Buchstäblicher Dachbodenfund

  • Diese Geige wurde mir von Freunden geschenkt, die sie nach Erwerb eines alten Hauses auf dem Dachboden gefunden haben. Seitenhalter, Kinnstütze, Untersattel sind vorhanden. Griffbrett fehlt. Zu den Stempeln auf dem Boden am Hals und auf der Innenseite der Decke konnte ich nichts im IN finden. Für Auskünfte zur Herkunft und Wert der Geige würde ich mich freuen.


  • Fleissen liegt in Böhmen. Das sollte zumindest zu ergoogeln sein.... ;) Damit ist die Herkunft klar, und auch das Alter - vor 1945. Ich schätze so 20ger/30ger Jahre.


    Reinl war eine Instrumentenbauerfamilie mit mehreren Mitgliedern, aber für den Wert spielt das jetzt keine grosse Rolle, das waren keine "Stars" die hoch bezahlt werden.


    Deine Geige ist eine Manufakturgeige mittlerer Qualität. Es gab da mal die Idee, die Geigen in 3 Qualitätsstufen einzuteilen: "Conservatory Violin", "Concert Violin" und "Grand Concert Violin". Damit wurden Geigen verschiedener Hersteller für den Export bzw. den Grosshandel eingeteilt, um sie als "einheitliche" Massenware verkaufen zu können. Die tatsächliche Qualität ist natürlich von "professionell konzerttauglich" weit entfernt. Hier ist das eben die äquivalente deutsche Bezeichnung, auch wenn diese nicht so oft vorkam.


    Wert: Egal was drauf oder drin steht: Hier zählt im Wesentlichen der Klang. Es ist keine "Meistergeige", aber ein solides Schulinstrument sollte die Geige schon abgeben. Bisschen ungünstig ist der Riss, das müsste gemacht werden, auch Griffbrett und Setup- und da bin ich ehrlich, wenn Du die Geige nicht selber spielen willst, wirst Du die Kosten bei einem Verkauf nicht wieder reinbekommen. So eine Geige ist ideal, um es selber zu machen- gut genug, dass es sich lohnt (die grundsätzliche Substanz ist noch gut, die Holzauswahl auch), aber nicht wertvoll genug, als dass bei einem Fehlversuch ein riesiger Schaden entstünde.


    Oder bei Ebay ab 1 Euro einstellen.

  • Fleissen liegt in Böhmen. Das sollte zumindest zu ergoogeln sein.... ;) Damit ist die Herkunft klar, und auch das Alter - vor 1945. Ich schätze so 20ger/30ger Jahre.

    Gab es Fleissen nicht auch nach 1945? Ich hätte eher auf 1950-60 getippt. Das spielt natürlich alles für den Wert keine Rolle,
    es ist ein einfaches Instrument, dazu mit den Schäden ... finanziell lohnt die Reparatur nicht, da stimme ich dir auch zu.

  • Nein, Fleissen wurde wie die ganzen Orte in Böhmen nach dem 2. Weltkrieg umbenannt (heisst heute Plezna), die (deutschen) Instrumentenbauer vertrieben. Es gab (später) einen Georg Reinl in Erfurt, der dürfte ein Verwandter gewesen sein. Wohin es den Josef Reinl verschlagen hat, weiss ich nicht. Reindl (mit D!) gab es auch in Mittenwald.


    Die Geige ist also ganz sicher vor 1945 entstanden, und ja, es gab auch damals -in den "Hungerjahren" nach dem ersten Weltkrieg- schon solche einfachen Lackierungen. Auch in Markneukirchen in den Dreissigern, man denke an die ganzen "Gamben" und historischen Nachbauten/historisierende Hybridinstrumente, die fast immer sehr einfach/"monochrom" lackiert waren. Und ja, die Lackierung wurden dann genauso "fabrikmässig" in den 50gern/60gern fortgeführt.

  • Noch ein Hinweis: Fleissen Bahnhof CSR -> Fleissen in der Tschechoslowakei (Ceska Slovakia Republika oder so ähnlich), die "Tschechoslowakei" wurde 1918 gegründet, und 1938 wurde das deutschsprachige Sudetenland/Böhmen dem "Reich" angegliedert, und gehörten zum "deutschen Reich". Der Stempel stammt also zwischen 1918 und 1938, wurde vielleicht auch noch 1940 verwendet, sofern man sich nicht erwischen liess...denn die damaligen Machthaber verstanden da keinen Spass.

  • Ich dank euch für die schnelle Reaktion und die sachkundigen Antworten.

    Tatsächlich war ich ohnehin auf der Suche nach einer beschädigten Geige um sie selbst zu reparieren. Ich werde das dann mit diesem Exemplar ausprobieren und vermutlich noch Fragen dazu an anderer Stelle hier im Forum stellen.