Beiträge von Joerg_K

    Ok, auf die Umweltdiskussion lasse ich mich ein.

    Fiddler: Natürlich braucht man auch für konventionelle Instrumente/Bögen kein Ebenholz und kein Fernambuk. Es gibt auch bereits Ersatzmaterialien. Aber sie setzen sich nicht durch! Warum? Weil kein Mensch sie kauft!

    Ich behaupte mal: Jeder von euch hat ein wunderbares Ebenholzgriffbrett auf seinem Instrument, obwohl Ebenholz massiv gefährdet ist. Wir verwenden auf unseren C-Instrumenten kein Ebenholz, sondern ein Ersatzmaterial.

    Glaubt aber nicht, dass ich deswegen ein einziges Instrument mehr verkaufe! Das ist nice to have und man beruhigt sein Öko-Gewissen, aber als Verkaufsargument taugt das NFC-Griffbrett nicht die Bohne. Wir bieten sie auch separat zum Kauf an - davon gehen dann im Jahr so 10 Stück über den Ladentisch. Sieht halt nicht ganz so schön aus, und man weiss ja nicht... na dann nehmen wir doch lieber wieder das gute alte Ebenholz und verschließen die Augen davor, woher es kommt. Das ist pure Bigotterie.

    Noch schlimmer ist es beim Fernambuk. Wenn man die Entwicklung der letzten 20 Jahre verfolgt: Um 2000 gab es noch ordentliche Fernambukbögen, die den Namen verdient hatten. Mittlerweile ist fast alles, was aus Fernost mit der Bezeichnung "Pernambuco bow" kommt, schlapper Schrott, und gewiß kein originales Fernambukholz - welches übrigens nur in Brasilien wächst. Wenn man etwas Ordentliches haben will, muss man richtig Geld auf den Tisch legen, und jeder konventionelle Bogenbauer leckt sich die Finger nach einem guten bis sehr guten Rohstück, das findet man nämlich kaum noch auf dem Markt.


    Ich bin kein Öko-Aktivist, aber auch kein Klimakatastrophen-Leugner, sondern irgendwo dazwischen. Wenn ich aber sehe, wie früher in den Alpen (da gibt es jetzt nichts mehr) und jetzt in den Karpaten die alten Ahorn-und Fichtenbäume aus den Höhen geschlagen werden, um an Tonholz für alle möglichen Instrumente zu gelangen, dann geht mir die Hutschnur hoch. DAS ist massiver Rohstoff-Verbrauch, der nicht ersetzt werden kann, zumindest nicht mittelfristig. Und dieser Raubbau wird durch die Musikergemeinde sehenden Auges unterstützt. Das ist ja "Tradition", und das Holz hat "eine Seele".


    Im übrigen reden wir hier nicht von Massenfertigung, Hochöfen und Stahlpressen. Wir fertigen ca. 250-300 Instrumente im Jahr, und jedes einzelne ist Handarbeit. Das würde auch so bleiben bis zu einer Stückzahl von ca. 2.000 im Jahr. Es gibt keine Maschinen, die Carboninstrumente produzieren, sondern dahinter stehen Handwerker im wahrsten Sinne des Wortes. Natürlich benutzen wir Fräsen, Bohrer usw., aber das tut (fast) jeder Geigenbauer auch. Das einzige, was uns unterscheidet, ist das Material - und so unterschiedlich ist es gar nicht. Carbon besteht aus Fasern, die wiederum aus aneinandergereihten Kohlenstoff-Atomen bestehen. Also derselbe Grundstoff wie bei Holz. Verbrennt man beides, bleibt reiner Kohlenstoff, also Asche zurück.

    Warum muss ein neues Produkt immer besser sein als alles bisherige? Warum reicht nicht gleichwertig und einfach ein wenig "anders"? Warum fragt jeder erstmal "Wieso sollte ich so ein Carbonding kaufen, welche Vorteile hat das denn?" Von einem neuen Automodell erwartet man auch nicht jedesmal weltverbessernde Innovationen, sondern allenfalls ein wenig frischen Wind.


    Hobel und Beitel: Was für ein schönes Bild, wenn man sich den alten Stradivari in seiner Werkstatt vorstellt, wie er hingebungsvoll an seiner Geige schnitzt, es riecht wunderbar nach Holz und traditionellen Lack-Zutaten, es herrscht eine wunderbare Ruhe und nichts stört seine Konzentration, außer vielleicht der Ruf eines Vogels in der Abenddämmerung.....

    Schön wäre es ja, hat aber leider mit der Realität nicht das geringste zu tun. Schon jemals eine Geigen -Cellofabrik in Fernost gesehen? Nicht sehr angenehm, und man möchte möglichst schnell wieder raus. Das Geschäft ist knallhart.

    Ich verstehe die romantische Verklärung, aber sie passt in unsere Zeit nicht mehr hinein.


    Viele Grüße

    Braaatsch:

    Den Vorwurf der Arroganz lasse ich mir gefallen - ein wenig davon schadet überhaupt nicht in meinem Job.

    Das Bild mit dem LKW war natürlich übersteuert, man muss so eine Metapher nicht für bare Münze nehmen. Aber die Botschaft, auch der vorhergehenden Erläuterung (2k Instrumente und kein Schaden) sollte klar sein.

    Übrigens: Wir reisen regelmäßig mit unseren Carboncelli zu Messen, und zwar sowohl nach Asien als auch in die USA. Das Cello kommt jedesmal in den Frachtraum, manchmal nur von einer Tasche geschützt. Passiert ist noch nie etwas. Da ein Cello auch von den Maßen her noch als Sondergepäck transportierbar ist (Mittelstrecke 70 €, Langstrecke 150 €), erschließt sich mir nicht die Notwendigkeit eines abnehmbaren Halses.


    Wie Hannes F. richtig feststellte (vielen Dank, eine Lanze für mich zu brechen ;) :( Ich bin seit 20 Jahren sehr eng mit dem asiatischen Streichinstrumentenmarkt verbunden, bin regelmäßig dort und pflege Verbindungen zu einer Reihe an Werkstätten. Das Verständnis von "Qualität" ist dort ein ganz anderes. Insbesondere ist es die absolute Ausnahme, dass irgendjemand in diesen Werkstätten auch so ein Instrument spielen kann.

    Natürlich sind die Chinesen so schlau wie wir, und wahrscheinlich wesentlich fleißiger. Schlauheit und Fleiß reichen aber nicht aus, wenn man ein Produkt nicht nachbauen kann, sondern komplett entwickeln muss, inklusive aller Details. Das reicht aber immer noch nicht aus - mit einer einzigen Carbongeige kommt man nicht weit. Dann noch die Serienfertigung zu etablieren und dabei Qualitätsstandards zu halten - das halte ich, sagen wir nicht niemals, sondern in den nächsten 10-15 Jahren - für ausgeschlossen. Die dafür notwendigen Investitionen liegen im mittleren 6stelligen Bereich, das können sich die kleinen Werkstätten kaum leisten. Zudem ist die Streichergemeinde recht erbarmungslos und verreißt alles, was nicht wirklich zu 100% funktioniert.


    Ich verstehe auch nicht ganz, was mit "Instrumenten für den Schülerbereich" gemeint ist. Schüler sind noch viel mehr als Profis auf ein technisch perfektes Setup angewiesen. Einen zu hohen Saitenüberstand, unzureichende Stegwölbung oder zickende und schlecht ansprechende Töne kann ein Profi überspielen bzw durch Technik ausgleichen, bei einem Schüler führt das nur zu Frust. Es gibt "Carboninstrumente" (ist nicht wirklich Carbon, sondern Verbundkunststoff) aus den USA, die man in den "Schülerbereich" einordnen könnte. Ich möchte auf so einem Ding aber nicht wirklich spielen und das erst recht keinem Schüler zumuten.

    Zu den vorgeschlagenen Innovationen: Diese zielen imho auf zu kleine Gruppen, die genau ein Problem haben, welches durch eine Innovation gelöst werden könnte. Da gibt es schon eine Reihe an Lösungen im konventionellen Bereich (Saitenhalter, Schulterstützen, Kinnhalter, Bogen-Ottifanten) - keine davon setzt sich wirklich final durch.

    Auch ein schmaleres Cellocorpus würde immer zu Lasten der Basstiefe gehen. Damit würden wir uns selbst den Boden unter den Füßen wegziehen.


    Damit möchte ich mich aus diesem Thread verabschieden. Fröhlich weiter mitlesen, den zu erwartenden Gegenwind gelassen hinnehmen, und ansonsten jeden Tag daran arbeiten, besser zu werden.

    Beste Grüße an alle

    Jörg_K

    Noch eine letzte Bemerkung:

    Die Chinesen werden niemals ein auch nur annähernd gleichwertiges Carboninstrument hinbekommen. Alles was ich aus China bisher in die Hände bekommen habe, war wirklich für die Tonne, und zwar in jeglicher Hinsicht. Da passte nichts. Die Vereinigung zweier völlig unterschiedlicher Kompetenzen (CFK-Leichtbau + Geigenbau) ist nicht so einfach wie es vielleicht aussieht.

    Hier meldet sich jetzt einmal der bräsige Hersteller, weil doch eine Menge an interessanten Aussagen unwidersprochen im Raum stehen, die ich so nicht stehenlassen möchte.

    1. Innovationen ( Braaatsch:( Eine komplette Änderung der Geigenform kommt jetzt und in Zukunft nicht in Frage, zumindest für uns nicht. Und zwar deshalb, weil die derzeitige Innen(!)form die beste aller denkbaren ist. Geiger erwarten einen bestimmten Ton, der sich aus der schwingenden Saite, zu 99% aber aus Obertönen zusammensetzt. Die Obertöne machen den Geigenklang, die Farbe. Man erwartet Brillanz im Diskant und Wärme im Bass, des weiteren eine gute Ausgewogenheit und Ansprache. All dieses lässt sich nur mit der derzeitigen Geigenform realisieren. Das Innenvolumen ist genauso wie es sein muss. Vergrößern wir es, geht es zu Lasten der Brillanz, verkleinern wir es, geht es zu Lasten der Wärme.

    Dass wir allerdings nicht innovativ sind, lasse ich mir nur sehr ungern vorwerfen. Die Reduktion des Corpus auf das absolut Notwendige, die Kopf-Form, Neugestaltung der F-Löcher, Rillen für jegliche Schulterstützen, potentiell fest eingebauter Plug-and-Play-Tonabnehmer, Feinstimmwirbel serienmäßig, Anima Nova usw. Da ist schon einiges an Innovationen dabei, vom Werkstoff selbst mal ganz abgesehen, der nun alles andere als einfach zu verarbeiten ist.

    2. Propheten können jetzt schon vorhersehen, ob eine Geige in 200 Jahren noch etwas taugt oder nicht - ich bin allerdings keiner. Das UV-Argument, was immer mal wieder im Internet herumgeistert, zieht aber nicht. Lackiertes Carbon wird weder spröde, noch wird es blau oder sonstwas - ansonsten würde dieses Material wohl kaum im Flugzeugbau verwendet.

    3. Den Unterschied "neu" vs. "gebraucht" gibt es bei Carbon nicht. Wir können jedes Instrument auch nach vielen Jahren in einen Zustand versetzen, in dem es vom Neuzustand nicht zu unterscheiden ist. Und zwar innerhalb von 30 Minuten.

    4. Reparaturbedarf: Wir machen das jetzt seit fast 10 Jahren, und es sind mehr als 2.000 unserer Instrumente weltweit im Einsatz. Nicht ein einziges hatte bisher irgendeinen Reparaturbedarf am Corpus. Man muss schon mit einem LKW darüberfahren, um eine Carbongeige nachhaltig zu beschädigen.

    5. Ich freue mich, dass offenbar sehr genaue Vorstellungen existieren, wie ein Carboninstrument klingt und sich spielt. Könnte es sein, dass das Vorurteile sind?

    Ich habe mich daran gewöhnt, dass der Gewinn des Musikinstrumentenpreises 2015 gegen 21 konventionelle Meisterinstrumente in Musikerkreisen geflissentlich ignoriert oder herabgewürdigt wird. Das ist dann aber gleichzeitig eine Herabwürdigung der 6 renommierten Solisten, die die Klang-Beurteilung durchgeführt haben. Das war kein "Industrial Award", wie es gelegentlich behauptet wird, sondern ein harter Wettbewerb, in dem alle Instrumente auf Herz und Nieren getestet wurden.

    6. Ich konzidiere, dass Carboninstrumente noch gewisse Schwächen bei der klanglichen Farbvielfalt aufweisen. Da bieten sie nicht dieselben Möglichkeiten wie ein wesentlich teureres Meisterinstrument. Daran arbeiten wir (allein in den letzten 2 Jahren haben wir ca. 20 verschiedene Decken getestet).

    Diese Schwäche wird aber m.E. durch das Volumen, durch die Ansprache/Spielbarkeit und die tonliche Ausgewogenheit mehr als ausgeglichen.

    7. Was die Lindsey-Sterling Geige betrifft: Die will ich nicht wirklich verkaufen. Wenn aber jemand den Preis zahlt - gut und schön. Im übrigen ist diese Geige mit einer handwerklich sehr aufwendigen Blattgoldverzierung ausgestattet, was sie einzigartig macht.

    8. Carboninstrumente unterscheiden sich durchaus im Klang. Es läuft leider nicht so, dass wir alle Bestandteile morgens in eine Maschine füllen und abends kommt das fertige Instrument herausgeploppt. Da steckt nach wie vor eine Menge Handarbeit drin, wenn auch nicht mit Stechbeitel und Hobel, sondern mit anderen Werkzeugen. Und diese Handarbeit führt dazu, dass eben doch jedes Instrument ein wenig anders ist.

    9. Ich behaupte mal, dass ein Carboncello JEDES gleich teure Holzcello in die Tasche steckt.

    10. Wir wollen Holzinstrumente nicht ersetzen, genausowenig wie Carbonbögen jemals die Holzbögen komplett ersetzen werden. Wir wollen eine Alternative etablieren. Es ist doch genug Markt für alle da - Barockinstrumente, klassische Instrumente und Carboninstrumente. Und keines von diesen kann für jeden ausnahmslos geeignet sein. Ich habe schon viele Barockinstrumente gespielt, und sie sind nicht mein Geschmack. Ich spiele gerne auf einer klangvollen klassischen Geige. Und auf einer Carbongeige ebenfalls. Was soll daran falsch sein, je nach Lust und Laune zu wechseln?


    So, jetzt seid Ihr wieder dran. Ich werde mich nicht dauerhaft einmischen, weil ich das für unangemessen halte. Aber vielleicht ist es mir gelungen, den einen oder anderen Nebel an Argumenten etwas aufzuklären.