgespräch erklärt wird, dass die begabte, erfolgreiche und schöne Hillary Hahn Dominant-Saiten benutzt. Dann werden diese Saiten wohl oft nicht gekauft, weil sie auf dem Instrument des Käufers gut klingen, sondern der Käufer glaubt, für nur 39,90€ würde ein Stück vom Glanz der Stargeigerin auf ihn abfallen.
    Gut, das kann einem egal sein; aber wenn man erklärt, keine Auftrittsambitionen zu haben und somit nicht die Royal Alber Hall füllen zu wollen, sondern ein weniger als 20m² großes Wohnzimmer, erntet man - zumindest da wo ich Saiten persönlich kaufen kann - verständnis- und ratlose Blicke. Aber auch die Hersteller betonen gerne, ihre Saiten würden "höchste Brillianz und Strahlkraft" erreichen. Mit "Wohnzimmertauglickheit" wirbt keiner. Dabei wird - zumindest meiner Einschätzung nach - doch genau da das Massengeschäft gemacht. Aber nein, man muss teure, konzerttaugliche Saiten kaufen und sie dann mit einem Dämpfer (den man natürlich auch irgendwann mal kaufen muss) auf Wohnzimmerlautstärke bringen.


    Jetzt habe ich mich aber genug echauffiert, darum:


    Viele Grüße

  • Lieber MrAranton, du sprichst mir aus der Seele!


    Allerdings habe ich mich selbst auch schon oft genug dabei ertappt, genau aus solchen Gründen Dinge zu kaufen, weil irgend ein Vorbild diese auch hat, nur für meine bescheidenen Zwecke war es dann weniger tauglich... Ich muss mir das bei jedem Kauf (egal ob Instrument, Saiten, Bogen oder sonstiges) bewusst machen, dass ich KEIN Profi bin und kein Soloinstrument spiele, sondern meist "NUR" in der Masse eines Orchesters mithalten muss - nur ab und zu Kammermusik im Wohnzimmer oder einer kleinen Kirche. Und da ist ein schöner, angenehmer Klang wichtiger als die Lautstärke. Ja, gerade eine Stradivari wäre für meine Zwecke nicht nur überdimensioniert, sondern geradezu untauglich, denn man will seine Mitspieler ja nicht übertönen.


    Viele Grüße

  • Das ist etwas zweischneidig. Da der Rest leider auch dieses Material spielt muss ich eben doch auch etwas lauteres spielen können, damit ich in der Masse dieser Leute mitspielen kann. Letztes Wochenende habe ich ein Konzert des Voglerquartetts genossen, deren Instrumente wirklich sehr kräftig sind. Das Cello war etwas weniger laut und kam dann eben nicht mehr sonderlich gut durch, obwohl das Instrument in einem Anderen Ensemble sicher ausreichend laut gewesen wäre.
    Generell teures und hochwertiges Material zu spielen widerspricht dem Laiendasein meiner Meinung nach nicht. Ein Profi muss sich immer überlegen, ob sich sein "Handwerkszeug" lohnt, er muss also Mehrgewinn und Kaufpreis gegeneinander abwegen. Ein Laie kauft sich ein gutes Instrument aus reinem Luxus, wie teuer dieser ist liegt lediglich darin beschränkt was sich derjenige leisten will und kann. Jemanden zu verurteilen, weil er "sich etwas gönnt" und ein teures Instrument kauft halte ich für falsch. Jedes Mal wenn ich meine Geige spiele, erfreue ich mich an deren Klang und dieser Mehrgewinn an Freude ist es mir auch wert gewesen, mein Instrument zu kaufen.
    Kaufe ich etwas, dass weniger geschickt und gut für meinen Verwendungszweck ist, stimme ich vollkommen zu. Das macht keinen Sinn.


    Viele Grüße

  • Klar, in erster Linie müssen die Spieler und natürlich auch die instrumente eines Ensembles zusammenpassen. Natürlich wird hier auch niemand verurteilt, weil er sich etwas gönnt (ich gönne mir so manches selbst, mein Partner schüttelt nur noch den Kopf, wieviel Geld ich ausgebe... ;)). Aber ich stelle immer wieder fest, dass teurer nicht automatisch besser ist, und lauter ist eben auch nicht immer gut (nur manchmal).

  • Es ging mir nicht daraum, Leuten, die "was gönnen wollen" irgendwelche Vorwürfe zu machen. Mir geht es darum, dass der Konzertbetrieb und der "große Solist" zu einem mehr oder weniger allgemeingültigen Maßstab erhoben werden, ohne daran zu denken, dass ja nicht jeder Solist oder Profimusiker ist und daher objektiv andere Anforderungen ans Material hat.
    Vielleicht liegt es daran, dass ich in der Provinz wohne, wo ein Musikgeschäft im Umkreis von sechzig Kilometern keine Konkurrenz hat. Als ich da einem Verkäufer zu verstehen gegeben habe, dass ich keine fündundsiebzig Euro für Eudoxas ausgeben möchte, kam der mir mit: "Wenn Sie nicht wollen, dass ihre Geige gut klingt, kann ich ihnen auch was *billiges* verkaufen." Gut, er konnte nicht, weil ich in dem Augenblick beschlossen habe, Saiten künftig im Internet zu bestellen und den Laden ohne weiteres Wort verlassen habe.
    Dieser Snobismus von wegen ist mir da nicht das erste Mal begegnet. Meine Geigenlehrer waren ähnlich drauf und haben auf teuren Saiten und teurem Kolophonium bestanden. Manchmal hört man auch Sprüche wie: "Ich spiele diese sündhaft teuren Saiten, weil mein Können auf dem billigen Kram nicht zur Geltung kommt." Ich denke, in vielen Fällen ist das Selbstbetrug, der durch das teure Material unterstützt wird. Wenn man Anne-Sophie Mutter eine 150€ Böhmenfiedel mit Billigsaiten in die Hand drückt, wird sie - vorausgesetzt, das Instrument ist technisch in Ordnung - damit immer noch schönere Musik machen als Amateure, die meinen, nur mit Saiten spielen zu können, die auch von Profis verwendet werden.
    Ich bin für eine Demokratisierung von Musik und finde: Dieser Snobismus muss doch wirklich nicht sein. Zumal diese Haltung sich auf das Angebot auswirkt. Bei Gitarrenspielern scheint dieser Snobismus nicht so weit verbreitet zu sein. Die Folge: Wenn ein Gitarrenspieler einen Satz (also insgesamt sechs!) neue Saiten braucht, muss er dafür oft weniger bezahlen als unsereins für eine einzige (!) Saite. Das kann nicht allein daran liegen, dass die Herstellung von Geigensaiten aufwändiger wäre. Zumal ich auch daran zumindest mal Zweifeln anmelden möchte; Gitarrensaiten sind länger, brauchen mehr Material und die Fehlertoleranzen sind auch nicht kleiner als bei Geigensaiten.


    Mein Aufruf lautet nicht: "Kauft kein teures Material" er lautet: "Orientiert Euch bei der Wahl Eures Materials an euren tatsächlichen, persönlichen Bedürfnissen und nicht an jenen irgendwelcher Stars, die ganz andere Anforderungen haben."