Einfluss des Geigens auf eure Persönlichkeit

  • Liebes Forum,

    heute habe ich eine möglicherweise etwas komische Frage. Mich würde interessieren, wie das Geige lernen/spielen euer Leben und eure Persönlichkeit beeinflusst und geformt hat. Das ist ein Thema, über das ich mir oft Gedanken mache, und mich würden eure Gedanken dazu interessieren. Ich kann z. B. sagen, dass ich bemerkt habe, dass ich viel "genauer" beim Lernen und beim Aneignen von neuen Inhalten bin. Ich glaube auch, dass ich gerade durch den Umstand, dass ich genau hinhören muss und auf eine gute Bogenführung achten muss, auch sensibler geworden bin. Und ihr? Ich bin gespannt auf eure Antworten.

    Herzliche Grüße

    BuGa

  • Es gibt dazu ja auch wissenschaftliche Untersuchungen. Viele beziehen sich auf das Erlernen eines Musikinstrumentes im Allgemeinen- auch bei anderen Instrumenten gibt es ja ähnliche „Wirkmechanismen“, die t.w. auch therapeutisch genutzt werden (wobei in der Musiktherapie nicht das Erlernen eines Instrumentes im Vordergrund steht!).


    Beispielsweise können Menschen, die ein Instrument lernen, Folgendes lernen (nicht jeder tut das und nicht in gleichem Ausmass!):

    -sich zu konzentrieren

    -Rhythmus und „Regeln“ einzuhalten

    -Rhythmus- und Zeitgefühl

    -zu planen und sich zu organisieren

    -„durchzuhalten“ und mit Erfolg- und Misserfolg umzugehen

    - Frustrationstoleranz

    - „Genauigkeit“

    - Warten können und „da sein“, auf den Anderen eingehen und „zuhören“, „die eigene Rolle übernehmen“ (im Zusammenspiel mit anderen)

    - Umgang mit Angst (Lampenfieber)

    - sich Einordnen/Team (Orchester/Zusammenspiel mit Anderen)

    - Feinmotorik, Auge-Hand-Ohr-Koordination, Hand-Fuss-Koordination, je nach Instrument Hand-Hand-Koordination synchron oder asynchron

    - Selbstwirksamkeit (durch Üben besser werden…)

    - Durchhaltevermögen

    - Tagesstruktur/regelmässige Aufgaben (Üben)

    - strukturiertes Erarbeiten (neue Stücke…)

    - Lesefähigkeiten (Noten…)

    - ….


    …das ist jetzt mal eine Auswahl, die mir eingefallen ist. Es gibt noch viel mehr Aspekte.


    Vor allem wird Vieles davon

    - „nebenbei“ /indirekt gelernt, und ohne „Fokus auf die Schwäche“ und „Vorwürfe“ (statt „du kannst niiiiieee warten….!!!!“ -> „Hey, Du hast da eine Pause, der Einsatz ist….“ und der Einsatz ist überschaubar, dadurch fällt das Warten leicht).

    - dosiert von ganz leicht bis schwerer gelernt (z.B. Konzentration: Zwei-Zeilen-Stück vs. Zwei-Seiten-Stück)

    - „im Team erlernt“ -> Derjenige ist nicht „allen mit seiner Schwäche“, trotz des „Noch-nicht-Könnens“ nicht der Einzige und nicht „der Schlechteste“ und nicht „der Böse“ (keine moralische Wertung!)

    - „Nicht-können“ ist ganz klar ein NOCH-nicht-können, man kann lernen dass es Wege gibt Neues zu lernen was „unmöglich“ erschien (und das auf andere Aspekte übertragen)

    -…..


    Es ist also eine sehr gute Idee, zu musizieren und seine Kinder musizieren zu lassen. Auch bei weniger talentierten Leuten „bringt es was“, und ich kenne einen lernbehinderten jungen Mann seit Kindesbeinen an, der dank Geige- und Gitarrespielen einige Aspekte seiner Behinderung deutlich verbessern konnte, und gelernt hat, immer „an sich zu arbeiten“. Er ist dadurch deutlich selbstständiger und organisierter als vergleichbar behinderte Menschen.


    Und viele der grundsätzlichen Effekte sind unabhängig vom Instrument und vom Talent. Klar, wenn jemand gar kein Talent hat und Misserfolge vorprogrammiert sind, sollte man eher nach einem anderen Hobby suchen. Dann kann es auch so richtig „nach hinten losgehen“. Viele Aspekte kann man ja auch bei Sportarten lernen, und da würde man ja auch niemanden hinzwingen wollen, der aus Talentmangel immer der Letzte/Schwächste/Unfähigste ist.

  • Da hat Braaatsch je echt ganze Arbeit geleistet. Vom therapeutischen und medizinischen Ansatz gibt es
    da nichts hinzuzufügen.


    Dazu kommt höchstens noch, dass Geige „Spielen“, wenn man es dann einigermaßen kann, noch mehr positives bereithält.


    Gestern habe ich in der Kirche, oben im Chor, Bach gespielt, 3x kamen Paare vom Friedhof herein,

    haben gelauscht und anschließend applaudiert. Ich hab mich danach sehr wohl gefühlt. Hat was.

  • Danke für eure Nachrichten, Braaatsch und Fiedler. Das ist sehr interessant und über die vielfältige Wirkung von Musik lässt sich sicherlich viel sagen. Mein Interesse geht noch ein bisschen weiter und mich würde interessieren, was der spezifische Einfluss der Geige oder im Allgemeinen Streichinstrumente ist und wie es eure Persönlichkeit verändert und beeinflusst hat. Könnt ihr mir dazu auch etwas sagen? Das wäre toll. Liebe Grüße Bu_Ga

  • Schwierig. Ob „Geige“ nun spezifisch die Persönlichkeit anders verändert als andere Instrumente, das würde ich eher verneinen,
    zumal jede Person eh schon etwas eigenes hat. Und wie sollte man das feststellen.
    Je nachdem, in welche (Musiker-) Kreise man gerät, hat das natürlich auch einen Einfluss. Da stehen aber bei der Geige
    alle Seiten und Musikrichtungen offen, vom Hardrock in Wacken über Salonmusik, Stubenmusik, Orchester bis zur Kammermusik
    in der Kirche.

    Man ist vielleicht versucht zu sagen, da man viel motorisches Feingefühl braucht für Geige, macht das „vorsichtiger“ oder

    zurückhaltender in der Persönlichkeit im Gegensatz z.B. zum Schlagzeuger ... aber auch das glaube ich nicht. Neben dem Geigen

    spiele ich noch Eishockey ... alles zu seiner Zeit und ich habe mehr als nur 1 Persönlichkeit. :)

  • Ich spiele mehrere Instrumente, und da würde ich auch nicht sagen, dass die Effekte instrumentenspezifisch sind.


    Natürlich gibt es spezifische Trainingseffekte- von der Flöte her habe ich eine gute Fingerkoordination- es kommt mir auf dem Cello zugute, dass ich die Finger unabhängig voneinander und sehr schnell bewegen kann. Beim Schlagzeug oder bei der Orgel lernt man, auch die Füsse mit einzusetzen. Und bei vielen Instrumenten müssen die Hände unabhängig voneinander verschiedene Bewegungen koordiniert ausführen.


    Es gibt also sicher bestimmte Effekte, die instrumentenspezifisch sind- aber due würde ich eher auf motorischer Ebene verorten.


    Dass sich Dein Leben/deine Psyche durch das Geigespielen verändert, glaube ich Dir! Aber vielleicht hätte das sich ganz genauso verändert, wenn Du Cello oder Gitarre oder Tuba gespielt hättest? Letztendlich sucht sich ja jeder das Instrument aus, was ihm gefällt und welches zu ihm passt, und wo ihm der Klang und das Musikrepertoire gefällt.

  • Gerade wenn man regelmäßigen Unterricht bei einer Lehrperson hat, bringt das Erlernen eines Instruments durch das tägliche Üben eine gewisse Struktur in den Alltag, wie Braaatsch schon sagte. Allerdings kann das "Üben-Müssen" auch Stress verursachen, wenn man grad anderweitig sehr gefordert ist.


    Streichinstrumente haben den Vorteil, dass man sie sowohl solo als auch mit anderen zusammen spielen kann, anders als beim Klavier, bei dem man häufig solo unterwegs ist. Für jemanden, der keine "Rampensau" ist, ein großer Vorteil. Außerdem sind Geige und Bratsche handlich genug, dass man sie auf Reisen mitnehmen kann.


    Geige gilt als eher schwer zu erlernendes Instrument. Wenn man also saubere Töne und schöne Musik auf ihr hervorbringt, hat man etwas geschafft, auf das man stolz sein kann. Man muss natürlich dranbleiben, um seinen Stand zu halten, grad in Sachen Fingerfertigkeit.


    Oft ist es auch so, dass man sich im Erwachsenenalter den Kindheitstraum erfüllt, ein bestimmtes Instrument zu erlernen, was vielleicht in der Kindheit und Jugend nicht möglich war. Das kann eine große Befriedigung mit sich bringen oder auch eine große Ernüchterung, je nachdem, wie es läuft ;)

  • Ich bezweifle, dass speziell das Geigenspiel das Leben grundsätzlich beeinflusst.


    Es kommt sehr darauf an, wie man Geige spielt. Z.B. in einem Laienorchester oder nur für sich allein.


    Ich vermute, dass so ziemlich jedes Hobby, das man regelmäßig (aus-) übt und bei dem man sich in gewissen Abständen verbessern will, in etwa den gleichen Effekt wie das Geigenspiel auf einen hat. Also auch Fußball in der Mannschaft, Ballett, Zeichnen, Töpfern.


    Ich beziehe mich hier auf Laien, die keinem strengen Übeplan folgen müssen und nicht irgendwann extrem anspruchsvolle Werke spielen müssen.


    Effekte bei mir:

    Platz im Tagesplan für das Üben. Ziel: Täglich, aber bei vielen Anforderungen des Lebens auch mal seltener oder wochenlang gar nicht.

    Feinmotorik der Finger bleibt erhalten (toi, toi, toi).


    Ich vermute, dass auch das Halten der Geige zwischen Kinn und Schlüsselbein mich irgendwie beeinflusst, kann aber nicht sagen, wie. Was wäre anders, wenn ich das nicht regelmäßig ausüben würde?


    Förderung der Motorik beider Hände, also auch der schwachen (bei mir rechten) Hand.


    Förderung der Koordination.


    Auseinandersetzung mit bestimmten Werken und (weniger) Biografien von Komponisten, die ich sonst nicht in dieser Tiefe kennengelernt hätte.


    Auseinandersetzung mit bestimmten Violinisten und Geigenbauern bzw. Instrumenten (Unterschiede der vielen berühmten Geigen im Klang und Aussehen).


    Übertragen lässt sich das Ganze aber NICHT! Ich höre sehr genau die Unterschiede im Klang meiner Geigen und auch im Klang verschiedener berühmter Geigen (nur über Youtube, also kann ich noch nicht mal sagen, was evtl. Geigenklang und was Bearbeitung oder Lautsprecher etc. ist). ABER: Ich höre sehr wenig Unterschiede im Klang anderer Instrumente, erst nach längerem Hören. Bei Celli habe ich anfangs null Unterschiede gehört, jetzt ändert sich das langsam, aber auch nicht zwischen allen Instrumenten. Bei Klavieren höre ich null Unterschiede.


    Von daher frage ich mich schon, in wie weit das Geigeüben übertragbare Effekte auf andere Bereiche hat.

    Als einzigen deutlichen Effekt würde ich nennen, dass man halt ein aktives Hobby hat, bei dem regelmäßig etwas Neues lernt (es sei denn, man spielt immer seine 10 Lieblingsstücke. Das gibt es ja auch bei einigen). Also den Drang, täglich etwas zu tun, bei dem man sich konzentriert und aktiv ist, körperlich und geistig. Das ist ja bspw. beim Videoschauen nicht der Fall. Aber beim Sporttreiben in der Mannschaft/ Gruppe doch!


    Außer einer gewissen Sensibilität bezüglich Geigenklängen (wie klingen verschiedene G-Saiten verschiedener Geigen usw.) glaube ich, dass viele andere Hobbys, die Feinmotorik, ständiges Lernen und Konzentration erfordern und nicht in einer Woche gelernt werden können, ungefähr die gleichen Effekte hätten.

  • Aber ja. Massiv.

    Braatsch hat schon viel Gutes dazu geschrieben.

    Es gibt von allem verschiedene Grade und Qualitäten. Und es kommt immer darauf an, *wer* etwas macht und *wie*. Wenn ich jetzt also schreibe, dass das Spielen speziell von Streichinstrumenten einen verfeinernden Einfluss auf die Konstitution haben kann, dann ist das keine Regel, die unterschiedslos für alle gilt. Und doch war und ist es bei mir so, dass ich die Frequenzen zur Reinigung des Systems nutze und auch brauche. Es ist möglich.