Zigeunergeige

  • Dies ist eine Geige, die mein Vater ca. 1960 von einem fahrenden Händler im süddeutschen Raum (Ba-Wü) für 300DM erworben hat. Herkunft daher komplett unbekannt.
    Auf dem Zettel steht:


    -atteo Goffriller (oder Ghafriller) fecit
    Venetijis anno ??26


    Leider kann ich den Zettel nicht fotografieren, aber da ich nicht davon ausgehe, dass er echt ist ;), ist es wahrscheinlich nicht so wichtig.


    Zwei Dinge sind mir schon immer an der Geige aufgefallen:


    Von der Mensur (13/19,5) her eindeutig eine moderne 4/4 Geige, ist sie dennoch eher zierlich gebaut, die Zarge niedrig, der Hals extrem schmal (19mm am Obersattel), die Schnecke klein.


    Der Halswinkel ist relativ flach, was wohl auch der Grund ist, dass die Geige relativ leise ist. Der Klangcharakter ist aber sehr angenehm, weich und süß.


    Kann mir irgendjemand etwas über die (wahrscheinliche) Herkunft und den Wert sagen? Vielen Dank im Voraus


    Um etwaigen Angeboten gleich vorzubeugen: Die Geige ist NICHT verkäuflich.

  • Hallo, kann mir denn gar niemand etwas zu dieser Geige sagen? Wo könnte sie herkommen? Ist es wieder mal so eine Böhmenfiedel? Liegt der Wert eher bei 100 oder eher bei 1000 Euro? (Darüber wage ich ja gar nicht zu hoffen) Lohnt es sich, etwas hineinzuinvestieren? Bessere (neue, teurere) Saiten, Steg...?
    Bitte, ich würde mich wirklich über jede noch so grobe Einschätzung freuen.


    Liebe Grüße

  • Mit einer Schätzung des Wertes kann ich nicht dienen.
    Der Name dürfte Matteo Goffrille sein. Der Wikipediaartikel weiß sicher mehr als ich: http://de.wikipedia.org/wiki/Matteo_Goffriller


    Ob es sich lohnt, in diese Geige zu investieren? Wenn Ihnen der Klang gefällt spricht eigentlich nichts dagegen. Der Flache Halswinkel sorgt in Verbindung mit dem daraus resultierenden flachen Steg für einen eher ruhigen, nicht allzu kernigen Klang. (Edit: Oh, ich sehe gerade, das haben Sie bereits geschrieben)
    Die Saiten die aufgezogen sind, sind Darmkernsaiten namens Eudoxa. Ich vermute, dass diese schon etwas alt sein dürften. Meiner Erfahrung nach kommen Eudoxas klanglich solchen Instrumenten zu Gute, sind aber alles Andere als stimmstabil. Lauter wird so eine Geige sicher mit Evah Pirazzi Saiten, aber vielleicht auch etwas "giftig", wäre aber vieleicht einen Versuch wert. Die Evahs haben bei mir aber nie länger als 4 -6 Monate gehalten, bevor sie katastrophal wurden.
    Den dünnen Hals muss man mögen, nicht jeder kommt damit klar.
    Ein Geigenbauer kann sicher mehr dazu sagen, vor allem was sich lohnt an diesem Instrument zu machen. Eigentlich sieht es, bis auf die wohl alten Saiten, nach einem guten Zustand aus. Gehen die Wirbel gut? Der Steg scheint doch eigentlich noch in Ordnung zu sein? Die leichte Biegung, die ich auf dem zweiten Bild erahnen kann, es könnte sich aber auch um einen perspektivieschen Effekt handeln, ist mit etwas Feuchtigkeit und einem Cerankochfeld gut zu beheben, Holz ist ein Thermoplast.
    Wie sieht das Griffbrett aus, hat es Mulden im Bereich der Töne? Steht der Stimmstock an der richtigen Position? Dem Korpus nach zu urteilen steht der Steg ein bisschen zu nah am Saitenhalter, das kann aber auf Grund der Mensur trotzdem sinnvoll sein.


    Viele Grüße

  • Vielen Dank schonmal für die Antwort. Gofriller ist mir schon ein Begriff, aber da müsste ich (bzw. mein Vater) schon unverschämtes Glück haben, denn der war ein Schüler von Stradivari... dann müsste die Geige 1726 gebaut sein, und so alt sieht sie mir eigentlich nicht aus. Ich gehe davon aus, dass der Zettel gefälscht ist. Aber wer baute solche Geigen mit flachem Halswinkel noch NACH der Barockzeit?


    Die Geige ist eigentlich gut in Schuss bis auf die Saiten. Sie wurde die letzten 20 Jahre praktisch nicht mehr gespielt, mein Vater will sie trotzdem nicht hergeben. Meine Überlegung ist einfach die, ob ich sie ihm abschwatzen soll, denn ich habe gar keine Geige. ;)

  • Ich gehe auch nicht davon aus, dass sie "echt" ist.
    Gerade in Böhmen wurden Geigen manchmal aus mir persönlich unbekannten Gründen mit einem eher flachen Hals ausgestattet. Eine andere Möglichkeit liegt in der Zigeunermusik. Instrumente, die wirklich für diese Musikrichtung gebaut wurden, haben oft eine flache Saitenlage. Selbiges gilt übrigens auch für Irische Fiddelmusik. Sie sind so einfacher zu spielen und passen klanglich in ihr Umfeld.

  • Zitat

    Original von j_g_Gütter
    Gerade in Böhmen wurden Geigen manchmal aus mir persönlich unbekannten Gründen mit einem eher flachen Hals ausgestattet. Eine andere Möglichkeit liegt in der Zigeunermusik.


    Dann ist es also tatsächlich eine "Zigeunergeige?" Dafür spricht, dass mein Vater sie damals ja auch einem Zigeuner (sorry, wenn das jetzt nicht politischkorrekt ist, ist aber nicht irgendwie rassistisch gemeint) abgekauft hat.
    Kann mir noch jemand etwas zu dem guten Stück sagen bzgl. Herkunft und Wert? Rainer vielleicht oder Braaatsch oder yxyxyx? Dafür wäre ich echt dankbar! LG

  • Ich hatte mal das außerordentliche Vergnügen ein echtes Gofriller-Cello eines Solisten anspielen zu dürfen. Da bestand in der Gestaltung nicht die geringste Ähnlichkeit. Allenfalls ist es wohl die Nachempfindung eines als Vorbild gewählten Modells bzw. nur dessen Maße..


    Nach dem Äußeren würde ich die Geige nur auf gut 100 Jahre schätzen.
    Für eine einfache "Zigeunergeige" ist sie m. E. schon zu gut. Manche Zigeuner haben eben einfach nur mit Instrumenten gehandelt.


    Von der Farbgebung und Art der Lackierung würde ich - wie so häufig - wieder auf Böhmen bzw. Tschechien (z. B. Prag) tippen.


    Den Wert einer derartigen, letztlich "anonymen" Geige würde ich - je nach Klang - auf ca. 1.000 Euro beziffern, wobei bei einem Ebay-Verkauf voraussichtlich nicht einmal die Hälfte herauskäme.


    Eine genauere Wertangabe kann man für so ein Instrument m. E. nur durch "vor Ort Begutachtung" von einem erfahrenen Geigenbauer oder durch Vergleich mit anderen Instrumenten mit bekanntem Wert bekommen.


    MfG
    Rainer

  • sie erinnert mich in vielem an diese rumänischen Geigen allerdings hierbei mal aus besserem Material und Fertigung.
    Aber das will ich jetzt wirklich nicht an die große Glocke hängen. Die müßte man wirklich in natura begutachten.

  • Vielen Dank für eure Einschätzungen! Das ist ja hochspannend. Eine Geschichte über diese Geige möchte ich noch erzählen:
    Als ich diese Geige als Jugendliche eine Zeitlang selbst im Geigenunterricht spielte (meiner Geigenlehrerin, einer temperamentvollen Ungarin, hat sie übrigens gut gefallen), ließ ich mal bei einem Geigenbauer das Griffbrett abziehen. Ohne dass ich ihn weiteres gefragt habe, empfahl er mir, den Hals auszubauen und steiler wieder einzusetzen. Mein Vater war entsetzt und strikt dagegen. Da ich dann auf die Bratsche umgestiegen bin, hat es mich damals nicht weiter gekümmert. Mich treibt aber die Frage um, ob das sinnvoll sein könnte. Wenn der Geigenbauer so einen Umbau empfahl, muss er doch wohl der Meinung gewesen sein, dass sie auch was wert ist, oder? Andererseits, sollte man überhaupt das Risiko eingehen, die Decke dem erhöhten Druck durch den Steg auszusetzen?

  • Ich sehe keine abnorm niedrige Steghöhe, was sich life natürlich leichter beurteilen ließe.
    M. E. wäre der Aufwand einer "Halksorrektur" jedenfalls schon sehr hoch und die Aussicht auf eine dadurch erzielbare wesentliche Verbesserung des Klanges eher gering. Ich würde so einen Umbau nur dann in Betracht ziehen, wenn die Geige aufgrund ihrer Geometrie schwer spielbar wäre, und sie zudem wertvoll genug ist, dass sich das auch wirtschaftlich rentiert.
    MfG
    Rainer