Bitte um Auskunft über diese Geige

  • Hallo,
    Ich habe mir vor einiger Zeit mal eine Geige auf gut Glück gekauft, weil ich sie so interessant fand. Mir war auch von Anfang an klar, dass die Geige nicht im spielfertigen Zustand ist und dass eine eventuelle Restauration recht teuer werden würde.


    Kurz was ich über die Geige so weiß bzw. was mir aufgefallen ist.
    Im inneren befindet sich ein noch kaum lesbarer Stainer-Zettel. Genauen Wortlaut kann man aber nicht mehr erkennen.
    Die Geige hat einen Stimmriss auf dem Boden, der vor einiger Zeit schon einmal repariert wurde (es befindet sich ein neues Holzstück darauf).
    Die Schnecke scheint auch schon einmal abgebrochen zu sein und wurde ebenfalls repariert.
    Insgesamt befindet sich die Geige in einem sehr schlechten Zustand. Sie ist übersäht mit Rissen, die früher schon einmal repariert worden sind (sowohl Decke, Boden und Zargen sind im inneren der reinste Flickenteppich) wobei ich die Qualität der Reparaturen nicht beurteilen kann.


    Zum sonstigen Erscheinungsbild:
    Die Schnecke ist angeschäfftet, die Wirbellöcher ausbuchsiert. Die Zargen sind am Knopf durchgängig (evtl Mittenwald?). Von innen sind Oberklotz und Hals mit einem Nagel befestigt. Die Schnecke ist durchgestochen.


    Mir ist klar, dass das keine echte Stainer-Geige ist, mich würde aber Interessieren, wie alt die Geige ungefähr sein könnte und ob es sich lohnt sie mal zum Geigenbauer zu bringen.


    Dann hoffe ich, dass ihr mir ein wenig helfen könnt und danke schon einmal ganz herzlich!
    Liebe Grüße
    Vivi

  • Also, mir gefällt die Geige ausgesprochen gut. Ich würde auch auf die Gegend um Mittenwald tippen. Zum Alter: Ich schätze sie auf ca. Mitte des 19. Jahrhunderts, evtl. auch deutlich früher. Das ist per Foto etwas schwierig einzuschätzen, je nachdem wie der Hals angesetzt ist, der Halswinkel ist (handelt es sich um eine Barockgeige?) etc….


    Ich denke, sie ist es definitiv wert, einem Geigenbauer vorgestellt zu werden, am Bestem einem, der sich mit historischen Instrumenten ein bisschen auskennt. Der kann sie dann auch besser datieren. Wenn man auf ein historisches Instrument, welches auf Darmsaiten in 415 Hertz ausgelegt ist, einfach moderne Saiten auf 440 Hertz aufzieht kann die resultierende moderne (=wesentlich höhere) Spannung Risse provozieren. Es ist heutzutage meiner Meinung nach auch nicht mehr ratsam, die schönen alten Barockgeigen (so es denn eine ist, das sollte man prüfen, aber ich vermute es) auf "modern" umzubauen. Diese Barockinstrumente sind wieder sehr gesucht, weil es nicht mehr viele "Originale" gibt. Originale Barockinstrumente, die im Laufe der Zeit modernisiert wurden, werden heutzutage sogar wieder "zurückgebaut" (=in den Barockzustand zurückrestauriert). Also, lass dich -falls es ein Barockinstrument ist- nicht dazu überreden, eine moderne Geige daraus zu machen! Moderne gute Geigen gibt es genug, Barockinstrumente sind rar und werden gut bezahlt.


    Bei einem älteren Instrument ist der Bodenstimmriss zwar wertmindernd, hat aber, sofern er gut repariert wurde, weniger Einfluss auf den Ton als ein Deckenstimmriss. Viele alte Instrumente haben im Laufe der Zeit schwer Schäden bekommen, das bringt die Zeit eben so mit sich….

  • Mein ansonsten sehr geschätzter Braatsch! Deine Meinung kann ich hierzu leider nicht teilen. So über die Bilder erscheint sie mir wieder als eine der tausenden Stainer-Geigen (auch Widhalm, Thier oder Füssener oder sonst wie Geigen genannt), die so Mitte 19.Jh bis Anfang WK2 im Vogtland gemacht wurden.
    Wegen der endlosen Massen, die derzeit im Internet angeboten werden, ist deren Wert ziemlich zerfallen

  • Ich gebe dir recht, die Umrissform und auch die Position der F-Löcher sprechen durchaus für Sachsen/Böhmen. Auch der Zettel. Mich irritiert aber die durchgehende Unterzarge ganz gewaltig...das ist für Sachsen/Böhmen zumindest unüblich und eher dem Mittenwalder Raum zuzuordnen. Auch die doch recht feine und tief gestochene Schnecke mit den fein gearbeiteten "Flügeln" (Kantenschwung von vorne Richtung Wirbelkasten) wäre für ein Manufakturinstrument eher ungewöhnlich. Mich irritiert auch, dass jemand in eine Böhmenschrappe so viel Geld investiert- Wirbellöcher ausbuchsen, Stimmfutter anfertigen, Lack aufbessern------ klar, kann auch ideeller Hang zu einem Instrument sein.


    Kurz: ich kann deine Meinung absolut nachvollziehen, und rate immer noch zum Besuch beim Geigenbauer. Vielleicht habe ich ja einen Knick in der Optik.... Oder es handelt sich um ein Instrument irgendwo aus Mitteldeutschland/Südböhmen, das mehrere Einflüsse in sich vereinigt? Man müsste mal den Halsansatz sehen, Schnecke von hinten, und einen Blick auf die Innenarbeit werfen können....

  • ok, die Meinung der "Barockgeige" kann ich revidieren- hab gerade gesehen dass sie einen Anschäfter hat. Also vergiss mal den Sermon oben von wegen Barock. Sie wurde bereits modernisiert.


    Also, Anschäfter, Ausbuchser, Stimmfutter, durchgehende Unterzarge, eher feine Schnecke und feinste Haselfichte als Deckenholz bei einer Böhmenschrappe? Ungewöhnlich, aber natürlich nicht unmöglich.

  • Hallo,
    erstmal vielen Dank für die schnellen und ausführlichen Antworten!


    Ich hätte nochmal eine Frage zu dem Nagel, der durch Oberklotz und Hals geht. Ich habe im Internet schon danach geforscht weil ich mir darauf keinen Reim machen konnte, habe aber nicht besonders viel gefunden. Dem Internet zufolge wurden Nägel nur bis ca. 1800 im Geigenbau zum verbinden von Oberklotz und Hals benutzt. In Italien drei, in Deutschland nur einer (wie bei dieser Geige auch). Stimmt das so? Oder wurde sowas auch gefälscht?


    Ich werde auf jeden Fall zum Geigenbauer gehen, der die Geige mal in natura beurteilt. Finde es aber auch so schon wahnsinnig interessant, was ihr so sagt. Ich lade morgen nochmal ein paar Bilder hoch. Vielleicht bringt das ja noch mehr Licht ins Dunkel.


    Nochmal vielen Dank und liebe Grüße
    Vivi

  • …genau dieser Nagel brachte mich auch zu dem Schluss, dass es eine Barockgeige sein könnte (bzw. ursprünglich gewesen ist). Ja, diese Form der Halsbefestigung ist (sofern sie nicht auf eine Reparatur zurückgeht) die "alte" Bauart, hauptsächlich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Das heisst aber nicht, dass nicht auch später -seltener- Geigen derartig gebaut wurden. Es beschliessen ja nicht alle Geigenbauer gleichzeitig etwas so oder anders zu machen, sondern da gibt es fliessende Übergänge, Experimente, persönliche Vorlieben, Traditionen etc.- und da ist es nicht ganz einfach, ein Instrument genau zu datieren, vor allem, wenn es wie deines offensichtlich mehrmals restauriert/intensiv repariert/neu lackiert/... wurde.


    Zum Hals: der ist bei deiner Geige nicht mehr original. Barockgeigen hatten einen anderen Halswinkel und "individuelle" Mensuren, man findet unter ihnen Geigen mit kürzeren oder längeren Hälsen, verschiedenen Halswinkeln, sehr individuellen Proportionen etc.- ganz einfach deshalb, weil damals der Geigenbau weniger "normiert" und weniger "berechnet" war.


    Wie gesagt, ich empfehle dir, einen Geigenbauer aufzusuchen, der sich speziell mit Barockinstrumenten/alten Instrumenten auskennt. Ich kann auch absolut daneben liegen, und es handelt sich wirklich "nur" um eine sächsische Geige Mitte des 19.Jahrhunderts, aber dann zumindest um eine recht schöne.

  • Guten Tag geschätzte Experten - Braatsch und yxyxyx


    habt Ihr gesehen, dass dort wo der Saitenhalter über die Kante geht, das eingelegte schwarze Holz eher tief in die Geige geht und dies auf ein Stainer Model vor dem 19 Jahrhundert hindeuten könnte.
    Nach meinem Wissen hat man das Holz nicht mehr so tief eingelegt im 19 Jahrhundert.
    Auch, dass die Geige scheinbar bereits umgerüstet wurde, bedeutet ja, dass sie einmal eine Barockgeige war.
    Ab wann wurde eigentlich der eher dunkle Lack bei deutschen Geigen eingeführt? Manchmal geht das ja ins dunkelbraune bis fast schwarze.
    Bei echten italienischen und fränzösichen Geigen sieht man diese Geigenlack-Farbe nie oder ich kenne diese Geigenbauer nicht.


    Die beiden Facts, dass die Schnecke angeschäfftet ist und die Wirbellöcher ausbuchsiert, deutet wenigstens darauf hin, dass jemand diese Geige einmal sehr geschätzt hat.
    Ansonst würde man wohl kaum eine so teure Restauration vornehmen...oder? :)


    Grüsse
    Violix

  • ich will mich nicht jetzt über die endlose Zahl an von mir persönlich untersuchten Geigen, die wegen des Zettels schon vor 100 Jahren im guten Glauben, es handle sich um ein Prachtstück aus Cremona, teuerst restauriert worden sind, auslassen.
    Auch gab es Fälscher aus dem Vogtland (aber nicht nur von dort), die wohlweisslich Geigen auf alt trimmten (geaged würden wir auf neudeutsch heute sagen). Also die Zettel anwetzten und eine spätere Anschäftung bzw. sogar Spänung des Korpus vortäuschten