Füssen oder Sachsen

  • Bei Dendrochronologie bin ich vorsichtig. Meist ist das rausgeschmissenes Geld- die Geige ist frühestens um 1800 entstanden, also es geht da nicht um eine Datierung 1600. Das Holz, was verwendet wurde, ist in jedem Fall älter als die gebaute Geige- und auch eine Geige, welche um 1900 gebaut wurde, kann aus Holz von 1700 gebaut worden sein.


    Man kann mit der Dendrochronologie sehen, ob Holz jünger ist (also erst um 1900 geschlagen wurde...) und dann ein früheres Datum der Geige ausschliessen. Bei einem Instrument aus dem 19. Jahrhundert (1795-1850) lohnt sich das allerdings nicht-da ist das Baujahr schon sehr eingegrenzt, und die Machart/Verarbeitung deutlich aussagekräftiger. Ein Geigenbauer, der die Geige in der Hand hat und mal reinschaut, sieht, ob die Geige zusammengehörig ist und ob es ein guter Vogtlandnachbau oder eine Süddeutsche/Alpenländische ist.


    Ganz ohne Dendrochronologie- ein in bestimmten Fällen (das sind aber wenige!) nützliches Verfahren.

  • ....ich sehe gerade in diesem Fall die Dendrochronologie als sehr hilfreich an. Laut Lüttgendorf Band 2 erinnern die Geigen des Johann Stephan Maldoner mehr an die Mittenwalder Schule als an die Füssener Schule,wo er auch gelernt haben sollte. Des weiteren sind die Vergleichsinstrumente in diesem Falle sehr rar. Außerdem gibt es laut modernere Literatur noch einige andere Maldoner. Wenn nun die Analyse ein Fällungsdatum von 1810-1840 ergibt, Ist der Erbauer auf jeden Fall nicht Johann Stefan der 1809 gestorben ist. Wenn das Fällungsdatum 1910 ist ist es definitiv gar keine Maldoner, sondern eben eine Kopie oder eine Fälschung. In dem Beispiel Diagramm kann man sehr schön sehen , Dass die beiden Geigen einmal nicht vor 1902 das andere mal nicht vor 1894 gefällt wurden. Richtig ist, dass die Interpretation manchmal schwieriger ist. Wenn man Glück hat kann man aber sogar die Region zu ordnen. Die Vergleichszahlen von zum Beispiel Peter Radcliff (Dentrochronolge) steigen ständig an, Die Aussagen werden deswegen immer genauer.

  • Meines Wissens nach wurde 1900 keine Geige aus 200 Jahre alten Holz gebaut. Heute im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung steht entsprechend altes Holz zur Verfügung genauso wie Informationen über die verschiedenen Geigenbau-Schulen.Im Bild eine Violine aus 800 Jahre altem Holz. Erkennbar mit bloßem Auge anhand der Zwischeneiszeit circa 60 Jahre auf 1 cm Decken Breite.

  • Natürlich werden die Vorhersagen der Dendrochronologie immer genauer, das bestreite ich gar nicht, im Gegenteil.


    Hier handelt es sich um ein Instrument, dessen Machart sehr ins 19. Jahrhundert passt. Und wie Du ganz richtig schreibst, wurde da auch schon alles gefälscht, was nicht bei Drei auf den Bäumen war.


    Bei einem Baujahr von 1794 muss das Holz vor 1794 bzw. 1790 (es muss ja noch ablagern!) gefällt worden sein. Angenommen, die Dendrochronologie ergibt „1790“. Dann ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Geige erst 1810 oder 1840 entstanden ist, denn das meine ich mit „zu kurzem Zeitfenster“ zur Differenzierung.


    Erstens handelt es sich dann nicht um „200 Jahre altes Holz“, sondern eben nur um 20-50 Jahre (und in einer von einer Familie immer weiter geführten Werkstatt ist das durchaus r möglich!), und zweitens kann der Baum 1795 gefällt worden sein, aber das Holzteil (eine Geige ist ja schmal!) nur ältere Jahresringe umfassen, weil die 5 letzten eben „nicht mit drauf“ sind.


    Es stimmt natürlich, dass Holz von 1810 nicht von 1794 sein kann, und damit der Zettel nicht stimmt. Ich würde trotzdem erst mal einen Geigenbauer/spezialisierten Gutachter fragen, bevor ich so ein teures Verfahren in Auftrag geben würde.


    Denn auch wenn das Holz zur Zeit passt, ist wie oben ausgeführt nicht klar, WANN die Geige gebaut wurde, und auch nicht, von WEM. Kann ja auch ein zeitgenössischer Kopist sein.


    Und spätere „Kirchenbankkopien“ sind auch nicht ausgeschlossen.

  • Meine weiteren "Forschungen" ergaben folgendes:



    1.Brompton´s bot in der Auktion vom 8.12.2014 eine Maldoner zugeschriebene Geige (Füssen 1777),die im Internet abgebildet ist, zum Verkauf an.Aus urheberrechtlichen Gründen habe ich es nicht gewagt, das dort abgebildete Foto der Schnecke und des Halses zu kopieren.Die Ähnlichkeit ist jedenfalls überraschend.Daß damit kein Beweis der Echtheit geführt wird, ist mir bewußt.Die dortige Geige ist Maldoner lediglich "attributed".
    2.Die Anregung von Chiocchola aufgreifend habe ich mich deshalb daran gemacht, den Innenkörper der Geige mit Hilfe von Reiskörnern vom Staub zu befreien.Der Reparaturvermerk des Herrn "Neher" wurde dabei klarer.Es wurde die Ortsangabe" Gmünd "ersichtlich.
    Schwäbisch-Gmünd-eine frühere Reichsstadt-hieß von 1805 bis 1934 Gmünd.Dort war ein Herr Neher Anfang des 19. Jahrhunderts als Instrumentenmacher tätig.Was mir mißfällt ist allerdings die recht moderne Schrift dieses Herrn im Jahre 1833.Sind Fälscher tatsächlich so kreativ?
    3.Der Besuch bei Herrn Köstler ist vorgemerkt. Danke für alle Anregungen und Hinweise.

  • Klar sind Fälscher kreativ, und nicht alle total blöde ;)


    Sprich, wenn man Reparaturzettel fälscht -was oft geschieht- nimmt man natürlich auch eine existente Werkstatt mit passendem Datum.


    Und bei einer guten Fälschung ist es nicht verwunderlich, wenn es Ähnlichkeiten gibt. ABER. Wenn es nur wenige Vergleichsinstrumente gibt, und es trotzdem Ähnlichkeiten gibt, steigt die Chance auf Echtheit. Denn damals gab es keine Fotos im Internet, die sich ein Geigenbauer ansehen konnte und dann das Instrument nach dem Foto ähnlich „kopieren“ konnte. Also handelt es sich wirklich um den Erbauer, oder aber jemanden aus seinem Umkreis (Lehrling, direkter Kollege,...), oder jemanden, der aus welchen anderen Gründen auch immer ein „Originalinstrument“ vorliegen hatte.


    Oder aber -auch das ist schon vorgekommen, allerdings mit erfundenen Namen- einen wirklich schlauen Fälscher, der mehrere ähnliche Instrumente anfertigt, und geschickt auf dem Kunstmarkt/Geigenmarkt verteilt, so dass eins als Referenz für das andere hergenommen wird.


    Schrift: Mir ist das Foto zu unscharf, um das beurteilen zu können. Allerdings wurde damals nicht immer in „Sütterlin“ (damals Currentschrift/Kanzleischrift und erst später nach Sütterlin benannt, welcher sie katalogisierte und standardisierte!) geschrieben, sondern auch in Schriften, die etwas moderner wirken.


    Um das besser zu beurteilen, müsste das Foto schärfer sein. Probiere mal Folgendes: Leuchte mit Taschenlampe o.Ä. in das andere F-Loch, und fotografiere dann ohne Blitz. Vielleicht bekommst Du es schärfer.

  • ...vielen Dank! Schön, dass es so direkt weitergeht. Die Bilder sind schon besser, aber noch nicht richtig gut. Dies ist kein Vorwurf, man muss entweder eine super Optik haben oder die Geige einfach aufmachen.Bei offener Geige kann man die Dicke von Decke und Boden vermessen, Qualität der Reifen und Klötzchen überprüfen, das Teil reinigen, eine Bassbalken Analyse machen, das Etikett vorsichtig ablösen, Papieranalyse, Schrift Analyse, etc. und vieles mehr.
    grundsätzlich kann man so Kopisten aus der Zeit ganz gut erkennen.Die wirklich guten,modernen Kopisten sind schon schwieriger. Aber die halten sich aus preislichen Gründen eher an neuere italienische Geigen. Falls es um richtig teuerere Geigen geht sollte man beim aufmachen der Geige gleich fachmännisch Staubproben und Holzproben entnehmen. Bei den Lackproben muss man peinlich unterscheiden zwischen Reparaturlack und Originallack.
    innovativer Forschung funktioniert so und nur so. Natürlich ist die Prüfung durch einen renommierten Geigengutachter mit gutem Auge auch nicht zu verachten.( und eher/billiger auf dem Markt angeboten).
    Der wahre Gewinn ist die Kombination beider Methoden mit Schwerpunkt auf der Naturwissenschaftlichen Analytik die natürlich sehr komplex und vollständig sein muss.
    Zurück zu den Bildern der Schriftzüge: Sie sollten Messer scharf sein. Oder zumindest so scharf sein dass man unterscheiden könnte ob sie, falls mit Tinte, mit Rohrfeder oder Stahlfeder geschrieben sind.


    Aus Rechnungen um 1770/1773 wurden Füssener Geigen zu zwei Gulden gehandelt, Mittenwalder Geigen hingegen zur drei Gulden 6 Kreuzer und 6 Heller.
    Johann Stephan Maldoner Lebte von 1739-1809 in Füssen. Seine Geigen erinnern angeblich mehr an Mittenwalder denn an Füssener Schule. Statistisch wahrscheinlich ist das sie eine Kopie in Händen halten.Für den Fall jedoch, dass sie zumindest einen echten Corpus mit angesetzten neueren Hals besitzen, gehen Sie angemessen und vorsichtig vor.
    Nachzutragen wäre noch, dass Johann Stephan Maldoner Zwei Söhne hatte: Hans Michael 1770, Magnus Anton 1773, die wohl beide auch Geigenbauen konnten. Die Geigenbauer in dieser Zeit gehörten zu den deutlich schlecht verdienenden Handwerksberufen. Man könnte sicher nachschauen was Maldoner an Steuern bezahlte und danach ein einordnen ob er den Geigenbauerberuf als Nebenberuf betrieb. Das würde auch die wenigen erhaltenen Instrumente erklären. Müsste man im Stadtarchiv Füssen nachgucken.

  • Den Bildern:
    1. interpretationsfähige Schriftzug
    2. aussagefähige Blick auf ein Klötzchen wie man ihn nur bei offener Geige hat
    3.Beispiel für eine eins zu eins Kopie an einer Hornsteiner Bratschendecke. Maximale Wölbungsvarianz zum Orginal derzeit 0,03 mm. Kann sich durch geringfügigen Trocknungsprozess/Alterungsprozess noch minimal verändern. Holz jedoch 40 Jahre alt und „künstlich geflößt“.

  • Was mich eher wundert ist, dass kein Reparaturzettel genommen wurde, sondern direkt auf das Holz geschrieben wurde. Da wird es schwieriger, Rohr-und Stahlfeder zu unterscheiden. Und das wäre auch in diesem Fall völlig egal, da es Stahlfedern 1830 schon als Massenprodukte gab. Ob er eine besass oder nicht, weiss man natürlich nicht- aber prinzipiell waren Stahlfedern zu dieser Zeit verfügbar.


    Die wenig flüssige Schrift lässt zwei Erklärungen zu: Entweder hat dort jemand Buchstabe für Buchstabe imitiert, oder -da direkt auf das Holz geschrieben wurde- das Holz durch Saugwirkung mehr Tinte gezogen, was ein abgehackteres Schriftbild zur Folge haben kann.


    Bevor man hier die ganz grossen Geschütze auffährt, kann ein auf Geigen diese Zeit und Herkunft spezialisierter Geigenbauer schon erstmal weiterhelfen.


    Und die ganze Theorie oben schön und gut- aber ich empfehle immer die Lektüre von Eric Hebborns „Kunstfälschers Handbuch“, um zu sehen, wie geschickt Fälscher vorgehen können, und dass wirklich alles gefälscht werden kann.


    Thema Papier z.B.: Es ist überhaupt keine Kunst und inzwischen dank Ebay auch nicht mehr allzu teuer, echte alte Bücher aufzutreiben, und sich dort am Vorsatzpapier zu bedienen (und um 1880/1900 waren solche Bücher noch einfacher verfügbar!). Da kann man die teuerste Papieranalyse in Auftrag geben, und wird trotzdem getäuscht. Selbst Alterungsspuren von Sepiatinte (die frisst nach Jahren Papier an!) können imitiert werden...


    Sprich: Auch wenn es inzwischen zahlreiche „naturwissenschaftliche“ Verfahren gibt, so sind diese guten Fälschern auch bekannt (das ist deren Handwerkszeug...!). Und gute (!!!) Fälscher hatten auch damals schon sehr gute Kenntnisse. Desweiteren: Je näher ein Imitat zeitlich am Original liegt, desto eher versagen „naturwissenschaftliche“ Verfahren.


    Daher- eine schlechte Kopie kommt schon durch eine Inaugenscheinnahme seitens eines Geigengutachtes ans Licht, eine wirklich gute Kopie lässt sich fast nicht aufdecken. Aber das würde ich auch bei einer Füssener Geige nicht erwarten, und daher dem Urteil eunes/mehrere Experten Glauben schenken.


    Die Echtheit lässt sich nicht beweisen, nur eine Fälschung lässt sich beweisen.