Geigenrätsel: Woher stammt diese Geige und wann?

  • Gestern fand ich diese Geige in einem Schuppen nahe an der tschechischen Grenze. Ich kaufte sie aus purem Mitleid für 50 €. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie verdreckt die war. Sie war in Zeitungspapier eingewickelt, das zumindest eine gewisse Ahnung über ihr Mindestalter vermittelt.
    Sie hat keinen Zettel und keine sonstigen Signaturen.
    Woher könnte die Geige stammen und wann etwa wurde sie hergestellt?
    Ich glaube, ich habe schon zuviel gesagt?

  • Ich würde Sie für älter Einschätzen und das der Lack früher eine Überarbeitung erhalten hat.
    Wie ich das sehe ist der Hals angesetzt, Wie sieht es im inneren aus Ecklötze und Halsaufnahme sowie die Länge vom Bassbalken. Auch deutet es darauf hin das das Griffbrett etwas kürzer ist. Vielleicht Barrockbauweise.

  • Barock sehe ich da gar nicht. Hätte violix zugestimmt, allerdings ab 1910 könnte ich nicht ausschließen. Schönbach käme auch inFrage, wenn es nach 1930 ist.
    Die Decke sieht aus als hätte man kein Klangholz mehr gehabt und was aus dem Lattenrost genommen...

  • Ich tippe auf Raum Klingenthal bzw. böhmische Grenzregion, allerdings auch älter, ca. 1880-1910. Die haben da noch lange so einen Stilmix mit "barocken" und modernen Einflüssen fabriziert. Die alte Klingenthaler Form ist das schon nicht mehr. Ich kann nicht erkennen, ob der Untersatel tief eingezogen ist- dann könnte sie älter sein. Wenn nicht (so sieht es aus), dann eher so zm 1900.

  • es ist alles sehr interessant Eure Analysen zu lesen. Sicheres weiß ich auch nicht.
    Die Geige gehörte einem Hersteller und Händler von Schulbänken aus Wien, D.G. Fischel. Seine Fabrik führte er auch nach dem WK1 in Böhmen weiter.
    Ebenso war die Geige in eine Zeitung eingewickelt, die mit November 1924 datiert ist.
    Ich schätze daher doch sie ist aus dem böhm. Vogtland so +-1900. Stilistisch ist sie etwas eigen, der Boden erinnert eher an Cremoneser, die Decke eher an die Klingenthaler Schule. Auch ist der Hals mit seinem einfachen Ahorn ein Stilbruch. Er ist mit 12,3cm Halsmensur ca. 7mm kürzer als wie der Standard - hat man da den Hals einer 7/8 Geige aufgeleimt, da der Korpus hingegen mit 35,5cm 4/4 Standard ist? Auch erscheint er mir, wie es Abalon erkannte, einfach aufgeleimt - also nicht wie bei einer modernen Geige in den Oberklotz hiniengesetzt.
    Ich unterstütze Braatschs Theorie, dass man wegen der enormen Nachfrage damals so um 1900 einfach alles zu mischen begann, alles zusammenleimte, was da die "Fortschaffer" den "Verlegern" herankarrten.
    Eben wegen dieser Ungereimtheiten finde ich die Geige trotz ihre geringen Werts interessant. Sie ist ein Dokument dafür, wie schwer es eigentlich ist, ohne sichere Informationen eine Geige zuzuordnen. Die im Vogtland kopierten und mischten offenbar in ihren Boomjahren einfach alles: von Absam über Mittenwald, Mirecourt und Cremona einfach alles.

  • es war mehr eine Laune sie zu kaufen, aber..
    Ich will halt dieses Forum nutzen, möglichst viel Klarheit ins "Geigen-Geschäft" zu bringen.
    Ich habe das ungute Gefühl, die Konfusion wird mit immer mehr Entdeckungen immer größer.

  • ...Warum Konfusion?


    Die "chinesische Einheitsgeige" ist auf dem Vormarsch, da freue ich mich über jedes ältere Instrument, was hier vorgestellt wird. Und dass die Sachsen noch lange "Barockgeigen" (naja, zumindest einfache Stilmixe mit einzelnen barocken Merkmalen) gebaut haben ist ja nicht soooo ungewöhnlich. Vielleicht ist das auch der Grund, warum gerade in Markneukirchen und Umgebung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts
    die "Alte-Musik-Revivalwelle" gestartet ist. Da ist die Blockflöte wiederauferstanden (Peter Harlan), wurden historisierende Instrumente erschaffen (Kurzhalsgeigen, "Gamben", Gitarrenlauten, theorbierte Gitarrenlauten etc....). Letztendlich wurde dort die "alte Technik" (freies Aufschachteln, angesetzte Buchenhälse, stehengelassener Bassbalken..) eben noch vereinzelt bis ins 20. Jahrhundert weitergeführt. Gerade für die Wandervogelbewegung und die "Volksmusik" waren sowohl die einfachen Geigen als auch die historisierenden Instrumente durchaus interessant, man sehnte sich nach dem "Einfachen" und einer Pseudoromantik.


    Das ist ja heutzutage auf den Mittelalterfesten auch nicht anders. Da sind ja auch Drehleier, Nyckelharpa, Lautenverschnitte und ähnliche alte oder pseudoalte Instrumente stark in Mode. Und warum auch nicht- es gibt ja nicht nur den klassischen Perfektionsgeiger, sondern eben auch die Wirtshausmusik oder die volksmusik, bei der man mit der Beherrschung der ersten Lage und ein paar angrenzenden Halbtönen schon ganz gut dabei ist... Und nein, das meine ich ganz und gar nicht abwertend, ich freue mich über jeden, der heutzutage noch selber Musik macht, egeal welcher Stil, egal welches Level.