Beiträge von lh-fiddle

    Es gibt nicht nur Linkshänder-Blockflöten, es gibt für fast jeden Bedarf professionelle Linkshänder-Instrumente. Hier gibt es ausführliche Beschreibungen, Erläuterungen und Hintergründe:

    Linkshänder-Initiative


    Und diese werden zunehmend auch von immer mehr ernstzunehmenden Berufsmusiker*innen gespielt:

    Linkshändig spielende Musiker:innen | Linksgespielt


    Ich habe in den vielen Jahren, in denen ich mich mit diesem Thema schon beschäftige, eine sehr kuriose Entdeckung gemacht:

    Es sind immer wieder ausgerechnet umerzogene oder umgeschulte Linkshänder, die mit der größten Abwehr reagieren, die sich erst einmal vehement wehren, bevor sie den Gedanken zulassen können, dass es ihnen womöglich anders ergangen wäre, wenn man ihnen (oder sie sich selbst) erlaubt hätte(n), linkshändig zu spielen.

    Das ist ja unter Umständen auch mit viel Schmerz verbunden.


    Und nein, ich halte es für Haarspalterei, aufwändig zu erklären, ob die "Lateralitäten" bei einem Linkshänder sehr ausgeprägt, ganz normal oder was auch immer sind.

    Hat das jemals einer bei einem Rechtshänder gemacht?

    Würde man davon ausgehen, dass die in Linkshänderliteratur geschätzten Zahlen richtig sind, hätten wir also bis zu 50% LH unter uns und ebensoviele RH. In beiden Gruppen gibt es augeprägtere und nicht ausgeprägtere Lateralitäten. So what?


    Aber es sind bis heute die Linkshänder, die sich im Zweifelsfalle kleiner machen, als sie sind. Darin haben sie seit Generationen Erfahrung, bis zur Selbstverleugnung .


    Dafür gibt es keinen Grund ;)

    Super, genau so sehe ich das auch.


    Auf dass es ganz normal sein wird, dass auch Linkshänder*innen auf für sie "normalen" ;) (nämlich linkshändigen) Instrumenten spielen können und ganz normal auch in Orchestern ihren Platz finden :thumbup:

    Klar stehen alle, unabhängig von der Händigkeit, vor Schwierigkeiten aller Art.


    Aber dass die Linkshänder benachteiligt sind, lässt sich bei aller Toleranz wirklich nicht ausblenden: Kuck dir doch mal allein den Instrumentenmarkt an. Wie dünn das Angebot für LH immer noch gesät ist. Wann hat ein LH schon mal die Möglichkeit, ausgiebig - erst recht höherwertige - Instrumente zu vergleichen?

    Der Markt ist unverändert sehr ungleichgewichtig für Rechtshänder gemacht. Das lässt sich nicht schönreden. Und das wird sich nur ändern, wenn immer mehr LH ganz selbstbewusst ihrer Händigkeit gemäß spielen.


    "Dass gerade im Bereich Musik die Linkshändigkeit beim Lernen auch Vorteile haben kann":

    Damit meinst du, wenn ich dich richtig verstehe, das rechtshändige Lernen auf rechtshändigen Instrumenten. In meinen Augen ist das kein wirklicher Vorteil.

    Was hift es, wenn die dominante Hand auf dem Griffbrett gut unterwegs ist, die nicht dominante Hand dafür aber den Part übernehmen muss, für den die andere viel besser geeignet wäre? "Im Theater oder Film würde man hier von einer klassischen Fehlbesetzung sprechen" (O-Ton einer weiteren LH-Fachfrau zu diesem Themenkomplex).


    Nichts für ungut. Alles Gute für dich.

    Hallo Braatsch, alles gut. Ja, ein Forum führt sicherlich leichter mal zu Missverständnissen als ein Austausch in der wirklichen Welt, aber deine Rückmeldungen kamen nicht "falsch rüber".

    Wir dürfen ja trotzdem hier und da unterschiedlicher Meinung sein ;)


    Mir sind verschiedene Händigkeitstests ebenfalls geläufig, die gründliche Sattler-Untersuchung soll da durchaus noch aussagekräftiger sein als der EHI.


    Meine Erfahrung beim Ergreifen und Ausprobieren von Instrumenten durch Anfänger*innen ist eine andere, als du sie beschreibst: Der Bogen wurde ohne zu überlegen mit der Führungshand ergriffen, das Instrument mit der anderen. Beim Luftgitarrespielen ein ähnliches Bild: die Kinder spielen ohne zu überlegen so, dass die dominante Hand die Schlaghand ist.

    Bei der Djembe: übernimmt automatisch die dominante Hand die Führung: bei LHs die linke, bei RHs die rechte, und so fort.


    Zum Knoten im Gehirn: Die von dir beschrieben Überlastung gilt in der Linkshänderforschung als stehende Redewendung zur Umschreibung der Folgen einer Umschulung. Es gibt ein Buch von J.B.Sattler, das dies sogar im Titel trägt: "Der umgeschulte Linkshänder oder Der Knoten im Gehirn". Als Erklärung im Buchtext: "Die Umstellung der angeborenen Händigkeit ist einer der massivsten Eingriffe in das menschliche Gehirn: Durch den Gebrauch der nicht dominanten Hand, besonders zum Schreiben, kommt es im Gehirn oft zu schwersten Störungen und Irritationen, die den Menschen individuell meist sehr belasten und Auswirkungen für sein ganzes Leben haben können."

    Abbildungen von Aktivierungsmustern im Gehirn zeigen, dass beim RH Teile der linken Gehirnhälfte aktiv sind, beim RH Teile der rechten. Beim umgeschulten LH wird sowohl die rechte Gehirnhälfte aktiv als, mit Umweg, auch die linke. (Dieser Umweg soll unser Gehirn rund 30% mehr Energie kosten.)

    Spannendes Thema, finde ich.

    Vielen Dank für all die Rückmeldungen. Das ist eine sehr anregende Diskussion.


    Zu deinen letzten Worten, Braaatsch:

    Ja, es gibt vielerlei unterschiedliche Hürden auf Lern- und Lebenswegen von Menschen. Und die Welt ist bei weitem nicht immer fair, gerecht oder nett.


    Linkshändigkeit ist keine Behinderung, richtig. Genausowenig wie Rechtshändigkeit eine Behinderung ist.

    Aber dem linkshändigen Agieren und Musizieren den gleichen Raum zu verschaffen wie dem rechtshändigen Agieren und Musizieren, gleichberechtigt und gleichwertig, dahin denke ich ist es noch ein weiter Weg.

    Und ich denke, es ist auf jeden Fall nicht der richtige Weg, von linkshändigen Menschen zu erwarten, sich den Erwartungen einer vermeintlich rechtshändig dominierten Musikerwelt unterordnen zu müssen. Die, wie sich immer wieder zeigt, eigentlich viel kleiner ist als angenommen und voll von linkshändigen Musiker*innen, die sich den vermeintlichen Notwendigkeiten des rechtshändigen Musizierens immer brav gefügt haben.

    Natürlich haben alle, RH wie LH, mit Herausforderungen zu kämpfen. Aber sie lassen sich nicht spiegeln. Die Führungshand, die Bogenhand, die dominante Hand, die ist mit ganz anderen Bereichen im Gehirn verdrahtet. Wenn die nicht dominante Hand den Bogen führt, wird dieses nicht einfach geswitcht, egal, wie sehr ich die nicht dominante Hand trainiere. Barbara Sattler spricht von "Knoten im Gehirn" und Walter Mengler findet auch sehr feinfühlige kluge Umschreibungen für das, was da stattfindet, wenn die nicht dominante Hand die Tätigkeit der dominanten Hand übernimmt und umgekehrt.


    Was ich beschrieben habe mit den Kindern in der Schule, zeigte mir übrigens weniger ein Spektrum von Lateralisierungen, sondern vor allem, wie viele LH nach wie vor unbemerkt durch die Maschen rutschen. Mit unnötigen Schwierigkeiten und Hürden für die schulische Entwicklung, die die Umstellung der Schreibhand, bewusst oder unbewusst, nach wie vor mit sich bringt.


    Hey Fiddler, bist du dir wirklich ganz sicher, dass deine Kinder tatsächlich Rechtshänder sind? ;)

    Ich kenne kleinere Ensembles, bei denen das gut funktioniert. Nach meinem Eindruck ist das eine Entwicklung, die langsam Fahrt aufnimmt. Ich stöbere gerne auch noch einmal nach der schwedischen Quelle, die ich erwähnte. Ist schon eine Weile her.


    Ich glaube auch, dass wir immer noch unterschätzen, wie viele Lefties es tatsächlich unter uns gibt. In der weiter oben zitierten Literatur gibt es Schätzungen von bis zu 50 %.


    Einige persönliche Eindrücke aus meinem Umfeld:


    - Von vier Geigenbauer*innen, mit denen ich in den vergangenen Jahren Kontakt hatte, sind 3 linkshändig, eine rechtshändig.


    - In einer 13köpfigen Musikgruppe, mit der ich spiele, gibt es 5 Linkshänderinnen.


    - In der Schule habe ich vor einiger Zeit mal eine Gruppe Neuntklässler, aus gegebenem Anlass, selbst probieren lassen, wie es so um ihre Händigkeit bestellt ist: In der 10köpfigen Gruppe gab es eigentlich nur einen offiziellen Linkshänder, der auch li schrieb.

    Nach einem Vormittag Erzählen, Ausprobieren, Testen, Selbstbeobachtung ergab sich folgendes Bild:

    - ein (bekannter LH, der auch li schrieb

    - eine LH, die als Kind nach einer Verletzung sich das Schreiben mit re angewöhnt hatte (sehr schönes Schriftbild), dabei geblieben war und nie auf die Idee gekommen wäre, dass das Wechseln der Schreibhand und etwaige Schulprobleme miteinander zu tun haben könnten
    - ein LH, der noch erinnerte, dass er sich in der Kita das Malen/Schreiben mit re angewöhnt hatte, das ebenfalls iwie verschüttet hatte
    - zwei vermutete LH (links klatschend, links blätternd, Auge links dominant, spontan Spiegelschrift schreibend/lesend ohne größere Probleme, Handfeger und Schaufel wie ein LH nutzend, nachmittags zu Hause weitere Aha-Erlebnisse bei der Beobachtung alltäglicher Verrichtungen...)

    Am nächsten Tag waren wir selbst ganz platt, dass sich ein (vermutetes) Ergebnis von 5:5 auftat...

    Schon spannend, das alles.


    Auf die Musik übertragen: Ich fände es sehr spannend, wenn sich herausfinden ließe, wie viele von den KIndern, die ihre Geige nach einigen Jahren Unterricht frustriert ad acta gelegt haben, dies getan haben, weil sie nicht ihrer Händigkeit gemäß musizieren konnten. (Es womöglich nicht einmal wussten.)


    Und egal ob sensibles Schneeflöckchen oder rustikale Eiche: Lange nicht jedem Kind ist es gegeben, einfach mal eben wechseln zu können (Schule wechseln?)

    Und so mancher findet eben auch erst nach Jahren heraus, um wie vieles schöner und bereichernder das Musizieren hätte sein können, wenn es händigkeitsgemäß stattgefunden hätte.

    ;) So einfach?

    Ich fürchte, so weit, dass jeder Interessierte das frei und individuell entscheiden kann, sind wir noch lange nicht.

    Ja, es gibt erfreulicherweise inzwischen mehr und mehr Musikunterrichtende, die offen im Sinne der Kinder/Schüler*innen links- und rechtshändiges Spielen gleichermaßen unterstützen.

    In meiner Umgebung nehme ich aber auch immer wieder noch wahr, dass Eltern, die ihr Kind eigentlich in Ruhe auswählen lassen möchten und händigkeitsgemäßes Musizieren bestmöglich unterstützen möchten, mit dieser nicht auszurottenden Orchesterdisziplindiskussion konfrontiert werden. Und sich immer noch einschüchtern lassen, etwa, wenn es um Teilnahme an Streicherklassen oder Schulorchester geht und das musische Personal nicht im Sinne des Kindes sondern im Sinne überkommener Orchesterdisziplin entscheiden möchte.

    Da braucht es nach wie vor viel Beharrlichkeit und Stehvermögen.


    Utopie (?): Plötzlich sind wir dann ganz erstaunt, wie viele linkshändige Menschen es tatsächlich unter uns gibt, die längst linkshändig musiziert hätten, wenn man sie gelassen hätte. Und es wird ganz selbstverständlich sein, dass die Lefties im Orchester auf der einen Seite sitzen, und die Righties auf der anderen. Niemand kommt sich ins Gehege.

    In einem Text zu schwedischen Orchestern war mir so etwas schon begegnet. Bei uns dauert es eventuell noch etwas länger...

    Die Hände sind nicht austauschbar. Wir werden mit einer dominanten Hand geboren. Die bleibt auch unsere dominante Hand und verfügt über andere Fähigkeiten, egal wie sehr wir beide Hände trainieren.

    Es gibt da einiges an interessanter Literatur zu, nicht nur zum musikalischen Bereich, z.B. hier:

    Johanna Barbara Sattler – Wikipedia

    Dass mehr Energie aufgewendet werden muss, wenn die nicht dominante Hand dominante Tätigkeiten übernimmt, ist unbestritten. Dass die Ergebnisse von unterschiedlicher Qualität sind, dass auch im Körper unterschiedliche Dinge ablaufen, abhängig davon, welche Hand man benutzt, es gibt viel lesenswerte Fachliteratur dazu.


    Faszinierend finde ich, dass es bis heute eine große Dunkelziffer von (unbewusst) umerzogenen Linkshänder*innen gibt, sowohl unter den Älteren als auch unter nachwachsenden neuen Generationen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass bis heute in der Schule ein nicht unerheblicher Prozentsatz an Kindern rechts schreibt, die eigentlich Linkshänder sind und unerkannt durchgerutscht sind. Und dies manchmal erst in höheren Klassen bemerken, wenn auf Grund entstandener motorischer, RS- oder anderen Schwierigkeiten genauer hingeschaut wird.


    Die Hände sind nicht austauschbar. Das ist in der Musik, wo es so sehr um Ausdruck und Gefühle geht, ebenso spürbar wie beim Waldarbeiter, der mit der nicht dominanten Hand die Motorsäge führen muss, weil es keine Motorsäge für Linkshänder gibt...