Karl Paulus, aber welcher - wenn überhaupt!

  • Hallo,


    Um gleich zwei Punkte vorweg zu nehmen:

    • In den folgenden Zeilen geht es mir in allererster Linie um die Herkunft des Instruments und allem was damit zusammenhängt, jedoch nicht unbedingt um dessen monetären Wert.
    • Es handelt sich nicht um mein Instrument sondern es ist ein Fund eines spanischen Gitarrenforum-Teilnehmers der sich wegen nicht vorhandener Deutschkenntnisse nur sehr bedingt Informationen über Geigen aus dem deutschen Sprachraum verschaffen kann. Deshalb versuche ich dies für ihn zu tun, und ich bin natürlich auch selber neugierig geworden.


    Ich werde nicht den ganzen Hergang der Story erzählen (ausser es würde sich später aus irgend einem Grund ergeben oder aufdringen) sondern einfach schildern was vorhanden ist.


    Alle folgenden Bilder sind verkleinert und lassen sich per Mausklick in voller Auflösung sehen.


    Die Geige enthält keinen Zettel, jedoch findet sich auf dem Boden (innen) handschriftlich den Namen Karl Paulus.



    Die mir zugestellte Foto war überbelichtet, deshalb habe ich um den Schriftzug besser lesbar zu machen eine Tonwertkorrektur vorgenommen:




    Vollständigkeitshalber hier noch die originale, nicht korrigierte Foto:




    Im Buch Die Geigen und Lautenmacher vom Mittelalter bis zur Gegenwart, W.L. Freiherr von Lüthendorff, Frankfurter Verlagsanstalt a. g., 1922 findet man auf Seite 373 in der Dynastie der Familie Paulus aus Markneukirchen zwei mal einen Karl Paulus; Karl Anton Paulus (geb. 30. Sept. 1830) und Karl Vitus Paulus (geb. 15. Juni 1815):




    Ist es möglich dass diese Violine von einem dieser beiden Karl Paulus stammte?


    Wie üblich oder unüblich war es den Namen direkt auf den Boden zu schreiben? Ist bekannt ob solche handschriftliche Vermerke unter bestimmten Bedingungen gemacht, bzw. vermehrt so gemacht wurden? Muss man eher davon ausgehen dass das entweder eine Notlösung war, oder vielmehr bei einer Reperatur durch Dritte als plumper Täuschungsversuch gemacht wurde?


    Wie muss man es interpretieren dass in Lütgendorffs Verzeichnis zwar Karl Anton und Karl Vitus als Väter und Geigenbau-Lehrer ihrer Söhne erwähnt werden, jedoch Ihre eigene Aktivität nicht explizit erwähnt wird?



    Nun, hier zu den Fotos der Geige, bzw. einige Teile welche von ihr übrig geblieben sind (meines Wissens sind noch weitere, nicht auf diesen Fotos erscheinende Teile vorhanden, was aber zur Identifikation eventuell wenig zur Sache tut), welche Gegenstand der Diskussion ist:








    Ich werde mich über jede Meinungsäusserung im Zusammenhang mit der möglichen Herkunft dieser Geige freuen. Besten Dank im Voraus!

  • 1. nicht wenige Geigenmacher haben sich nur durch Bleistiftsignaturen aus verschiedensten Gründen verewigt
    a) es war eine Auftragsarbeit und man wollte doch dessen Herkunft (u.a. im Falle von Reklamationen) dokumentieren
    b) man wollte Fälschungen vorbeugen (unbedacht klebt da jemand einen Stainer oder Strad oder Weiss der Kuckuck welchen Wischl rein -doch "Hallo")
    c) oder daher vice versa, sich im Nachhinein für eine Fälschung entschuldigen -berühmt v.a Janos Toths Guadagnini Fälschung, der Gidon Kremer unterlag.
    d) die Druckerei hat aus Gründen welche auch immer, die Zettel nicht geliefert


    2. Karl Vitus und Karl Anton schrieben sich ursprünglich mit "C" also Carl Vitus und Carl Anton. Vom Karl Paulus weiss man bis dato nicht mehr, als dass er im Innungsregister von Markneukirchen eingetragen war -war er einer der beiden, oder doch ein eigenes Mitglied der Sippschaft, der halt dann im Dienste seiner Verwandten oder anderer MNKner Meister stand?


    Daher ist diese Geige so oder so ein interessanter Gegenstand. Sie würde zur Klärung wichtiges beitragen.
    So via Bilder erscheint sie mir als ordentliche Arbeit, frei von irgendwelchen Fälschungsabsichten (wer soll schon einen unbekannten MKNer Meister fälschen wollen??) und durchaus einer Restauration für würdig.

  • Besten Dank für Ihre ausführliche Antwort!


    Zitat

    Original von yxyxyx
    Daher ist diese Geige so oder so ein interessanter Gegenstand. Sie würde zur Klärung wichtiges beitragen.


    Das ist eine erfreuliche Nachricht.


    Ich habe hier noch eine weitere Frage: Unter der Zeile mit dem Namen (siehe erstes Foto in meinem vorherigen Post, oder klick hier) steht noch etwas geschrieben. Ich nehme an es handle sich um einen Ortsnamen, kann ihn aber teilweise bedingt durch meine "Ortsunkenntins in der deutschen Violinwelt" nicht entziffern. Ich wäre froh wenn mir dabei geholfen werden könnte!

  • das einzige, was mir dazu einfiele wäre "Waldsassen". Das liegt direkt gegenüber auf der bairischen Seite.
    Oder "Wohlhausen" eine ehemaliger Vorort von Markneukirchen
    Aber das ist pure Vermutung.

  • Erneut herzlichen Dank fürs Weiterhelfen!


    Der Hinweis auf die Möglichkeit "Waldsassen" erscheint mir interessant, obwohl mir beim erneuten Betrachten der Schriftzug sehr stark "Wohlhausen" gleicht. eigentlich hätte ich selber darauf kommen können wenn ich im Lütgendorff alle Einträge zu den Paulus gelesen hätte. Als ich jetzt darin nach "Wohlhausen" gesucht hatte* stiess ich auf derselben Seite 373 auf diesen interessanten Eintrag:



    Demnach könnte es sich beim fraglichen Geigenbauer vielleicht tatsächlich um Karl Anton Paulus geb. 1830, Vater des um 1862 in Wohlhausen geborenen Christian August Paulus handeln.


    Sehe ich das richtig dass der Hinweis ...

    Zitat

    [...] Am gleichen
    Orte ist noch ansässig der derselben Familie ange-
    hörende:
    Paulus, Karl


    ... sich auf einen Karl Paulus der zum Zeitpunkt des Erscheinen vom Lütgendorff-Buch (1922) in Wohlhausen lebte beziehen muss?


    Falls dem so ist wäre es interessant wenn man die Geige aufgrund von Baumerkmalen entweder dem 19 Jahrhundert oder eben dem 20. zuordnen könnte.


    Ist eine solche Zuordnung, zumindest als Wahrscheinlichkeit ausgedrückt überhaupt möglich?
    Es ist mir klar dass wenn so eine solche Zuordnung aufgrund von organologischen Merkmalen möglich ist diese wohl nur durch eine Inspektion des Instruments, und nicht allein durch das Studium dessen Fotos geschehen kann.



    *
    Vorher hatte ich nach "Wahlhausen" gesucht, dabei im Lütgendorf nichts gefunden, und bei deutschen Ortschaften nur solche die relativ weit vom Vogtland entfernt sind und zumindest nach meinem Wissen nichts mit Instrumentenbau zu tun hatten.

  • nicht unbedingt!
    Er hat bei vielen Geigenmachern, wovon ihm Instrumente zur Begutachtung fehlten, nur das niedergeschrieben, was er vom Hörensagen über diese vernahm.
    Es gäbe einen späteren dritten posthumen Teil, in dem diverse Infos aktualisiert bzw. richtig gestellt worden sind.

  • Zitat

    Original von yxyxyx
    nicht unbedingt!
    Er hat bei vielen Geigenmachern, wovon ihm Instrumente zur Begutachtung fehlten, nur das niedergeschrieben, was er vom Hörensagen über diese vernahm.


    Besten Dank für diesen Hinweis.


    Wenn ich dies richtig verstehe könnte es also durchaus sein, dass dieser im Lütgendorff erwähnte Karl Paulus ("Nicht-Anton" und "Nicht-Vitus" und ohne Lebensdaten) im 19. Jhdt. gelebt und diese Geige gebaut hat, und man (zumindest bis 1922) sozusagen nichts über ihn gewusst hat...


    Zitat

    Original von yxyxyxEs gäbe einen späteren dritten posthumen Teil, in dem diverse Infos aktualisiert bzw. richtig gestellt worden sind.


    Ich werde mich einmal darum bemühen diesen Titel aufzuspüren, oder zumindest jemanden zu finden der Zugang zu diesem oder einem ähnlichen aktualisierten Werk hat und eventuell einen relevanten Eintrag zitieren kann - vielleicht ja jemand von hier!


    Nochmals vielen Dank für all die wertvollen Hinweise!

  • Sagen Sie ihrem span. Freund, dass sie durchaus Wert ist, restauriert zu werden. Eine gute vogtländ. Meisterarbeit mit einem gewissen Seltenheitswert.
    Was hat er dafür bezahlt? Wenn man noch fragen darf?

  • Ich werde natürlich alles versuchen das zu vermitteln, auch wenn es vielleicht nicht einfach sein wird. Die Idee des momentanen Besitzers war (oder ist), die Geige als billiges Übungsobjekt (um seinen Basteltrieb zu befriedigen) zu benutzen.


    Er hat die Geige vor etwas mehr als einer Woche gratis von einem Instrumentenbauer bekommen. Das Instrument wurde nach dessen Angaben vor ungefähr 30 Jahren zu ihm zur Reparatur gebracht, aber aus unerfindlichen Gründen nie repariert und auch nicht zurückgefordert.