Ich gebe ehrlich zu, dass ich jedem Erwachsnene davon abraten würde, Geige zu lernen. Es ist ein wunderbares Instrument, keine Frage, und mit ein bisschen Ehrgeiz kann man es auch in höherem Alter prinzipiell noch halbwegs erlernen, da sehe ich gar nicht so das Problem.
Aber: Im Gegensatz zu Klavier oder Gitarre klingt Geige alleine selten wirklich gut, zumindest auf dem Niveau, das ein Amateur (v.a. wenn berufstätig und damit übetechnisch zeitlich zumeist etwas eingeschränkt) normalerweise erreicht.
Wenn ich einen toleranten Freundeskreis für Kammermusik habe mag es ja noch Sinn machen, auch wenn da auch das Problem bestehen wird, dass es recht wenig Literatur gibt, in der die Geigenstimme nicht eine führende (und damit automatisch anspruchsvolle) Rolle einnimmt. Mit Bratsche oder Cello hat man es da sicherlich leichter, wenn man als Anfänger das schwache Glied einer Kammermusikgruppe ist. Im Idealfall findet man andere erwachsene Anfänger oder eben sehr rücksichtsvolle Mitspieler, aber meiner Erfahrung nach ist das sehr selten.
Bleibt das Orchesterspiel... Bei uns im Kreis (großer reicher Kreis im Speckgürtel einer Großstadt) gibt es genau 2 "Laien"-Sinfonieorchester jenseits des Jugendbereiches. Dort spielen im Wesentlichen ehemalige Jugend-Musiziert-Preisträger, und das Repertoire ist eher Debussy als Vivaldi. Klar, nach 10 Jahren sehr gutem Unterricht und viel Üben kann man mal versuchen vorzuspielen, aber sich so lange so massiv zu motivieren stelle ich mir sehr schwer vor, wenn man noch ein zeitraubendes Berufsleben hat. Vermutlich gibt es vereinzelt auch Orchester mit weniger hohem Niveau, aber ich fürchte, da muss man wirklich Glück haben, so was zu finden.
Bei anderen Instrumenten ist dieses Problem des "ganz oder gar nicht" längst nicht so ausgeprägt, und das finde ich einfach schade. Ich erlebe regelmäßig erwachsene Anfänger, die nach 2 Jahren Unterricht problemlos in einen Blockflötenspielkreis oder ein Blasorchester integriert werden. Solche Orchester gibt es bei uns in jedem Ort, alle Qualitätsstufen zur Auswahl, und wenn am Anfang nur die Hälfte der Töne gespielt werden kann, wird das auch akzeptiert. Ich würde mir jetzt ehrlich gesagt auch überlegen, ob ich nur wegen dem Orchesterspiel unbedingt Tenorhorn lernen würde, aber hätte ich bei der Entscheidung für das so wunderbar klingende Instrument Geige diese Erwägungen schon einbezogen, hätte ich mich vermutlich durchaus auch für Querflöte oder Waldhorn erwärmen können, oder eben ein Soloinstrument wie Gitarre oder Akkordeon gelernt. Denn von einem Instrument, auf dem ich nur für mich im stillen Kämmerlein vor mich hin üben kann, habe ich aus heutiger Sicht nicht viel gehabt.
Aber vielleicht sehen andere das ja ganz anders?