Kann es eine Geige aus Mittenwald sein

  • Hallo liebe Geigen freunde. Ich habe bei EBAY zu geschlagen. Die Geige hatte kein Lack oder er wurde komplett entfernt.
    Der Zettel Neuner und Hornsteiner halte ich für falsch. Auch das Alter da der Hals nicht durchgängig ist und die Geige bis auf den Wurmfrass keine
    Abnutzungen aufweist nicht mal die kleinste Delle oder Kratzer. Die Zarge am Knopf ist durchgängig und die Riemchen sind in die Ecklötze eingearbeitet.
    Was meint Ihr Mittenwald, Neuner und Hornsteiner ja, nein, vielleicht.
    Sollte so eine Geige in der Decke nachgearbeitet werden Werttechnich glaube ich kann man nichts mehr verschlimmern. Klanglich vielleicht verbessern.

  • Ich sehe nix, was gegen Mittenwald spricht. Beim Zettel bin ich auch skeptisch. Aber ob nun Mittenwalder anonym oder Neuner & Hornsteiner macht werttechnisch keinen Riesenunterschied.


    Die sieht doch ganz gut aus- ordentlich zurechtmachen, dann ist die schon nett.

  • Ich sehe ebenfalls nichts was gegen Mittenwald spricht.
    Ich hatte die Geige auch gesehen, der Arbeitsaufwand war mir dann doch zu groß.
    Die Geige hat jedoch nach meinem Geschmack eine schöne Formgebung, Ausarbeitung und Holz etc.
    Mit einer schönen und passenden Farbe (Ich sehe die Geige vor meinem geistigen Auge Goldorange-Rotorange) ist das sicherlich eine schöne. Ich hoffe sie klingt dann auch gut und die Arbeit lohnt sich im Endeffekt.
    MfG

  • Auf jeden Fall Mittenwalder Bauweise. Die Maße/ Wölbung/ Dicke Boden und Decke wäre noch interessant. Ich vermute, der Lack wurde nicht entfernt, da sonst irgendwo minimale Farbreste zu sehen wären.


    Dentrochronologie ist ja nicht zu empfehlen weil zu teuer ;)


    Aber man könnte einen einfachen Lichtkasten einsetzen. Wenn sehr wenig Licht durchgeht ist das Hoz älter 60 Jahre. An meinem Kasten prüfe ich so die Altersangabe des Deckenholzes der Händler als einfache, semiquantitative Konventionsmethode bei Deckenstärke von 2,6- 5,0 mm. Auch um die Decken auszuarbeiten bei unregelmäßiger Holzdichte. Habe aber Referenzwerte.


    Ich könnte mir aber vorstellen dass es sich um eine weiße Geige aus Rumänien speziell für Mittenwalder Geigenbauer zur kostengünstigen Fertigstellung der Standardlinie handelt, relativ neu. Dafür sprechen auch die nicht ganz sauber eingebauten Reifchen gegen die Zarge. Auch das nichtausgearbeitete Griffbrett ist typisch. Andererseits wurde die Geige wohl gespielt wie an den Stegabdrücken zu sehen ist. Wurmlöcher haben sich manchmal sehr schnell.


    Mit den Messdaten würde ich dann ein Modell aussuchen, Decke und Boden gegebenenfalls nacharbeiten und wieder verleimen. Davor vielleicht Grundierung innen?
    Tipp: Decke und Boden nie gleichzeitig von Zarge entfernen.
    Viel Spass

  • Hast du denn eine UV-Kabine zum Lack trocknen? Sonst braucht der Lackaufbau ja Monate. Deshalb schrecke ich vor so was zurück. Ich habe ja für kleinere Lackreparaturen schon Wochen gebraucht.

  • Du hast mich leider immer noch nicht richtig verstanden. Wie ich bereits mehrmals sagte, halte ich sowohl viel von Dendrochronologie als auch von anderen wissenschaftlichen Diagnoseverfahren.


    Eine Dendrochronologie ist aber bei der Frage, ob eine Geige von 1794 oder 1810 stammt, und ob sie von Geigenbauer X oder doch seinem Gesellen stammt, nicht trennscharf. Mal ein Beispiel dazu: Langzeit-EKG. Nur weil ich der Meinung bin, dass das für die Hautkrebsdiagnose nicht aussagekräftig ist, heisst das doch nicht, dass ich nix von Langzeit-EKGs halte... ;)


    Aber um bei diesem Thread zu bleiben: Ja, es sieht sehr nach einer Mittenwalder Geige aus. Und ja, es kann alte Weissware sein, die aus irgendeiner aufgelösten Werkstatt stammt, sei es nun aus Mittenwald oder einem Zulieferer. Das würde den fehlenden Lack und fehlende Spielspuren erklären.


    Und in diesem Fall wäre -sofern man das nötige Kleingeld investieren will- eine dendrochronologische Untersuchung interessant. An die Jahreszahl des Zettels glaube ich nicht, ich verorte die Geige ca. 100 Jahre später.

  • Heute oder spätestens morgen soll die Geige laut Sendungsnummer bei mir Eintreffen. Dann ist es auch möglich genauer zu schaun ob es lackreste gibt oder nicht. Um jetzt heraus zu finden wo eine Geige Anzusiedeln ist habe ich bisher bei zwei Geigen die Dendrochronologie angewandt.
    Aber es muss schon wirklich einen treftigen Grung geben. Bei der einem war es ein Puzzel was fehlte das war die Wutzlhofer und bei der anderen das vielleicht sehr hohe alter. Aber jedes mal kostet der spass 250€ das sollte wohl überlegt sein.
    Was sagt die Dendrochronologie verlässlich aus zum einen wie alt das Holz ist und zum anderen aus welcher Region es stammen könnte. Sie sagt nicht aus wer die Geige gebaut hat auch wenn immer Refernzgeigen mit aufgeführt werden. Bei diesen wurde nie die Echheit Überprüft.


    Kommen wir zurück zur Geige. Ich würde wie Braaatsch auch eher in den zeitraum gehen um 1900 bis 1960. Es erklärt einfach nicht das eine Weißware 200 Jahre irgendwo liegt und nicht fertig gestellt wurde. Schließlich ist mit Geigen ja Geld zu verdienen.
    Ich kann mir aber vorstellen wenn eine Manufaktur Pleite gegeangen ist das konvolut von jemanden Aufgekauft wurde. Noch Heute bekommt man Geigen Rohlinge Decke Boden Zarge und auch nicht bearbeitetes Holz von den Framus Werken.
    Für mich ist diese Geige die Gelegenheit vielleicht am Holz was zu verändern. Die Stärken zu messen und hier und da etwas zu bearbeiten. ( vielleicht hat ja einer eine darstellung wie Dick das Holz an verschiedenen stellen sein sollte)
    Wenn ich dann 1000€ investiere in Lack und Ausstatung könnte eine feine Geige heraus kommen die im Jahre 2020 ferigstellt wurde.
    Sowas finde ich schon wieder spannend. Und da ich mit Lackarbeiten auf dem Kriegsfuss stehe und Herr Müller dort sehr gute Arbeit leistet, wird es eine Arbeit sein die ich gerne vergebe.

  • ;) , ich mach‘ doch nur Sprüche ,lieber Braaatsch. Es geht nicht um Leben oder Tod, es ist in Wirklichkeit viel ernster!


    Ohne UV Licht geht in der modernen Lackiererei gar nix. Nach zwei Wochen wird das helle Holz schon ganz schön goldig, immer ein begrüßenswerter Effekt. Zum beschleunigen der Polymerisation ist UV Licht auch gut immer gut.


    Das mit dem Lichtkasten wäre interessant. Aus irgendwelchen Gründen lassen Fichtendecken nach 100 Jahren fast nichts mehr durch.Die Decke im Beispiel ist 1,8-3,9 mm dick. Es stammt aus einem Experiment mit trommelartiger Dickenverteilung was sich nicht bewährt hat.
    Das andere Bild ist der Versuch einer Lackbefreiung nur mit Ziehklinge. Recht aufwändig und es bleiben immer Reste.Das andere Bild ist der Versuch einer Lackbefreiung nur mit Ziehklinge. Recht aufwändig und es bleiben immer Reste.
    Das messen der Deckendicke beziehungsweise Bodendicke bei aufgeleimtem Bassbalken beziehungsweise aufgeleimter Zarge ist nicht einfach. Dafür das spezielle Messgerät.


    Auf dem anderen Bild eine Hilfsapparatur um Boden, Decke, Zarge jeweils separat aber gleichzeitig zu Justieren.

  • Es gibt für den Geigenbau diese Stärkenmessgeräte...


    Die „Stärkengeographie“ der Decke ist eine Wissenschaft für sich. Es gibt da durchaus Schemata (z.B. im Möckel, und ich glaube auch Apian-Bennewitz), aber das sind nur Richtwerte. Je nach Holz (Breite der Jahresringe/Festigkeit) muss es dicker belassen oder dünner ausgearbeitet werden. Dünne Decken sprechen leichter an, können aber auch schrill im Ton werden oder wenig tragfähig sein. Dicke Decken sprechen schwerer an, sind aber tonlich manchmal tragfähiger und ausgeglichener, weicher. Das sind aber nur Tendenzen...!


    In den alten Geigenbaubüchern ist die Stärkengeographie daher zwar angegeben, viel mehr Augenmerk wird aber auf die klangliche Abstimmung zwischen Decke und Boden gelegt, z.B. mittels aufeinander abgestimmten Eigenfrequenzen.

  • ?( Ohne Dickenmessung komme ich gar nicht in die Verlegenheit der Abstimmung. Ohne Messung erhalte ich nur perforierte Decken.
    Ich kann nur Schritt für Schritt vorgehen. In diesem Sinne verabschiede ich mich und wünsche eine gute Zeit.