Geigenrätsel 4

  • Montag habe ich einen Termin beim Geigenbauer, und bis dahin erwarte ich noch eine weitere Info, danach kann ich mehr zu dieser Geige sagen.

    Ausnahmsweise gibt in diesem Fall der Zettel einen Hinweis, der aber, wie vieles an dieser Geige, etwas verrätselt ist.

  • Soweit ich weis, nutze Antoniazzi auch Brandstempel auf seinen Geigen...

    Ich glaube ehrlich gesagt weiterhin an eine italienische Geige, kopiert nach einem alten Vorbild, vielleicht mailändisch?

    Vielleicht könnte es sein, dass der Anschäfter schon beim Bau der Geige gemacht wurde, weil die kopierte Geige bereits einen hatte? Das machen bis heute noch viele.

  • Hmm.


    Ob ich dem Zettel Glauben schenken soll?


    Es fallen Rechtschreibfehler auf. Und was mir vor allem auffällt, ist der Unterschied zwischen der Unterschrift und der Jahreszahl (1970?). Wer würde denn zwischen Datierung und Unterschrift noch den Stift wechseln....?


    Ergo: Die Unterschrift und die Jahreszahl wurden wahrscheinlich zu verschiedenen Zeitpunkten (und vielleicht von verschiedenen Personen) gemacht. Das erschliesst sich mir nicht, wenn es sich um den Meister selber handelt. Die Frage nach Brandstempeln/weiteren Signaturen kommt obendrauf.


    Es ist auf jeden Fall eine sehr schöne, individuelle Arbeit, und würde auch einem unbekannten Geigenbauer alle Ehre machen. Vielleicht stammt sie auch aus Italien- aber vielleicht auch woanders her...

  • Die Zahl, als man sie noch lesen konnte, war mit roter Tinte geschrieben und lautete 1926. Da war Romeo Antoniazzi bereits ein Jahr tot.
    Das wusste der Geigenbauer, und er wusste auch, dass Kenner das wissen. Es handelt sich hier also nicht um eine Täuschungsabsicht, sondern um eine bewusste Hommage an die neuitalienische Bauweise.

    Die Geige ist in der Tat voller baulicher Statements, wie einige von Euch schon richtig erkannt haben: Der Verzicht auf Flammung war bewusst, einfach um der Branche zu zeigen, dass man eine Geige auch anders bauen kann als nach den üblichen Kriterien. Der Boden ist weder normal, noch "nach der Schwarte" geschnitten, sondern schräg, also Halbschwarte. Der Anschäfter und die Ausbuchser wurden bereits beim Bau gemacht. All das, um die handwerkliche Fähigkeit zu demonstrieren. Der Geigenbaumeister wollte mit dieser Geige zeigen, was er konnte.

    Wer genau hinsieht, bemerkt weitere Besonderheiten, z. B. sind die Eckklötze aus je zwei Teilen zusammengesetzt. Diese wurden aus alten Klaviertasten hergestellt, ebenso wie der ursprüngliche Stimmstock. Das f-Loch ist sehr selbstbewusst anders als normal, mit einem großen Loch unten. An der Decke ist in Halsnähe eine kleiner Riss mit einem Futter repariert, nicht mit einer Auflage. Ich nehme an, dass sich darunter eine Signatur des Geigenbauers befindet, jedenfalls hat er davon gesprochen. Die Rundungen der Zargen haben eine sehr feine Dynamik, die Kanten sind fein und genau parallel. Die Holzwirbel, die ursprünglich drin waren, standen exakt senkrecht zur Achse bzw. liefen parallel zu einander.

    Ich habe diese Geige wie gesagt etwa im Jahr 1986 von dem Geigenbauer Jan Sagert in Hannover gekauft. Er war ein knorriger Typ, zu dieser Zeit wohl bereits über 70 Jahre alt und hat mir von vornherein gesagt, er habe diese Geige selbst gebaut. Er hat also nie so getan, als ob das eine echte Antoniazzi wäre, sagte aber immer dazu "die Welt will betrogen werden".

    Ich habe zum Probieren damals viele Nachmittage bei ihm und seiner Frau in der Wohnung verbracht, und er konnte stundenlang über den Geigenbau erzählen, sprach über die verschiedenen Komponenten des Klangs wie ein Weinkenner und hat viele Dinge erzählt, von denen ich mir damals leider einiges nicht merken konnte.

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    Es gibt allerdings auch einiges, was nicht ganz zu dieser Story passt. Das eine ist, dass die Geige zumindest damals schon nicht ganz neu war. Sie hatte ganz offensichtlich bereits den kleinen Riss an der Decke gehabt, samt Reparatur, und auch den Riss in der unteren Zarge beim Knopf. Wenn Sagert die Geige selbst gebaut hatte, dann jedenfalls in früheren Jahren, vielleicht als Gesellen- oder Meisterstück?

    Die Zarge rechts vom Knopf war am Boden etwas unrund und nicht ganz perfekt geleimt. Das alles spricht für mich, dass die Geige wohl schon mal unterwegs gewesen sein muss, und es passte nicht völlig zur Story vom perfektionistischen Geigenbauer.

    Das Zweite, was nicht ganz passt, war das Votum der lokalen Geigenbauer, besonders der zwei oder drei, die Sagert persönlich kannten. Alle sagten, dass einerseits diese Geige ganz außergewöhnlich sauber gebaut sei, dass sie dies jedoch Sagert nicht zutrauen würden, da sie einige nicht ganz so gelungene Reparaturen von ihm gesehen hätten. Einige vermuteten daher, dass Sagert diese Geige doch woanders her bezogen und eventuell selbst lackiert hätte. Andere sagten, es sei auch möglich, dass die Geige von Werkstattangehörigen Romeo Antoniazzis nach seinem Tod gebaut worden wäre, und Herr Sagert hätte sich diese Baufertigkeit nur zugeschrieben.

    Das wiederum hatte Herr Sagert bereits vorausgesehen, denn er sagte "wenn Sie mit dieser Geige zu einem Geigenbauer gehen, dann wird dieser versuchen, Ihnen das Instrument madig zu machen".

    Ich könnte mir (Arbeitshypothese) vorstellen, dass Sagert diese Geige tatsächlich selbst gebaut hat, aber als jüngerer Geigenbauer in "seiner Prime Time", und dass er sie als Altersversorgung stets aufgehoben hatte.

    Ich weiß es also letztlich nicht, und es wird wahrscheinlich ein Geheimnis bleiben. Wie auch immer, sie wurde mit viel Liebe gebaut, und ich bin mit ihr sehr verwachsen. Sie hat keinen großen Namen und keine eindeutige Herkunft, und daher wäre der Verkaufswert sehr schwer zu bestimmen. Klanglich habe ich aber schon manchen authentischen Neuitaliener im Wert um die 50.000 dagegen getestet - und liegengelassen.

  • Das ist eine tolle persönliche Geschichte. Noch interessanter kann ein Geigenkauf kaum sein.

    Herrlich. Auch wenn es nicht 100% ist: Die Variante „Frühwerk“ würde ich favourisieren.

    Danke fürs Teilen!!! :thumbup:

  • Nein, nochmal: Auf die Flammung wurde nicht VERZICHTET, sondern es wurde anderes Holz (vermutlich Platane) verwendet. Das machen andere Geigenbauer auch, und zwar nicht, um auf die Flammung zu verzichten, sondern aus klanglichen Gründen. Diese Hölzer klingen anders, und wie du festgestellt hast, sehr gut. Das wissen auch Geigenbauer. Wenn Dir da jemand erzählt, er hätte „nur auf die Flammung verzichtet“, so ist das Blödsinn- dann hätte er billigen „flammenfreien“ Ahorn nehmen können.


    Die Geschichte ist trotzdem grossartig. Dass jemand mal versucht, die „perfekte“ Geige mit „vielen Extras“ zu bauen, finde ich super und auch glaubhaft. Wie gesagt- wer sich so viele Gedanken macht und so perfekt arbeitet, nimmt Platane nicht wegen der „extra fehlenden Flammung“. Da hätte es normaler Ahorn auch getan.

  • Ach Braaatsch ... das war doch nur meine Formulierung nach 35 Jahren und als relativer Laie.
    Es wurde ein besonderes Holz verwendet, das keine Flammung zeigt ... obwohl es eben keine Flammung zeigt. Was ja normalerweise oft als Qualitätsmerkmal gilt.

    Zufriedener?

  • Zusatz: Um dem guten Herrn Sagert nicht eventuell posthum unrecht zu tun: Ob er selbst die "Flammung" überhaupt erwähnt hat, weiss ich gar nicht. Mir war das Kriterium damals nicht bekannt, und auch später noch jahrelang nicht. Erst in der letzten Zeit und durch Foren wie diese habe ich angefangen, darauf zu achten.

    Natürlich hat er die verschiedenen Arten erwähnt, wie man Holz schneiden kann. Gleichzeitig aber waren die Informationen, die er erzählte, so vielfältig, dass ich vieles damals gar nicht verstanden habe. Auf rein fachlicher Ebene konnte ich also nicht entscheiden, ob Sagert außergewöhnliche Kenntnisse hatte, oder ob er ein "Dampfplauderer" war, der nur einen guten Verkauf tätigen wollte. Letztlich musste ich nach meinen Ohren gehen und nach meinem Gefühl, und habe mich für das Erste entschieden.

    Mein Geigenprofessor war nicht begeistert von dem Instrument, denn eine Schwäche gab es: die Ansprache auf der D-Saite war nicht optimal. Weiterhin hätte er einen helleren Ton bevorzugt, und drittens hatte er selbst ein Instrument zu verkaufen, gegen das ich mich damit entschieden hatte. Er gab mir also wiederholt zu verstehen, diese Geige sei ein Fehlgriff gewesen.

    Ich blieb aber ziemlich stur, denn zu helle Geigen (in bezug auf den Klang) habe ich nie richtig gemocht, für mich war die Geige genau richtig so. Da gab es dann gewisse Konflikte ... ;)

    Leider entwickelte sich der Klang dann in der Folgezeit tatsächlich negativ, d.h. die Geige wurde immer matter und verlor an Ansprache. Mein Lehrer sah sich in seinen Warnungen bestätigt, und ich vermutete schon, Sagert hätte die Geige eventuell "gebacken" oder die Decke zu dünn gearbeitet (ausgeschachtelt). Fragen konnte ich ihn nicht mehr, denn er war in der Zwischenzeit verstorben.

    Nach einiger Zeit gab ich sie zu einem Händler an der holländischen Grenze, der den jetzigen Steg schneiden ließ und versuchte, sie zu verkaufen. In der Zwischenzeit machte ich mein Geigendiplom notgedrungen auf einer Geige, die buchstäblich vom Flohmarkt für damals 300 DM gekauft worden war.

    Nach zwei Jahren kam diese Geige hier als unverkäuflich zurück, schlecht klingend. Reinste Pappe. Allerdings war sie nun an der Zarge offen. Ich brachte sie zum Geigenbauer Pfalzgraf in Hannover zum Leimen ... und zack, war der alte Klang wieder da. Offensichtlich war eine Leimung von innen her aufgegangen, von außen nicht sichtbar, und niemand hatte das Problem identifizieren können.

    Seitdem habe ich das Instrument oft und viel gespielt, und sehr viel Lob für den Klang gehört. Am Anfang diesen Jahres habe ich es dann zu dem jungen Geigenbauer Lieberwirth in Hannover gegeben, um den Boden, der mir immer etwas schwer und fest vorkam, nacharbeiten zu lassen. Anlass war, dass ich eine Geige von Lieberwirth gespielt hatte, und merkte, der Mann kann richtig gut bauen. Ihm nun meine Lieblingsgeige zu überlassen, war ein Sprung ins kalte Wasser, auch diesmal wieder aus dem Gefühl heraus. Er bestätigte, dass der Boden nach seiner Meinung etwas zu steif war und arbeitete diesen nach. Seitdem ist die Ansprache der Geige noch besser geworden und der Ton noch etwas mehr in Richtung "crunchy" gegangen.

    So, das ist nun wirklich so ziemlich alles, was ich über diese Geige weiß :)

  • ...das ist schon ein tolles Instrument! Mir gefällt die auch optisch sehr- unaufgeregt, schlicht, sehr gut gearbeitet.


    Interessant ist, dass manche Instrumente durch (unkritische) Risse bzw. sich lösende Verleimungen besser klingen- nämlich dann, wenn diese durch falsche Spannung im Instrument zustandekommt und sich das Instrument quasi „zurechtrückt“.


    Die Regel ist das aber nicht... wie man an Deinen Erfahrungen sieht.


    Ich bin auch kein Freund heller Instrumente... Ich spiele nur noch selten Geige (nur noch Cello), und meine Geige ist absolut unspektakulär und wertarm. Aber sie hat für mich das gewisse warme Etwas im Ton.


    Übrigens hat eins meiner Celli einen einteiligen Pappelboden- klanglich sehr interessant. Selbst bei grobem Bogengebrauch wird dieses Instrument nie schrill. Bei zu wenig akzentuierter Bogentechnik wird es tonlich schnell „verwaschen“, und es wäre selbst mit Supertechnik als Soloinstrument ungeeignet. Für Kammermusik ist es aber ideal, da fügt es sich wunderbar ein und da bringt gerade das „Verwaschene“ und die „Bassbetonung“ ein prima Fundament ein.

  • Diese Geige scheint vom Schicksal in deinem Besitz gelassen zu werden.....

    Ich habe bis vor drei Jahren in Hannover über 20 Jahre in Hannover gelebt (ich wurde dort geboren), also sind mir einige Namen die du nennst ein Begriff.

    Lebt Herr Pfalzgraf noch bzw. führt er sein Geschäft noch? Stimmt das "Gerücht" das Herr Martinelli nach Belgrad verzogen ist?