Kellerfund

  • Hallo
    Nach 25 Jahren Vergessenheit ist mir letzte Woche diese Geige in die Hände "gefallen"
    Es handelt sich um eine Geige, die seit ca. 100 Jahren im Familienbesitz ist. Mein Opa der Musiklehrer war, hat mehrere Geigen besessen und es hiess eine davon wäre besonders wertvoll gewesen. Hätte angeblich einen besonders tollen Klang gehabt. 1972 verstarb der Opa und niemand mehr verfolgte das Thema. Alle Kinder spielten Klavier
    Vielleicht habe ich als Kind dieses Geige in den momentanen Zustand versetzt;-)
    Jetzt, nach langer Zeit fiel sie mir in die Hände und meine Mutter erzählte mir davon, dass dies die Lieblingsgeige meines Opas war.
    Ich habe bisschen rumgeguckt und bin bez. des möglichen Wertes ein wenig zittrig geworden. Ich besitze selber einen Oldtimer und da gibt es immer wieder die Geschichten von "Scheunenfunden" :) Ein Freund, selber Geiger und Berufsdirigent bremste allerdigst mein Gefühl.
    Es soll schon immer Fälschungen gegeben haben.
    Hier einige Handyfotos von der Geige
    Im F-Loch konnte ich entziffern:


    Petrusguarneriuscremonensisfecit
    Mantue sub. Tit. Sanctae Thesiae 1705


    wobei die Ziffern 70 über durchgestrichenen Ziffern 65 stehen.
    Die Schrift unterscheidet sich allerdings sehr von den "Zetteln" die ich im Internet gefunden habe. Z.B hier http://www.franksviolinos.com.…614b/p/e/petrus_label.png
    Es ist handschriftlich geschrieben mit Tinte auf Papier, dessen Ränder aber bündig mit dem holz verklebt sind. Die "Zettel" die ich im Internet entdeckt habe sehen anders aus. Sehen irgendwie "gedruckt" aus während bei der Geige es von Hand mit Tinte geschrieben wurde


    Mir ist klar, dass da eine Expertise kommen müsste. Mir geht es nur darum um zu sehen ob ich mich beim Sachverständigen blamiere und ob die Fachleute hier im Forum anhand von den Bildern mir schon mal vorab eine grobe Einschätzung geben können.
    Ich habe keine Ahnung von Geigen. Spielte früher Klavier und Posaune. Deswegen habe ich auch einige Details fotografiert um vielleicht da schon Unstimmigkeiten (vor denen mich schon mein Freund gewarnt hat) entdecken kann
    Egal wie es kommt. Der Opa war in meiner Kindheit mein grösster Held. Und dies war seine Lieblingsgeige mit dem besten Klang. Im schlimmsten Fall landet sie als ein Stück meiner Famileingeschichte neben der von mir täglich benutzten Zuckerdose und dem Rasierkasten von meinem Opa auf einem Ehrenplatz in meiner Wohnung
    Vielen Dank schon im Vorraus für Eure Hilfe

  • Wenn das alles so in einem Wort dasteht ist das schon mal ein guter Hinweis, dass da etwas nicht stimmt. Auch wenn es kein "Original" ist, so ist ihre Geige keine Billiggeige und keine Billigkopie, sondern allem Anschein nach eine Einzelanfertigung. Positiv ist das sehr gute Material (sehr feinjährige Decke, einteiliger Boden) und die sehr schöne Verarbeitung (tolle Schnecke!!!). Vielleicht finden sich im Inneren der Geige noch Signaturen (nicht der Zettel, sondern handschriftliche Markierungen auf den Zargen Deckeninnenseite etc.). Das Instrument ist es auf jeden Fall wert, in natura begutachtet zu werden, blamieren werden Sie sich auf keinen Fall!


    Zur Herkunft wage ich mir keine Aussage, dazu ist das Instrument zu individuell. Man müsste den Lack und ein paar weitere Details in Natura sehen… Zum Alter: Wenn das Instrument noch einen barocken Halsansatz (oder einen Anschäfter) hat, wäre 1790-1830 realistisch. Ansonsten würde ich auf Mitte bis Ende 19. Jahrhundert tippen.


    Aber wie gesagt, bei sehr guten "Kopien" und individuellen Anfertigungen steckt der Teufel im Detail, da ist eine Beurteilung über Fotos manchmal ein Ratespiel.

  • Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich habe den Eindruck, dass diese Geige künstlich "ge-aged" gealtert wurde.
    Sind das echte Ausbuchser? Wurde wirklich ein neuer Hals angebracht? Ist der Lack über den Hicks?
    Jedoch zweifelsohne eine schöne Geige.


    Gemäss dem Text von Wojtek, würde ich aber bei einem Geigenbauer vorbeigehen. Das gibt Gewissheit.
    Ich meine, anhand der Fotos kann wahrscheinlich niemand hundert Prozentig Gewissheit geben.
    Auf jeden Fall nicht für diese Geige.

  • Vielen Dank für die Antworten.
    DonnerSlm-was meinst Du mit Initialen?
    Braatsch- für mich "leider" aber es ist ein zusammenhängendes Wort. Ich versuche mit meinm Profifotoequipment in die Geige reinzuzoomen
    Violix- In den letzten 100 Jahren hat niemand "ge.aged" :) Dann vielleicht schon vorher.


    Ich freue mich dass die Geige als ein schönes Stück angesehen wird :) Gibt es für Berlin eine Empfehlung bezüglich eines Geigenbauer den ich aufsuchen soll?

  • ich fürchte Violix hat da nicht ganz unrecht. Oft wurden solche Geigen mit einem "besonderen" Zettel für besonders wertvoll gehalten, und auch vor 100 Jahren schon teuerst restauriert. Mag sein, dass Ihr Opa sie für echt hielt (dass er damals im Internet recherchiert hatte, ist ziemlich unwahrscheinlich) und sie schon vor langer Zeit mal toll "aufpimpen" (wie man heute sagt) hat lassen.
    Dennoch ist sie von guter Qualität und würdig in Natura geschätzt zu werden. Ohne den Zettel hätte ich eher auf solide Mittenwalder Arbeit getippt -aber sogar die wurden im Land der üblichen Verdächtigen (=Vogtland) kopiert

  • Aus dem 17. oder frühen 18. Jahrhundert ist das Instrument nicht. Das mit dem Zettel in fehlerhaftem Latein ist nur ein Hinweis, aber einer, bei dem selbst ein Laie "stutzig" werden kann-daher hatte ich diesen besonders erwähnt. Die Details der Bauart sind für einen Laien kaum zu beurteilen. ;)


    In einem Punkt muss ich aber Yxyxyx ein kleines bisschen Kontra geben: Vielleicht -oder ich halte es für wahrscheinlich- hat der Grossvater durchaus gewusst, dass das Instrument nicht "echt" war (siehe den Hinweis mit der fehlerhaften lateinischen Schrift, die damals jeder Gymnasiast lesen konnte, desweiteren war er Musiklehrer, hat also sicherlich mehr Instrumente gesehen und in der Hand gehabt als seine Schüler oder heutige Hobbyspieler). Vielleicht war ihm das Instrument aufgrund des guten Klanges oder weil es ihm viel bedeutete die entsprechende Pflege/Reparaturen wert, oder er hat es bereits in diesem guten Zustand erworben. Hätte er an die Echtheit oder einen entsprechenden Wert geglaubt, wäre das Instrument wahrscheinlich nicht im Keller gelandet, sondern hätte entsprechend Erwähnung im Testament gefunden bzw. wäre die Familie bereits zu Lebzeiten entsprechend informiert worden-nicht zwangsläufig, aber doch wahrscheinlich. Jemand, der ein wahnsinnig teures Instrument hat, sorgt doch im Normalfalle rechtzeitig vor- nicht dass die unwissenden Erben das Teil in den Keller verbannen oder auf dem Flohmarkt verscherbeln.


    Das ist jetzt alles Kaffeesatzleserei, aber manchmal klingt es so, als seien solche Instrumente quasi "irrtümlich" restauriert worden. Das mag in vielen Fällen stimmen- aber sicher nicht immer…

  • Zum Thema fehlerhafte Schrift kann ich schreiben: OK! Vielleicht habe ich etwas falsch entziffert. Hatte eine Lupe und eine Taschenlampe zur Hand.
    Zum Thema Testament: Es war nicht üblich in meiner Familie so etwas aufzusetzen. Wir sind eine oberschlesische Familie in der kein Vermögen aufgeteilt wurde sondern von den Kindern einfach weitergeführt wurde. Es gab auch nicht so viel zum Aufteilen! Der Opa verstarb auch ganz plötzlich an einem Herzinfarkt. Die Geige geriet einfach in Vergessenheit weil sie von niemandem gespielt wurde. Wie schon geschrieben alle Kinder spielten Klavier
    Ich habe schon einen Geigenbauer gefunden der die Geige begutachten wird. Ich mache auch ein Foto von dem Zettel und werde auf jeden Fall hier berichten. Vielen Dank schon mal für Eure Hilfe

  • Das mit der Schrift war kein Vorwurf, wirklich nicht! ;) Alle diese kleinen Informationen und Puzzlestückchen tragen dazu bei, Licht ins Dunkel zu bringen. "Schlesische Familie" und "nicht übermässig begütert" macht z.B. eine Herkunft des Instrumentes aus Sachsen/Böhmen wahrscheinlicher (und ein echtes Meisterinstrument unwahrscheinlicher), auch wenn die Geige viele "Mittenwald-Merkmale" hat. Anhand der Familiengeschichte lässt sich vielleicht auch noch zurückverfolgen, wann diese Geige in die Familie gekommen ist, und über wen- daran kann man ein Mindestalter festmachen, und findet vielleicht noch Hinweise auf die Herkunft. Das sind diese ganzen Puzzlestückchen, von denen ich sprach--- ganz genau wird sich das alles ohne (authentische) Signaturen nicht klären lassen, aber vielleicht kann man die wahrscheinlichste Variante rekonstruieren.


    Leider löst sich bei den meisten alten Instrumenten der Traum vom "wertvollen Schatz" schnell in Luft auf. In Ihrem Fall halte ich das Instrument für durchaus wertvoll, aber eben lange nicht in der Preiskategorie eines Originals. Der letztendliche Wert hängt bei Ihrer Geige entscheidend vom Klang ab- klingt sie "atemberaubend", kann ein hoher vierstelliger Betrag oder etwas mehr gerechtfertigt sein, klingt sie durchschnittlich bleibt es vielleicht bei 1000-1500 Euro. Sollten sich doch noch Hinweise auf den wahren Erbauer finden (z.B. Signaturen auf dem Holz im Inneren, bestimmte Details die auf eine Herkunft schliessen lassen etc.) kann das den Wert deutlich beeinflussen.


    Die Herausforderung ist jedoch immer, einen Käufer zu finden, der den gewünschten oder taxierten Preis bezahlt. Das Überangebot an Instrumenten hat leider in den letzten Jahren für einen immensen Preisverfall gesorgt.

  • Also Mutter kontaktiert:
    Die Geige gehörte der Familie eines Schülers von meinem Opa, reichen Industriellen aus Kattowitz die ihrem Sohn den Unterricht bezahlt haben jedoch wegen des "Holzohrs" also Unmusikalität des Sprösslings den Unterricht abbrachen und meinem Opa das Instrument als Entschädigung für seine Bemühungen schenkten:-)
    Ich gehe am Montag zu einem Berliner Sachverständigen und werde dann hier berichten.