Beiträge von MrAranton

    Also ich bin da skeptisch. Ich kann mir zwar vorstellen, dass Unregelmäßigkeiten im Holz den Klang beeinflussen und und durch solche Eingriffe verändert werden können. Aber für die Resonanz einer Geige ist doch vor allem der Korpus wichtig. Wie sollen da Unregelmäßigkeiten ausgeglichen werden, wenn diese "Akupunktur" nur auf bei Anbauteilen angewendet wird? Dazu kommt, dass Schwingen durch Löcher ja eher behindert als erleichtert werden. Dazu kommt ein Widerspruch in der Darstellung des Verfahrens. Auf der Homepage von Ralf Schumann wird der Vorgang wie folgt beschrieben:

    Zitat von "Dr. Rolf Bader Musikwissenschaftliches Institut Hamburg"

    Die Methode des Stechens kann hier nicht in Einzelheiten dargestellt
    werden. Es handelt sich aber um einzelne Einstiche in den Korpus der
    Geige, in der Nähe des Steges, am Hals, im Wirbel usw., welchem eine
    Systematik des Verhältnisses zwischen Geigenkörpers und Geigenklang
    zugrunde liegt.

    Herr Schumann selbst schreibt aber:

    Zitat von "Ralf Schumann"

    Zur Beruhigung der Musiker möchte ich anmerken, daß ich bei der Anwendung der Akupunktur keine Teile des Instrumentes bearbeite, die für den Wert als wesentlich angesehen werden (Decke, Boden, Zargen, Schnecke mit Wirbelkasten und Lack).

    (Hervorhebungen von mir) Das heißt: Entweder bezieht sich das Gutachten auf ein nicht (mehr) angewendetes und hat deshalb keine Aussagekraft für den Korpus aussparende Verfahren, oder der Gutachter hat die Vorgehensweise nicht richtig verstanden, was - zumindest bei mir - auch an dessen wissenschaftlicher Methodik gewisse Zweifel weckt. Auch begeisterte Berichte in der Presse und lobesschwangere Testimonials überzeugen mich nur bedingt. Testimonials kann man sehr selektiv sammeln und auch fälschen und Reporter, deren Wissen über das Thema möglicherweise nur schnell angelesen ist, können durch selbstsicheres Auftreten und Charisma auch leicht dazu gebracht werden, dem Experten zu glauben und Verbesserungen zu hören, die gar nicht da sind.
    Dazu kommt, dass Herr Schumann die "Akupunktur" normalerweise mit konventionellen Maßnahmen zur Klangoptimierung zu ververknüpfen scheint (Verschieben bzw. Austausch des Stimmstocks, Optimierungen am Steg, neue Saiten et cetera pp.). Im Einzelfall wird sich also nicht klären welche der Maßnahmen nun zur Klangverbesserung geführt hat.


    Boeks, ich weiß nicht, was Du genau meinst, wenn Du schreibst: "Deine Geige hätte es mal nötig, dass Blockierungen gelöst werden". Ich weiß aus Erfahrung, dass eine Geige nach längerer Liegezeit etwas dumpf und schwach klingen kann. Das gibt sich aber wenn sie wieder mehr gespielt wird im Verlauf der Zeit auch wieder. Das regelmäßige Gespielt-Werden kann man meiner Ansicht nach nicht durch Nadelstiche ersetzen.
    Dazu kommt, dass auch Maßnahmen zur Klangverbesserung gibt, die man ohne lange Pilgerfahrten durchführen kann. Die Akkupunktur läuft ja nicht weg, so dass es nicht schadet, erstmal auszutesten was sich vor Ort machen lässt. Um andere Saiten auszuprobieren, braucht man niemanden, der Löcher in die Geige macht. Auch eine verschlissene oder durch ungünstige Aufbewahrung angegriffene Bogenbehaarung kann eine Geige dumpf klingen lassen. Bestimmt auch in Berlin Geigenbauer, Bögen neu behaaren.

    Schon im 19. Jahrhundert wurden Geigen nicht nur in Handarbeit sondern auch in Manufakturen und Fabriken hergestellt. Und es gab auch das "Verlagswesen", wo Geigen im Auftrag für einen Verleger produziert wurden, der sie dann mit eigenen oder Phantasiezetteln versehen hat. Phantasiezettel sind heute verboten, aber wenn man z.B. eine "Otto Jos. Klier" oder eine "Ernst Heinrich Roth" neueren Datums kauft, wurden die nicht von diesen Leuten hergestellt. Die sind nämlich schon seit Jahrzehnten tot, haben aber Firmen gegründet, die heute noch existieren und ihre Namen tragen, auch wenn sie inzwischen natürlich von anderen Leuten geführt werden.
    Aber in diesem Fall denke denke, der Zettel nicht für einen Geigenbauer oder eine Fabrik sondern ist eher als eine Handelsmarke verstehen. Das hieße Franz Xaver Güttler hätte anonyme Geigen herstellen lassen oder gekauft und seinen Zettel reingeklebt, um sie unter seinem Namen verkaufen zu können.


    Solche Geigen müssen nicht schlecht sein. Ich spiele selbst auf einer Geige aus der Manufaktur Ernst-Heinrich Roth und bin damit zufrieden. Aber es sind Massenprodukte und das macht sich beim Wert negativ bemerkbar. Auch der extrem dunkle Lack ist kein gutes Zeichen. Der war zwar eine Weile in Mode, wurde aber oft auch verwendet, um mindere Holzqualitäten zu kaschieren. Allerdings sind die Photos nicht geeignet, um abschließende Werturteile zu fällen. Neben der geringen Auflösung sind auch die Lichtspiegelungen ein Problem.

    Zitat

    Original von Zeitlos
    Die Geigen stammen aus einem sehr wohlhabenden Haushalt mit Villa am See. Der Vorbesitzer war professioneller Musiker und hat die Instrumente selbst bespielt. Vor diesem Hintergrund fällt es mir schwer zu glauben, dass die Inschrift ein kopierter eingeklebter Zettel sein soll. Wir werden sehen. Ende nächster Woche steht ein Termin zur Begutachtung bei einem Geigenbauer an.


    Auch eine gefälschte Geige ist ein echtes Musikinstrument, das ganz anständig klingen kann. Gerade professionelle Musiker kaufen sich Instrumente nach dem Klang und nicht nach dem Zettel. Und wenn das schön klingende Instrument eine billige Fälschung ist, freuen sie sich über das Schnäppchen. Für die Erben ist das natürlich nicht so lukrativ. Allerdings sagt "der Vorbesitzer war ein Profimusiker" nicht unbedingt etwas über die Qualität eines Instrumentes aus. Profimusiker haben oft mehrere Instrumente, und wer öfters im Freien auftritt, wird da nicht sein bestes Stück nehmen, sondern eines, bei dem nicht viel kaputt geht, wenn es mal in einem plötzlichen Wolkenbruch nass wird. Und da die Akustik im Freien ohnhin meist nicht so toll ist, reicht eine für Sammler und Museen uninteressante, Schülergeige für diese Zwecke meist aus.

    Dass ich Ihnen widerspreche, wenn Sie von einer "absoluten Meisterabeit" sprechen, heißt noch lange nicht, dass ich die Geige für wertlosen Schrott halte. Es gibt es paar Stufen dazwischen. Eine davon ist "brauchbares Schülerinstrument". Mein Geigenlehrer hat die Preisspanne dafür bei "um die dreitausend Mark" angesiedelt. Solche Preise sind bei dieser Qualitätsstufe heute nicht mehr zu realisieren.


    Der Steg ist ein Indiz und sagt über die Vergangenheit eines Instrumentes mehr als die Farbe. Es gibt Geigen, die nach einem langen Dornröschenschlaf nur wieder wach geküsst werden müssen. Aber es gibt auch eine Menge schrottige Geigen, und auf jeden Deppen, der ahnungslos eine "absolute Meisterarbeit" für ein paar Öcken verhökert, kommen Dutzende Schlitzohren, die den Deppen geben, um billig aufgehübschten Schrott an Leute zu verkaufen, die hoffen einen Deppen zum Betuppen zu finden. Und diese Schlitzohren überlegen sich sehr genau, was sich vor dem Verkauf an Maßnahmen rentiert und was nicht.
    Wenn der Steg fehlt, dürften die meisten potentiellen Käufer größeren Restaueriungsbedarf vermuten, was den Wert drückt. Ist er vorhanden wird der Restaurierungsbedarf geringer eingeschätzt. Das ist wie bei gebrauchten Autos: Wenn man sein Auto für 15€ durch die Waschstraße fährt, kann man locker mehrere hundert Euro mehr dafür bekommen, als wenn man es dreckig anbietet. Ein neuer Steg hat sich wohl rentiert, neue Saiten anscheinend nicht. Oder sie wurden weggelassen, damit man die Katze im Sack kaufen muss.


    Bei Geigen gibt zwei Werte, die weit auseinander liegen können: Den Wert, den sie für Sammler und Händler haben und den, den sie Spieler haben. Eine Geige, die mangels Zettel oder wegen der falschen Herkunft miese Marktpreise erzielt, kann für jemanden, der sich für den Marktpreis nicht interessiert und nur darauf spielen möchte sehr interessant sein.

    Goldfarbenen Lack kann jeder Geigenbauer anrühren, vorausgesetzt, er ist nicht farbenblind. Es gibt noch andere Berufsgruppen, die goldfarbene Lacke herstellen können um damit z.B. Möbel bepinseln. Dass ein bestimmter Farbton verwendet wurde, sagt über Herkunft und Qualität einer Geige definitiv nichts definitives aus.


    Ahorn ist das Standardholz für Geigenböden und ich finde diesen Boden nicht sonderlich schön. Entweder durchgängig geflammt oder gar nicht, aber dieses halb und halb sieht für mich nicht nach sorgfältiger Holzauswahl aus sondern eher nach Resteverwertung.


    Beim Griffbrett bin ich mir nicht ganz sicher, aber es sieht ein bisschen nach gefärbten Hartholz aus. Die Wirbel sind definitiv nicht aus Ebenholz. Auch nicht aus einem der anderen Edelhölzer, die man bei einer "absoluten Meisterarbeit" erwarten würde.


    Der Vorbesitzer (also der, der sie für 250€ an Schüffelgen vertickt hat) hat der Geige einen neuen Steg spendiert. Aber der ist erstens geradezu monströs dich und zweitens nicht richtig an die Deckenwöbung angepasst. Gut möglich, dass das ein nicht-angepasster Rohling ist, wie man ihn für ein paar Euro im Internet bestellen kann. Für einen Satz neue Saiten hat es nicht gereicht. Das heißt: Wir haben es da vermutlich mit einer Geige zu tun, die lange unbespielt auf irgendeinem Speicher lag. Der neue Steg soll wohl vertuschen, dass das Original nicht mehr zu finden war, und einen falschen Eindruck über die Liegezeit vermitteln. "Absolute Meisterarbeiten" werden von ihren Besitzern gehegt, gepflegt und geliebt und bestimmt nicht so lange auf einen Speicher oder in einen Keller verbannt, bis der Steg verloren und der Korpus aus dem Leim geht.

    Wenn der falsche Anschäfter mit einem klangvollen Zettel kombiniert wird, lohnt der Aufwand für den Fälscher schon. Zettel können verloren gehen, und es soll auch vorkommen, dass extrem unglaubwürdige Zettel bewusst entfernt werden. Und Alterungsspuren werden nicht nur zwecks Fälschung gemacht, sondern zum Teil auch, weil die Geige dann gediegener aussieht. Ich spiele eine Manufakturgeige, die zugibt, aus dem Jahr 1989 zu sein. Und da waren schon beim Kauf im Lack Farbverläufe drin, die Abnutzungen simulieren, die sich einstellen, wenn die Geige mit dem nackten Kinn festhält und viel in hohen Lagen spielt.
    Ein echter Anschäfter müsste meiner Einschätzung nach auf den Photos viel deutlicher zu erkennen sein. Dass er so schlecht zu erkennen ist, deutet darauf hin, dass er nur geritzt, vielleicht sogar nur mit Farbe simuliert wurde.

    Geigenzettel nehmen durchs Altern öfter mal eine holzähnliche Farbe an. Zum sind sie sogar von vorneherein auf Papier gedruckt, das wie Holz aussieht. Wenn man da bei ungünstiger Beleuchtung in den Korpus guckt, ist der Rand des Zettels mitunter schwer zu erkennen, so dass der Eindruck entsteht, es sei direkt auf Holz gedruckt worden.


    Ich muss zugeben, dass ich nicht glaube, dass diese Geige noch vor fünf Jahren bespielbar gewesen sein soll. Die Decke sieht aus, als sei damit mal ein Teppich ausgeklopft worden; solche Schäden entstehen nicht durch fünf Jahre Lagern. Aber wie heißt es so schön: "Jedwedes Ding ist wert, was der Käufer dafür zahlen will". Wenn Sie jemanden haben, der für diese Ruine richtig Geld ausgeben will, verkaufen Sie. Was für einen Nutzen der aus der Geige zieht, kann Ihnen egal sein. Aber ich würde diese Geige wegen des Zustandes und der Kosten, die man aufweden müsste, um sie wieder spielbar zu machen, nicht einmal für fünf Euro kaufen.

    Die Bögen sollte man nicht so einfach unbesehen als wertlos abtun. Als Faustregel gilt, dass man für den Bogen etwa ein Drittel bis zur Hälfte dessen ausgeben sollte, was die Geige gekostet hat. Es kommt aber natürlich auf den Zustand der Bögen an. Aber eine Neubehaarung kostet nicht sonderlich viel und würde sich, wenn die Stangen noch intakt sind, auf jeden Fall rentieren.
    Die Kästen wird vermutlich heute niemand mehr benuten. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnt in Sachen Sicherheit und Schutz des Instrumentes einiges getan. Tücher, Beutel und sonstiger Kleinkram dürften irgendwo zwischen "Peanuts" und "nicht mehr brauchbarer Müll" (wenn z.B. noch Ersatzsaiten drin sind, dürften die inzwischen unbrauchbar sein) rangieren.

    Es ist immer schwierig, einem Gutachter zu widersprechen, der ein Instrument in natura gesehen hat. Aber ich sehe eine Diskrepanz zwischen Bildern und Beschreibung. Dazu muss ich etwas ausholen.


    Geigen haben sich Stradivari ein wenig entwickelt. Bis zum Beginn des 19. Jahrhundert hat man die barocke Bauform verwendet; manchmal spricht man auch von "alter Mensur". Nach der französischen Revolution hat sich die Musikszene verändert. Anstatt überwiegend in kleinem Rahmen vor Fürsten zu spielen, wurde Musik zunehmend in großen Konzertsälen für großes Publikum aufgeführt. Dafür waren barocke Geigen zu leise. Deshalb hat man (unter anderem) den Hals verlängert und so die Saitenspannung erhöht um einen größeren Klang zu erzielen. Außerdem hat die Form des Halses und seine Befestigung am Korpus ein wenig verändert (vorher war keilförmig und meistens festgenagelt, heute ist er flach und mit einem "Trapezprofil" ohne Nagel in den Korpus integriert). Beim Umbau einer alten Geige auf "neue Mensur" wurde üblicherweise so viel ursprüngliches Holz erhalten wie möglich: Heißt: Man hat den Wirbelkasten vom alten Hals getrennt und an den neuen Hals angeleimt. Das hinterlässt eine deutlich sichtbare Spur, die ich auf den Bildern aber nicht erkennen kann (was allerdings auch an den Bildern liegen könnte). Am Ansatz des Halses am Korpus sieht es anders aus; da glaube ich eine anschäftertypische Fuge zu erkennen (allerdings bin ich mir auch da nicht hundertprozentig sicher, es könnte auch ein Schatten sein).
    Was vom Hals zu erkennen ist, entspricht eindeutig der modernen und nicht der barocken Bauweise. Wenn kein Anschäfter vorhanden ist, spricht das gegen 1780, wenn einer da ist, könnte die Entstehungszeit hinkommen; aber dann kann man nicht behaupten, die Geige sei "original in all parts". Von daher bin ich nicht sicher, ob man dem Gutachten wirklich glauben kann; oder ob es überhaupt ein Gutachten und nicht eher eine Beschreibung aus einem Auktionskatalog ist...
    Trotzdem ist es eine schöne Geige, die - wenn die Klangeigenschaften treffend beschrieben wurden - durchaus 5000€ wert sein kann. Ich bin allerdings mehr Spieler als Investor, für mich steht im Vordergrund ob mir der Klang gefällt und das kann man nicht anhand von Papier und Bildern abschätzen.

    Zitat

    An so etwas wächst man nicht, an so etwas zerbricht man früher oder später.

    Sorry, konnte ich nicht ahnen...


    Solche Funde sind in gewisser Weise Wundertüten. Wie sie klingen kann man im Voraus so gut wie gar nicht sagen. Man kann Glück haben und die Geige kann wirklich wundervoll klingen, aber man kann eben auch Pech haben, eine Niete ziehen und sich über jeden Cent Reparaturaufwand einzeln ärgern.
    Ich wünche jedenfalls viel Glück und würde mich freuen zu erfahren, wie sich die Geige entwickelt.