Strippen oder nicht

  • Hallo liebes Forum,


    ich spiele seit rund 5 Jahren Geige nachdem ich auf dem Dachboden meines Elternhauses das Instrument meines Großvaters gefunden habe. Eine typische einfache Böhmische Schönheit aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts, dass ich nach dem Fund zu einem Geigenbauer gebracht habe, der es für mich spielfertig gemacht hat. Nachdem recht gerne (und besonders recht falsch) spiele wollte ich mir nun, um die Stehzeiten in der Arbeit zu überbrücken (manchmal arbeitet mein Rechner ohne mich bis zu einer halben Stunde), eine zweite Geige besorgen um auf Ihr "stumm" spielen zu können.
    Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass für diesen Zweck, mein Talent und mein absolutes Gehör (entspricht wohl dem einer Weinbergschnecke) ein Fernöstliches Gustostück für 40€ von ebay völlig ausreichend wäre. Ich wollte aber etwas Altes und nachdem ich handwerklich doch recht begabt bin habe ich mich bei verschiedenen Onlinemarktplätzen nach etwas Gebrauchtem, Lädiertem und Billigem umgesehen.
    Ich habe mich dann in ein Stück mit einem einteiligen, wunderschön geflammten Rücken verliebt. In erbarmungswürdigen Zustand leider, dafür natürlich recht günstig. Vermutlich eine Schülergeige aus der selben Zeit wie die meines Großvaters, ohne Zettel oder irgendwelche Markierungen innen (Hier einen Dank an meine Endoskopkamera :-). Der gröbste Mangel ist wohl, dass jmd versucht hat, die dicke Kolophoniumschicht auf dem Gerät mit Alkohol zu entfernen und den Lack unrettbar zerstört hat. ;( Zu dem kommen noch etliche Schrammen und Kratzer. Obwohl ich eigentlich so viel wie möglich der alten Geige erhalten will, glaube ich doch, dass es einfacher ist bzw. dass ich ein schöneres Ergebnis erziele, wenn ich das Instrument endgültig von seinem lediertem Lackmantel befreie und Ihm eine neues Aussehen gebe.
    Nun zu meiner ersten Frage:
    Bei genauerer Betrachtung des Bodens ist mir aufgefallen, dass die Flammen auch auf den Randeinlagen sichtbar sind. Anfänglich habe ich gedacht, dass einfach jmd anstelle der Einlegearbeiten einfach nur zwei Striche gemalt hat, aber unter der Lupe sieht man dann doch die Maserung des anderen Holzes. Kann es sein, dass die "Flammen" lediglich aufgemalt sind? Habe von sowas noch nie etwas gelesen. Zumindest nicht in so realistischer Form. Mir gefällt, wie bereits gesagt, der Boden so wie er ist. Und wenn ich die Violine komplett ausziehe würde diese Malerei (wenn es denn eine ist) verschwinden. In diesem Fall müsste ich also zumindest den Boden lassen, wie er ist und versuchen bei dem restlichen Instrument diesen Farbton zu erreichen.

  • Die Flammen sehen aufgemalt aus. Man sieht es mit der Lupe, die Flammen kommen normalerweise durch eine
    andere Struktur / Maserung des Holzes. Auf deiner Vergrößerung sieht die Struktur gleich aus, nur abgedunkelt.
    Also aufgemalt.
    Wobei das so täuschend echt ist ... geh mal selber mit der Lupe ran. Man erkennt es deutlich im Vergleich
    mit einer richtigen Flammung.

  • Ja, das Aufmalen von Flammen war sehr beliebt damals. Das ist also nichts Ungewöhnliches. Ob die Flammen gemalt sind oder nicht sieht man, wenn man die Geige bewegt und aus verschiedenen Winkel draufschaut. Echte Flammen "wechseln", gemalte Flammen sehen aus jedem Winkel gleich aus.


    Neulackierung: Ich rate eher davon ab. Ich habe bisher nur wenige Geigen gesehen, die hinterher schöner aussahen als vorher. Dazu gehört deutlich mehr als "Lack ab" und "neuer Lack drauf".


    Lack ab: So wie das auf der Decke aussieht, ist der "missglückte" Reinigungsversuch vermutlich tief ins Holz eingedrungen, in diesem Falle müsste man sehr tief ausschleifen- und das würde die Decke schwächen und die Geige komplett ruinieren. Oder man lebt eben mit einem Fleck unter dem Neulack, aber dann kann man sich das Ganze eigentlich auch sparen. Ganz abgesehen noch von der fragwürdigen Situation am Boden, Stichwort Flammung.


    Lack drauf: Zum Lackieren braucht man erstens guten Geigenlack, der in mehreren Schichten draufmuss. Lackiersets (z.B. Hammerl) sind teurer als die Geige wert ist. Es gibt viele Lackrezepte im Netz, wenn man Spass dran hat, kann man die ausprobieren. Ganz billig wird das alles aber -wenn man es richtig machen will- nicht. Das Lackieren selber ist eine "Sauarbeit"- Lackieren, anschleifen, lackieren, anschleifen....und am Ende sieht es meistens doch irgendwie fleckig aus. Richtig gutes Lackieren ist eine Kunst, die selbst nicht mal jeder Geigenbauer beherrscht. Bei den Manufakturgeigen war das damals so, dass das Lackieren oft von Leuten gemacht wurde, die ihr Lebtag nichts anderes gemacht haben als Geigen zu lackieren. Daher ist der Lack auch einfacher sächsisch-böhmischer Geigen oft recht schön und manchmal das qualitativ Hochwertigste am ganzen Instrument.


    "Patina": Wenn du die Geige lackierst, wird sie hinterher im besten Falle so aussehen wie ein gutes neues Chinainstrument. Der Charme des alten Instrumentes geht einfach verloren.

  • Ich möchte mich Braaatsch und Fiddler anschließen was das lackieren angeht. Ich würde aber trotzdem nicht den Kopf hängen lassen. Patina macht eine Geige Intressant und klanglich kann eine geige auch ohne Flammung besser klingen als eine mit Flammung.

  • Laut Möckel soll weniger geflammtes Holz sogar besser klingen, da die Fasern homogener liegen. Dass z.B. auch der wunderschöne Vogelaugenahorn klanglich nicht besser ist ist ja auch bekannt.


    Letztendlich ist das Holz das Eine, Verarbeitung das Zweite, und Klangeinstellung das Entscheidende. Mit guten Saiten, einem guten Steg und wirklich guter Klangeinstellung könnte man aus so mancher einfachen Geige Erstaunliches herausholen- nur machen das wenige Leute, da „das Instrument ja nix wert ist“. Zum Selberspielen lohnt es sich aber meistens schon, gerade auch bei alten Sachsen/Böhmengeigen. Das Holz ist 100 Jahre durchgetrocknet....

  • Danke für die vielen Antworten,


    das mit dem "im Licht kippen" ist mir auch aufgefallen, da sich bei meiner Spiel-Geige die Maserung dabei scheinbar komplett ändert und die der "neuen alten" bleibt, wie sie ist. Schade, aber keine Tragik :)
    Und wie Fiddler schon festgestellt hat, klanglich ist auch nicht soooo wichtig.
    Ich will mir ja was sagen lassen, also komplett ausziehen ist nicht drin. Trotzdem werde ich versuchen, die große Schadstellen ein wenig aufzuhübschen.
    da mich der aufgelöste Lack einfach stört.
    Es muss ja nicht der ganze Fleck verschwinden aber zumindest möchte ich wieder eine homogene Oberfläche ohne spürbare Wellen, also werde ich um schleifen und neu lackieren nicht herumkommen.
    Außerdem geht es mir ja auch darum, etwas zu "basteln" bzw. zu experimentieren.

  • Ich habe mal eine "Sachsen-Stradivari" mit ähnlichen Lackschäden recht gut mit Clou Möbel Lasur Lack "natur" (125 ml für ca. 5 Euro) retouchiert. M.E.kann es dadurch optisch eigentlich nur besser werden. Einen teueren speziellen Geigenlack dafür zu besorgen, halte ich auch für nicht angemessen.


    Viel Erfolg wünscht


    Rainer

  • Hallo liebes Forum,


    hab mich nach längerem hin und her dazu entschlossen, den Fleck Fleck sein zu lassen und mir "einfach" selbst eine Geige zu bauen.
    Es wird dann zwar keine alte, wie ich es mir eigentlich gewünscht habe, dafür steckt dann mein Schweiß drinnen. Und ja, ich bin mir der Tatsache bewusst, dass das keine Meistergeige wird und die Kosten wesentlich höher werden als ein gleichwertiges Produkt fertig zu erstehen, aber ich spiele sowieso so schlecht, da macht es keinen Unterschied ;)
    Begonnen habe ich schon mal mit der Geigen-Innenform. Die kann man ja online günstig erwerben aber ich hab dann nach dem System "wenn schon denn schon" mittels der Stradivarischen Kreiskonstruktion mir eine CAD-Variante erstellt und mir diese dann aus 2x 8mm Spanplatten lasern lassen. (hat mich 35€ gekostet)
    Das Holz habe ich gänzlich aus der näheren Umgebung bezogen. Das finde ich einfach romantischer, als russischen Ahorn oder ähnliches. Glücklicherweise fand ich einen Tonholzproduzent (Bin aus Österreich, wir haben viel Wald ;-), der China und Japan mit hochwertigem Holz für Klaviere und Gitarren versorgt und früher auch mit Holz für Violinen gehandelt hat. Aus dieser Zeit existiert noch ein schönes altes Lager mit verstaubten Decken-, Boden-, Zargen- und Halsrohlingen (so in etwa aus dem Jahr 2000). War dann auch nicht soooo teuer. Dann noch bei einem Standard-Sägewerk ein wenig Weidenholz (schon passend grob zurechtgeschnitten) fürs Innenleben.
    Das ganze wird mit in die Arbeit genommen und soll mich so die nächsten 2 Jahre über meine Pausen bringen. Werde so viel wie möglich manuell machen. Ich hoff, ich bekomm's irgendwie hin.
    Materialfoto kommt noch.